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Was ist los, SPD? Ein Gespräch unter alten Männern

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
3. September 2025
Skulptur. zwei alte horchen an einer roten Ziegelwand

Ich hatte für den Blog-der-Republik vor ein paar Wochen einen Beitrag über die Lage der SPD vor den Kommunalwahlen an Rhein und Ruhr geschrieben. Der Titel: SPD-Parteichef und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil möge mal ins Ruhrgebiet kommen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Christoph Zöpel, einstiger Minister unter Johannes Rau, sicher ein Intellektueller, der in Bochum wohnt und das Revier, aber auch Berlin und Brüssel sehr gut kennt, war als Leser unseres Internet-Forums nicht so ganz einverstanden mit dem Inhalt meines Stückes. Also telefonierten wir mehrmals, vor Tagen schrieb ich einen weiteren Artikel zur Lage vor allem der SPD in NRW und speziell im Ruhrgebiet. Zöpel meldete sich zu Wort, er hatte einige Anmerkungen, war aber im Wesentlichen einverstanden mit meiner Analyse. Wir vereinbarten ein weiteres Gespräch über das Revier, das nicht mehr die Region unserer jüngeren Jahre ist, sondern sich gewandelt hat. Ich stellte ihm ein paar Fragen, er beantwortete sie, es wurde eine Unterhaltung eines 84jährigen Journalisten mit einem 82jährigen Politiker, beide beobachten die politische Szene seit 60 Jahren und beiden, das darf man sagen, liegt sehr am Gelingen des Strukturwandels des Ruhrgebiets, was ein langer Prozess ist, der wohl nie endet.

Blog-der-Republik: Herr Professor Zöpel – und das sind sie ja auch –, am 14. September finden in NRW Kommunalwahlen statt. Die SPD gerade in NRW und vor allem auch im Ruhrgebiet war über viele Jahre die Partei, die viele Oberbürgermeister und mit Heinz Kühn und Johannes Rau sehr beliebte Ministerpräsidenten stellte. Das Blatt hat sich gewandelt, der Ministerpräsident des Landes ist mit Hendrik Wüst ein Christdemokrat, die CDU liegt in allen Umfragen bei rund 38 Prozent, während die SPD nicht mal die 20 Prozent-Marke schafft. Was ist los mit der SPD?

Zöpel: Die Lage der SPD in NRW ist in der Tat nicht berauschend, aber in den vergangenen Jahren, die Sie ansprechen, gab es im linksliberalen Spektrum kaum Konkurrenz für die SPD. Die Grünen wurden erst 1980 gegründet, sie hatten über Jahre nur wenige Mitglieder, die Linke gab es in der Form von heute nicht, Deutschland war ja geteilt. Und Volt gab es auch nicht, eine Partei, die heute in vielen Stadträten sitzt.

Blog: Die SPD hatte damals über 300.000 Mitglieder in NRW und rund eine Million in der Bundesrepublik. Heute gibt es an Rhein und Ruhr nur noch 80.000 Sozialdemokraten und vielleicht 370.000 im Bund. Sie haben in einem unserer Gespräche darauf hingewiesen, dass die SPD in NRW zwei Drittel ihrer Mitglieder verloren hätte, geblieben seien die Älteren, die aber gingen nicht an die Infostände. Und die Jungen sind in sozialen Medien aktiv. Das hängt doch nicht allein mit der Parteienlandschaft zusammen?

 

Willy Brandt und Johannes Rau

Zöpel: Nein, aber das ist ein Grund. Ein anderer ist der, dass die SPD damals über überragende Persönlichkeiten verfügte, im Bund war das Willy Brandt und in NRW war das Johannes Rau. Zwei Politiker, die junge und alte Menschen, Frauen und Männer, Studenten und Schriftsteller anzogen. Es gab damals Professoren, die öffentlich ihre Mitgliedschaft in der SPD bekundeten. Ich darf an Günter Grass erinnern, an Siegfried Lenz, die für Brandt Wahlkampf machten.

Blog: Was hat die SPD denn falsch gemacht oder versäumt, dass so viele Zeitgenossen die Partei verlassen haben? Oder nicht mehr eintreten in die SPD, weil sie die Partei vielleicht nicht mehr attraktiv finden?

Zöpel: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, nach dem Sie gerade fragen. Dabei geht es um die Transformation der Gesellschaft, den Umbau unserer Industriegesellschaft in eine Dienstleistungs- und Wissenschafts-Gesellschaft. Das hat die SPD – nach dem Ende der Regierungszeit von Johannes Rau – nicht ausreichend kommuniziert. NRW war früher ein Land von Kohle und Stahl, dann begann der Strukturwandel, Zechen wurden geschlossen, die SPD hat dafür politisch gesorgt, dass dieser Prozess geordnet ablief, die Region an der Ruhr oder Teile von ihr sollten nicht absaufen, wie das einst hieß, und die Bergleute sollten nicht ins bergfreie fallen. Es wurde viel geleistet, Sozialdemokraten könnten eigentlich stolz darauf sein, diesen schwierigen Prozess erfolgreich politisch mitgestaltet zu haben.

Blog: Aber was hat die SPD denn versäumt?

Zöpel: Die SPD spätestens seit den 2000er Jahren hat versäumt, den Menschen im Lande zu erklären, dass aus ihren Kindern und Enkeln nicht mehr Bergleute werden, Steiger, sondern dass sie als Mechatroniker arbeiten oder als Sekretärin. Die wenigsten Beschäftigten an den Hochschulen sind ja Professoren. Das hätte die SPD viel mehr und deutlicher klar machen müssen, dass dieser Wandel in der Metropole Ruhr und besonders in der Emscherzone ihnen allen zugutekommt. Die Emscher, das ist dieser Fluss, der ja auch durch Industrieabwässer nur noch eine Kloake war, die meterweit stank. Die Sanierung der Emscher und ihrer Nebenflüsse, die alle Köttelbecke nannten, ist eine Riesen-Leistung. Mit der sauberen Emscher wurden die Grundstücke entlang des Flusses wieder begehrt. Und im Fluss schwimmen wieder Fische.

Blog: Die Rentner im Revier, früher fast alle in der SPD, nahmen diesen Wandel anders wahr. Sie warfen und werfen der SPD vor, sich nicht um sie gekümmert, sondern sie allein gelassen zu haben. Ist da was dran?

Zöpel: Ja, weil die SPD diesen Prozesse nicht genügend kommuniziert hat. Die alten Kumpel lasen und hörten, dass Zechen dicht gemacht wurden und damit ihre Arbeitsplätze verloren gingen. Das bedeutete für sie viel mehr als den Job-Verlust, das hieß für sie eine andere Welt, die sie nicht kannten. Sozialdemokraten hätten ihnen viel mehr erklären müssen, dass dieser Wandel notwendig ist, dass sich die Welt ändert und wir uns mit ihr. Was aber auch heißt, dass Neues gebaut wird, Hochschulen entstanden von Dortmund über Bochum bis Essen-Duisburg und mit diesen Universitäten gab es neue Jobs und Ausbildungsplätze und neue Ansiedlungen von Firmen rund um die Hochschulen. Übrigens hat Johannes Rau diese Veränderungen entscheidend angestoßen.

Blog: Das Revier heißt nur noch so, es ist also keine Industrieregion mehr?

Hochschulen die größten Arbeitgeber

Zöpel: Das Kohlezeitalter im Ruhrgebiet wurde 2018 mit dem Schließen von Prosper Haniel beendet. Übrigens kam der Bundespräsident extra aus Berlin nach Bottrop, um dieser Zeremonie beizuwohnen. Frank-Walter Steinmeier ist ein Sozialdemokrat, dessen Mitgliedschaft während seiner Amtszeit als Staatsoberhaupt ruht. Und die Stahlindustrie spielt auch anders als früher nur noch eine Nebenrolle. 15 bis 20 Prozent der Arbeitsplätze in ganz NRW gehören zum produzierenden Gewerbe , sind Güter produzierende Jobs. 80 Prozent der Arbeitsplätze sind im Dienstleistungsbereich.

Blog: Wozu die Hochschulen auch zählen?

Zöpel: Die Hochschulen in Bochum und Dortmund sind die größten Arbeitgeber in ihren Städten, das vergisst mancher. Sie sind zugleich Anziehungspunkte für Mittelständler, für Optiker, Mechaniker, die Maschinenindustrie. Erlauben Sie mir noch ein Nachwort zur Emscher: Früher fühlten sich manche von dem Dreck und Gestand angeekelt, heute siedeln im Bereich der neuen Emscher Firmen an.

Blog: Nun gibt es, Herr Zöpel, Probleme spezieller Art in Gelsenkirchen und in Duisburg. Mit der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien kamen besondere Probleme in die Städte, in Duisburg wurden Hochhäuser, Weiße Riesen genannt, abgerissen. Was ist da falsch gelaufen?

Zöpel: Menschen aus Bulgarien und Rumänien genießen das EU-Recht, sich überall in der EU ansiedeln zu dürfen. Versäumt wurde von der Bundesregierung, auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass diese Freizügigkeit mit sozialer Integration zusammenhängt, die in den Herkunftsländern ja von der EU gefördert wird, und deshalb auch in den Städten an der Ruhr gefördert werden müsste. Das gilt besonders, wenn ganze Familien aus einem Dorf oder fast ein ganzes Dorf nach Gelsenkirchen oder nach Duisburg ziehen, wo es dann zugegebenermaßen zu Problemen kommt. Dies ist unstreitig, und damit wurden die Städte vom Bund allein gelassen.

Blog: Und fehlte es an der Integration?

Zöpel: Ja, daran fehlt es auch. Schullassen sind zu groß, es fehlt an Lehrern, wenn jedes Kind, egal aus welchem Ausland, vom ersten Tag an unsere Sprache lernen soll. Das fängt schon in der Kita an und muss in der Grundschule verstärkt werden. Wir wissen doch, dass das Erlernen der Sprache die halbe Miete bei der Integration bedeutet. Wer deutsch kann, wird einen Schulabschluss erreichen, eine berufliche Ausbildung und später einen qualifizierten Beruf ausüben können. Dann müssen die Wohnprobleme gelöst werden, Integration kann gelingen, wenn Migranten in der Nähe der Grundschule ihrer Kinder wohnen können. Im Einzelfall mag es andere Probleme geben, die ich generell für lösbar halte. Die Anpassung an die Kultur im Ruhrgebiet, an die Art hier zu leben, gehört dazu, was Zeit und Geld kosten kann. Es lohnt sich aber für beide Seiten.

Blog: In meinem letzten Beitrag habe ich geschrieben, dass die SPD mehr Bärbel Bas brauche…

Zöpel: Bärbel Bas ist eine sehr beliebte Sozialdemokratin und war eine herausragend handelnde Bundestagspräsidentin. Sie steht für einen Weg, den einst Willy Brandt in den 60er Jahren beschrieben hat: Aufstieg durch Bildung. Übrigens ist auch Gerhard Schröder ein Musterbeispiel für diese erfolgreiche SPD-Politik, er war als Kind noch mehr benachteiligt als Bärbel Bas. Bärbel Bas ist jetzt Bundesministerin für Arbeit mit Mandat im Bundestag. Wer fordert, dass sie als Spitzenkandidatin gegen Hendrik Wüst bei der nächsten Landtagswahl antritt, muss wissen, dass die Landesverfassung NRW vorschreibt, dass der Ministerpräsident aus den Reihen des Landtags kommen muss. Als Oppositionschefs haben dies Jürgen Rüttgers, Hannelore Kraft und Armin Laschet geschafft. Norbert Blüm und Norbert Röttgen haben es von außen versucht- vergeblich.

Blog: Als die SPD im Herbst 1982 nach 13-jähriger Regierungszeit die Macht in Bonn verlor, indem Helmut Kohl Helmut Schmidt als Bundeskanzler durch ein konstruktives Misstrauensvotum ablöste, riet der Parteichef Willy Brandt seinen Freunden in Bund und Land, den Weg über die Dörfer zu nehmen, weil er ahnte, dass der Weg zurück ins Kanzleramt dauern und mühsam sein werde. Sehen Sie das ähnlich?

Europa muss mit Russland zusammen leben

Zöpel: Wir haben sicher auf kommunaler Ebene gute Oberbürgermeister, ich nenne den von Hamm, Marc Herter, der war Juso-Chef in NRW. In Duisburg macht Sören Link eine gute Figur, der Krefelder OB Frank Meyer gehört dazu, Thomas Eiskirch hat in Bochum mit tausenden neuen Arbeitsplätzen auf dem von Opel verlassenen Gelände Großartiges geleistet. Es wird neue Gesichter geben, denken Sie daran, dass einer wie Gerhard Schröder zunächst Juso-Chef war, ehe er Ministerpräsident von Niedersachsen wurde und danach Bundeskanzler. Weiter erforderlich sind langjährige politische Bildung und politische Erfahrung in einer Partei. So sind Sarah Philipp, eine der SPD-Chefs von NRW, neben Achim Post und Jochen Ott, der Fraktionschef der SPD im Landtag, der versucht, dem Ministerpräsidenten Paroli zu bieten, zu sehen

Blog: Im Bund verbrauchte die SPD fast alle Enkelinnen und Enkel, ehe Gerhard Schröder Helmut Kohl ablöste. Nach 16 Jahren. In Düsseldorf wurde Jürgen Rüttgers, der die Dauerherrschaft der SPD in NRW 2005 beendete, schon nach fünf Jahren abgewählt. Hannelore Kraft hielt sich bis 2017 in der Staatskanzlei, ehe Armin Laschet ihr folgte und der 2021 schon den Stab weitergab an Hendrik Wüst. Was Laschet aber nicht bekam, er wurde zwar CDU-Bundesvorsitzender, dann gegen Markus Söder Kanzlerkandidat, verlor aber gegen Olaf Scholz, obwohl dieser zuvor im Rennen um den SPD-Vorsitz gegen das Duo Norbert Walter- Borjans und Saskia Esken unterlegen war.

Zöpel: Übrigens, Walter-Borjans war Mitarbeiter von Johannes Rau und Oskar Lafontaine und Finanzminister von Hannelore Kraft, und noch ein Übrigens: Nur drei Parteivorsitzenden gelang es, dass bei einer Bundestagswahl die SPD stärkste Partei zu wurde: Willy Brandt 1969, Oskar Lafontaine 1998 und Norbert Walter-Borjans zusammen mit Saskia Esken 2021.

Blog: Aber jetzt regiert einer, der schon raus aus der Politik war, Friedrich Merz, der Mann aus dem Sauerland mit Zweit-Wohnsitz am Tegernsee. Eigentlich ein Verlierer über all die Jahre, gegen Merkel, gegen Laschet, gegen wen eigentlich nicht? Er regiert mit Lars Klingbeil, was sich als nicht ganz einfach abzeichnet, was aber niemanden wundern darf. Die Union hatte die SPD jahrelang so was von scharf und unfair bekämpft, wissend, dass sie mit der SPD regieren werden müsse, weil man mit der AfD keine gemeinsame Sache machen darf.

Und jetzt? Was wird aus diesem Land? In der Ukraine führt Russland einen gnadenlosen Krieg, in Amerika regiert ein Präsident, der dabei ist, die Demokratie zu schleifen, Europa muss sich enger zusammenschließen, um eine Größe zu werden, eine Macht, die mitreden kann im Konzert der Großen wie China, Indien, USA. Bei uns soll die Wehrpflicht wieder eingeführt werden, freiwillig oder nicht ganz, das wird man sehen, damit Deutschland abschreckend wirkt auf Russland, das man fürchtet, weil man nicht weiß, was Putin will: die ganze Ukraine oder nur einen Teil? Greift er nach Polen oder dem Baltikum? Und in Berlin hat sich Schwarz-Rot in die Hand versprochen, nun gemeinsam zu regieren und das Streiten zu lassen, wovon doch allein die AfD profitieren wird. Überhaupt die AfD, die SPD will sie verbieten lassen, was das Grundgesetz gegen Verfassungsfeinde als nötigen Schritt gebietet, aber die Union nicht möchte. Ja, was wird aus diesem Land, von dem ich sicher bin, dass es besser dasteht, als es Kritiker beschreiben.

Zöpel: Dem allem stimme ich generell zu. Was die demokratische Linke zeigen muss, ist, dass ihre Politik für jeden, der das will, Freiheit und gesellschaftliche Sicherheit verbindet – Johannes Rau war das gelungen zu vermitteln. Und die demokratische Linke musss Konzepte entwickeln, wie Europa mit Russland(siehe auch das gemeinsame Buch des SPD-Urgesteins Klaus von Dohnanyi und des General Erich Vad, Militärberater der Kanzlerin Angela Merkel) zusammen überleben kann – Willy Brandt hat das erfolgreich geleistet.

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