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Home Politik

Härtere Gangart gegenüber dem Kirchenasyl?

Petra Kappe Von Petra Kappe
25. August 2016
Kirchenasyl

Um das Kirchenasyl war es für viele Jahre still geworden. Doch seit die Polizei einen Schutzsuchenden unter Gewaltanwendung aus dem Kapuzinerkloster Münster geholt hat, herrschen Bestürzung und Besorgnis. Das Unverständnis über die brachiale Aktion weckt Bitterkeit und die Befürchtung, das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF) könnte nun insgesamt eine härtere Gangart gegenüber dem Kirchenasyl anschlagen.

Das BAMF verweist jedoch auf Versäumnisse im Verfahren. Ein Dossier zu dem Fall sei der Behörde erst am 24. August, also dem Tag nach der Räumung vorgelegt worden. „Damit konnte das zwischen dem Bundesamt und den Kirchen vereinbarte Verfahren bei Kirchenasylfällen nicht durchgeführt werden und das Bundesamt keine Entscheidung darüber treffen, ob ein Härtefall vorliegt “, erklärt die BAMF-Sprecherin auf Anfrage des Blogs der Republik.

Dem 31-jährigen Mann aus Ghana, der in Handschellen aus dem Kloster abgeführt wurde, war dort seit Juli Kirchenasyl gewährt worden. Er war zuvor in Ungarn registriert worden und müsste dem Dublin-Abkommen der Europäischen Union zufolge dort Asyl beantragen. Ungarn gehört jedoch zu den EU-Mitgliedsländern, bei denen Richter regelmäßig Zweifel äußern, ob Asylbewerber dort faire Verfahren bekommen.

Auch im Fall des Ghanaers gab das Verwaltungsgericht Münster dem Eilantrag auf Aussetzung der Abschiebehaft statt. Das BAMF habe der Ausländerbehörde des Kreises Coesfeld daraufhin mitgeteilt, dass vorläufig eine Abschiebung des Antragstellers nicht erfolgen darf, erklärt das Bundesamt gegenüber dem Blog der Republik. „Der Betroffene wurde daraufhin unverzüglich aus der Abschiebehaft entlassen.“ Und: „Das BAMF wird über den Asylantrag nun im nationalen Verfahren entscheiden.“

Das Netzwerk Kirchenasyl in Münster hatte die zuständige Ausländerbehörde für ihr „derart massives und brutales Vorgehen ohne jegliche Dialogbereitschaft“ kritisiert. Der Mann aus Ghana sei wie ein Schwerverbrecher behandelt worden, zitierte der Evangelische Pressedienst die Theologin Julia Lis als Sprecherin des Netzwerks. Er sei jedoch ein Bedürftiger, der sich hier Schutz erhofft habe. Die Kritik an der Härte des Vorgehens weist das BAMF auf Nachfrage zurück. Das Bundesamt erteile den Ausländerbehörden „keine Weisungen im Hinblick auf die Art und Weise des tatsächlichen Vollzugs einer Überstellung“.

Scharf hatte auch Münsters katholischer Bischof Felix Genn den Vorgang kritisiert. „Es erschüttert mich und macht mich betroffen, dass während eines laufenden Verfahrens ohne Vorankündigung zugegriffen wird.“ Die Festnahme sei „ohne Not geschehen, es gab keine Fluchtgefahr“. Das Bistum Münster unterstrich, dass das zwischen Kirche und Staat abgesprochene Vorgehen für ein Kirchenasyl eingehalten worden sei. Das dabei vorgesehene Dossier, in dem die Gründe für eine Härtefallentscheidung zugunsten des Ghanaers zusammengefasst sind, sei unmittelbar vor der Übermittlung an das zuständige Bundesamt gewesen, stellte das Bischöfliche Generalvikariat Münster klar.

Mit Bestürzung reagierte die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche. „Wir verurteilen dieses Vorgehen aufs Schärfste und verlangen eine umgehende und umfassende Aufklärung und Information über die Hintergründe und Verantwortlichkeit für dieses Vorgehen“, sagte die BAG-Vorsitzende Dietlind Jochims. Gegenüber dem Blog der Republik äußerte sie Empörung und die Einschätzung, „dass eine solche Räumung nicht hinzunehmen“ sei.

Das nordrhein-westfälische Innenministerium verwies auf Anfrage des Blogs der Republik auf seine Nichtzuständigkeit. In Dublin-Fällen entscheide allein das Bundesamt, Ausländerbehörde und Polizei leisteten bei entsprechender Anordnung lediglich Amtshilfe. Der Ministeriumssprecher bestätigte, nicht über die Räumung informiert worden zu sein, und bekräftigte, dass das Land NRW bei Fällen von Kirchenasyl in seiner Zuständigkeit den Dialog suche. „Wir reden miteinander, bis wir eine Lösung gefunden haben.“

Ende Juli gab es der BAG Asyl in der Kirche zufolge 303 Fälle von Kirchenasyl, davon 242 Dublin-Fälle. Für 2015 hat die BAG insgesamt 620 Kirchenasyle dokumentiert, 416 davon wurden 2015 neu begonnen. Mindestens 1015 Menschen, darunter 243 Kinder und Jugendliche, fanden demnach Schutz im Kirchenasyl. Die ganz überwiegende Zahl der Fälle waren mit 884 Personen sogenannte Dublin-Fälle. 332 Kirchenasyle wurden beendet, davon 323 mit einem positiven Ausgang, also mindestens einer Duldung. Im Vorjahr hatte die BAG insgesamt 430 Kirchenasyle dokumentiert. Gegenüber dem Jahr 2013 mit 79 Fällen bedeutete das einen Anstieg von mehr als 500 Prozent.

Nach einer kontroversen Debatte Anfang 2015 hatten sich die Kirchen und das BAMF auf ein Verfahren zum Umgang mit Kirchenasyl verständigt und erst kürzlich eine positive Bilanz ihres gemeinsamen Vorgehens gezogen. Entzündet hatte sich die Debatte an einer Äußerung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, er lehne Kirchenasyl prinzipiell ab. In einem offenen Brief äußerten Theologen des Instituts für Theologie und Politik in Münster ihre Empörung. Die Äußerungen des Innenministers und die Entscheidung der Behörden, Flüchtlinge im Kirchenasyl als „untergetaucht“ einzustufen, seien eine „faktische Aushöhlung“ des Rechts auf Kirchenasyl. Das BAMF hatte erklärt, in Dublin-Fällen drohe in der Regel keine Gefahr für Leib und Leben. Diese Neubewertung verlängerte die Frist, nach der Deutschland für das Aufenthaltsverfahren zuständig wird, von einem halben Jahr auf eineinhalb Jahre.

Als „an der Wirklichkeit vorbei“, kritisierte das Pfarrer Helge Hohmann, der Beauftragte für Zuwanderungsarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW): „Wir wissen aus vielen unabhängigen Berichten, dass Flüchtlinge keineswegs überall in Europa menschenwürdig behandelt werden. Leider werden auch innerhalb der Europäischen Union regelmäßig die Menschenrechte verletzt.“ Die Dublin-Verordnung führe oft zu Abschiebung in menschenunwürdige Zustände, betont Flüchtlingsexperte Hohmann: „Es kommt zu Familientrennungen, Obdachlosigkeit und Kettenabschiebungen.

„Auch weiterhin werden Gemeinden nach sorgfältiger Abwägung Kirchenasyl gewähren“, bekräftigte Vizepräsident Albert Henz, Dezernent für gesellschaftliche Verantwortung der EKvW: „Unser Glaube fordert von uns, einem bedrohten Menschen beizustehen, wenn sämtliche juristischen Wege beschritten wurden und ein Flüchtling dennoch in eine lebensbedrohliche Situation abgeschoben werden soll. Dann ist Kirchenasyl ein legitimes Mittel, das zwar keinen rechtsfreien Raum schafft, aber im Sinne der internationalen Menschenrechte und des Grundgesetzes eine letzte Möglichkeit eröffnet.“ Menschen, denen Kirchengemeinden in diesem Sinne Zuflucht gewähren, seien nicht „flüchtig“, da die zuständige Behörde in jedem Fall informiert werde.

Im Großen und Ganzen funktioniert die Zusammenarbeit beim Kirchenasyl. Kirchengemeinden, die allein über die Aufnahme in ein Kirchenasyl entscheiden, melden den Fall, fassen alle Informationen in einem Dossier zusammen und leiten es dem Bundesamt mit der Bitte um Überprüfung eines individuellen Härtefalles zu.
Seit der Vereinbarung zwischen dem BAMF und den Kirchen vom 24. Februar 2015 bis Anfang Juni 2016 wurden dem Bundesamt laut dessen Angaben 498 Kirchenasyl-Fälle vorgelegt. In 212 Fällen wurde das Selbsteintrittsrecht ausgeübt, sprich: eine besondere Härte anerkannt, in 131 Fällen lief die Überstellungsfrist ab, 74 erledigten sich auf sonstige Weise.

Bildquelle: Wikipedia, Bwag, CC BY-SA

 

 

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Tags: BamfBundesamt für Flüchtlinge und MigrationFlüchtlingeKirchenasylMenschenrechtePolizeieinsatz gegen Kirchenasyl
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