1. Hintergrund
Das Wahlsystem in den USA zur Bestimmung der Mitglieder der Gremien auf föderaler Ebene (Präsident, Senat, Repräsentantenhaus), die das „Volk“ in der Demokratie repräsentieren, ist bekanntlich extrem „weich“ und manipulationsanfällig – das haben wissenschaftliche Studien und Berichte der ODIHR (OSZE) schon x-mal eindrücklich bestätigt. Hauptgrund ist, dass der Bund sich für die Wahlen zu seinen Gremien nicht die Herrschaft über die Bedingungen der Durchführung auf Staaten- bzw. County-Ebene zu verschaffen vermag. Die Auffassung ist eben, dass die Staaten ihre Vertreter entsenden, und die werden je nach ihrer Couleur bestimmt – ein einheitlicher rechtsförmiger sowie durchsetzungsfähiger Begriff von „Demokratie“ bzw. „ordnungsgemäße Wahl“ besteht nicht und wird auch nicht angestrebt. Letzteres unterscheidet die USA von Europa, wo der Versuch – im Konflikt mit Polen und Ungarn – gegenwärtig unternommen wird.
Nebengrund ist die desaströse Schutz-Situation gerade bei elektronischen Elementen im technologisch abgewirtschafteten US-Wahlsystem.[1] Aber auch auf Papier ist es nicht viel besser – die Bilder aus Florida aus dem November 2000 dürften noch im Bewusstsein sein. Es war der Konflikt zwischen Bush und Al Gore um die Bestimmung der Rechtsförmigkeit des ersten Auszählungsergebnisses, welches im Swing State Florida dem Kandidaten Bush eine Mehrheit von 537 Stimmen zuzurechnen erlaubte; und dies wiederum resultierte in einer Mehrheit in Höhe einer einzigen Stimme im Wahlmänner-Gremium. Der damalige Wahlausgang wurde nicht durch faktische Prüfung sondern schließlich durch Urteile des Obersten Gerichtshofs bestimmt, zur Vermeidung einer Staatskrise übers Knie gebrochen – hätte man begonnen, in den Morast zu schauen, wäre der damals gewählte Präsident vielleicht heute noch nicht bestimmt. Man darf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs als Urteil in einem Staatsnotstand nehmen, also getrost für illegal halten – die Präsidentschaft von Bush jr. mit dessen schicksalhaften Fehl-Entscheidungen wurde also durch gleichsam einen Staatsstreich des Obersten Gerichts gewonnen, ihre Legitimität war „revolutionär“ gegründet. Rechtsstaatförmigkeit ist auch in der rechtsstaatlichen Demokratie nicht immer der höchste Wert.
Die Integrität und damit auch die Glaubwürdigkeit der Wahlen in den USA sind von innen heraus, so die Botschaft, bereits erheblich beschädigt; und, so die Aussicht: sie ist noch viel weitergehend bedroht.[2] Das geht hin bis zu Analysen, die ich für glaubwürdig halte, dass die republikanische Seite (GOP) immer stärker strukturell mehrheitsunfähig werde, im Maße des fortschreitenden, durch Migration beförderten demographischen Wandels in den USA. Es verbleibe für die GOP angesichts dessen nur eine einzige Option, Mehrheiten in Zukunft noch zu gewinnen: Durch Manipulation, insbesondere statistischer Art, auf allen Stufen: Wähler-Zulassung, Verfahren der Wahlkreiszuschnitte und Durchführung sowie Auszählung. Stalin soll einmal gesagt haben „In Wirklichkeit kommt es nicht darauf an, wer wählt, sondern wer die Stimmen auszählt.“ – das aber ist nur die allerprimitivste Variante der Wahlmanipulation. State of the art ist das längst nicht (mehr) – Cambridge Analytica und Polens Reform der Wahlsystemüberwachung[3] sind die jüngsten Charakteristika für den auf diesem Gebiet erzielten Fortschritt.
Es mag überraschen, aber es entspricht den Regeln der Seele: Auf selbstverschuldete Probleme, die man nicht zu lösen vermag, wird schließlich mit Angriff nach außen reagiert – Externalisierung der Unfähigkeit zur Verantwortung ist der Mechanismus. Es muss ja schließlich etwas geschehen.
2. Die Exekutiv-Order: Saulus mutiert zum Paulus – aber päpstlicher als der Papst
Vor diesem Hintergrund erscheint die „Exekutiv-Order“ des US-Präsidenten vom 12. September bemerkenswert. In ihr wird angekündigt: Ausländischen Personen, Einheiten und Staaten, die sich in US-Wahlen einmischen oder das öffentliche Vertrauen in diese Wahlen untergraben, werden Strafen in Aussicht gestellt – da diese dem US-Strafrecht nicht unterliegen, wollen die USA auch hier, in der für sie bewährten und von ihnen für legal gehaltenen Weise, zu Wirtschaftssanktionen greifen. Bezug nimmt der Präsident – verdächtigerweise? – auf den gemeinsamen Bericht der US-Geheimdienste aus dem Jahre 2017, den er bekanntlich verworfen hatte, wie er in einem spektakulären Setting kundtat, bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Russlands Präsidenten Putin, zum Abschluss ihres Treffens in Helsinki. Nun tritt Präsident Trump die Flucht nach vorne an und erklärt:
„In der jüngeren Vergangenheit hat die Verbreitung von elektronischen Geräten und der Kommunikation über das Internet erhebliche Verletzlichkeiten mit sich gebracht und das Ausmaß sowie die Intensität einer drohenden Einmischung aus dem Ausland vergrößert, …. ich erkläre hiermit eine nationale Notsituation im Umgang mit dieser Bedrohung.“[4]
Wohlgemerkt: Nicht das leicht verletz- und manipulierbare Wahlsystem in den USA wird einem Notfallplan unterworfen, sondern allein die Gefahr durch das Handeln ausländischer Akteure, die die offen dargebotenen Schwächen zu nutzen ansetzen. Und zwar sämtliche Akteure von außen – das dürfte nicht ohne Hintersinn sein.
Der US Präsident pflegt bekanntlich ein „eigenständiges“ Verhältnis zu Russland – im US-Kongress ist er diesbezüglich nicht über allen Verdacht erhaben; dort gilt weiterhin die Vermutung, dass mit ihm ein Agent einer fremden Macht oder mindestens eine Art „Profumo“ ins höchste Staatsamt der USA gelangt sein könnte. Angesichts dessen hat der Präsident Zweierlei entschieden:
- den potentiellen Verdacht einer Einmischung von Russland alleine wegzunehmen; es wird nun ausnahmslos jeder externe Staat zu einem potenziellen Wahlbeeinflusser, dem Strafen angedroht werden;
- das Auslöseverfahren wird etwas strukturiert, wenn nicht „automatisiert“. Der Mechanismus sieht so aus: 45 Tage nach einer Wahl hat der Chef der Geheimdienste einen Bericht vorzulegen. Und wiederum 45 Tage darauf hat der Chefankläger zusammen mit dem Heimatschutzminister einen entsprechenden juristisch fundierten Bericht vorzulegen. Die nächsten Wahlen in den USA sind auf den 6. November 2018 angesetzt. Die beiden (erstmaligen) Berichte sind somit am 21. Dezember 2018 und am 4. Februar 2019 fällig.
In der Konsequenz soll es darauf hinauslaufen, einen ‚erwischten’ Staat mit Wirtschaftssanktionen zu belegen – also den zu strafen, der die allseits bekannte Verletzlichkeit nutzt. Diese Aufgabe wird dem Finanz- und dem Außenministerium zugewiesen.
Entscheidend sind die Kriterien dafür, was als „Einmischung in oder Unterminierung des öffentlichen Vertrauens in Wahlen in den USA“ gilt. Dazu sagt die Exekutiv-Order vom 12. September nichts; sie gibt nur zwei Beispiele:
„<a> der unerlaubte Zugang zu Infrastrukturen für Wahlen und Wahlkampagnen oder
<b> die heimliche Verbreitung von Propaganda und irreführenden Informationen.“[5]
Aber wie gesagt: Es liegt bei den autorisierten Geheimdiensten, den zentralen Begriff „Einmischung“ auszulegen – und das unter einem Präsidenten Trump, im Wissen um die Kontroversen in der Vergangenheit, die Vorhalte von Parteilichkeit an sie. Also werden sie den zentralen Begriff vorsichtshalber sehr weit auslegen, insbesondere wenn es um eine Einmischung geht, die gegen die Wahlchancen von Kandidaten gerichtet ist, die dem Trumpschen Lager verbunden sind.
Man ist somit gut beraten, selbstkritisch zu fragen: Werden wir, wird die EU ins Zielfernrohr der US-Geheimdienste geraten – erzwungenermaßen? Wir erinnern, dass die EU-Kommission, die für Handelspolitik zuständig ist, einen Katalog von Retorsionsmaßnahmen fertiggestellt, öffentlich angekündigt und schließlich am 23. März 2018 auch in Kraft gesetzt hatte, in Reaktion auf die von US-Seite am 8. März 2018 verfügten Strafzölle auf Stahl und Aluminium – was dann in dem Trump-Juncker-Treffen am 25. Juni 2018 erst einmal wieder auf den Verhandlungstisch zurück verschoben wurde. Das Kriterium für die Auswahl der Güter auf EU-Seite, die die Retorsionszölle tragen sollten, war informell, an die Medien in Europa, durchgereicht worden. Motiv dafür war, dass Brüssel dem Eindruck entgegenwirken wollte, eine willkürliche Liste von lediglich Peanuts als Reaktion zusammengestellt zu haben. Das dann offenbarte Kriterium war: Die Produkte seien so ausgewählt worden, dass kein ökonomischer Großschaden erzeugt werde, es sei vielmehr auf Personenkreise bzw. Wirtschaftssubjekte (Farmer) in solchen Regionen geziehlt worden, die zur Trumpschen Wählerschaft zählen und zudem in Regionen leben, wo die Mehrheit prekär ist.
Wenn das nicht „Einmischung in Wahlen in den USA“ war, ….; aber in Europa fehlt dafür jegliches Unrechtsbewusstsein.
3. Populistische Herrschaft und „Regulierung von Wahlen“
Wenn Präsident Trump das Thema „Regulierung von Wahlen“ überhaupt aufgreift, ist die höchste Alarmstufe angesagt. Das gilt angesichts der a) aussichtslosen Situation der GOP in den USA und b) der Weise, wie populistische Bewegungen anderswo, wenn sie an die Macht gelangt sind, mit dem Thema „Regulierung von Wahlen“ umgangen sind. Trump hat sich bei diesem Thema mit den Tabu-Brüchen, die anderswo üblich waren, bislang zurückgehalten – das ist auffällig. Eine Kommission, die er zu diesem Zweck bereits benannt hatte, hat er zurückgenommen.
Doch dass er sich dem, was üblich ist, eines Tages anschliessem wird, ist zu erwarten. Ein Blick in die Inhalte der Exekutiv-Order vom 12. September 2018 hat zum Ergebnis: Noch hat Trump das nicht aufgegriffen.
[1] https://www.sinn-schaffen.de/hans-jochen-luhmann/die-manipulation-des-us-wahlsystems-ein-etabliertes-mittel-im-kampf-der-parteien/
[2] https://www.nap.edu/catalog/25120/securing-the-vote-protecting-american-democracy
[3] https://verfassungsblog.de/who-will-count-the-votes-in-poland/
[4] https://www.treasury.gov/resource-center/sanctions/Programs/Documents/election_eo.pdf
[5] https://www.treasury.gov/resource-center/sanctions/Programs/Documents/election_eo.pdf
Bildquelle: By Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America (Donald Trump) CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons
Danke an dieser Stelle für diesen tollen und interessanten Blog.