Sie haben es wieder getan. Wie welt.de dieser Tage berichtet, sind „Unions-Innenpolitiker in Bund und Ländern“ alarmiert durch „brutale Gewalttaten von Kindern“ und stoßen „eine neue Debatte über die Senkung der Strafmündigkeit“ an. Bundesjustizministerin Stefanie Hubig zeigt sich skeptisch – zu Recht.
Diese Debatte ist nicht neu und sie sollte – auch diesmal – nicht auf der Grundlage dramatischer Einzelfälle geführt werden. Die Deutsche Polizeigewerkschaft stößt übrigens schon länger ins gleiche Horn und rühmt sich, „bereits im Jahr 1997 die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters auf 12 Jahre gefordert“ zu haben. Ihr Kernargument ist – laut der Stellungnahme auf ihrer Website –, dass es „pädagogisch sinnvoll“ sei, „schon einem 12-Jährigen klar zu machen, wo die Grenzen seines Handelns liegen“.
Dazu muss man sagen: Solche Forderungen sind im Koalitionsvertrag der Bundesregierung nicht formuliert. Darin ist vielmehr zu lesen (Rz. 2944-9247):
„Der gestiegenen Kinder- und Jugendkriminalität wollen wir entgegenwirken. Sowohl für die Opfer als auch die Täter ist es wichtig, dass die Taten angemessen aufgearbeitet werden. Zu den Ursachen der gestiegenen Kinder- und Jugendgewalt werden wir eine Studie in Auftrag geben, die auch gesetzgeberische Handlungsoptionen erfasst.“
Das Bestehen einer direkten Verbindung zwischen „brutalen Gewalttaten von Kindern“ und der Strafmündigkeitsgrenze ist für die Koalitionäre offenbar nicht Konsens, sonst hätte man das zum Ausdruck gebracht. Der Koalitionsvertrag verzichtet sogar gänzlich auf den Begriff „Strafmündigkeitsgrenze“ und spricht zurückhaltender und vager von „gesetzgeberischen Handlungsoptionen“, womit etwa auch Veränderungen im Familienrecht gemeint sein können. Zudem werfen die Koalitionäre die richtige Frage auf – nämlich die nach den Ursachen von Kinder- und Jugendgewalt – und wollen bei deren Beantwortung die Wissenschaft einbeziehen. Das alles klingt zunächst gut und richtig. Doch auch die Koalitionäre müssen sich kritische Nachfragen gefallen lassen: etwa die, ob ihre Prämisse einer in den letzten Jahren „gestiegenen Kinder- und Jugendkriminalität“ überhaupt zutrifft. Denn sieht man mal von den schlimmen Fällen ab, wie es sie immer schon gab, dürfte vor allem die Coronapandemie erheblichen Einfluss auf die Polizeiliche Kriminalstatistik gehabt und dort für „Effekte“ auch bei der Kinder- und Jugendkriminalität gesorgt haben – gerade bei den Tatverdächtigenbelastungszahlen. Richtig bleibt zwar: Jede Straftat ist eine zu viel. Aber der Kernpunkt hier ist doch die Frage, ob es einen Anstieg gibt, der nicht mit Corona zusammenhängt und der sich deshalb auch nach einem Abklingen fortsetzt. Passend dazu heißt es bei Baur/Rueß/Schaffeld/Fegert (KriPoZ 2024, 245, 246): „Ob es sich beim jüngst verzeichneten Anstieg um Nachhol- oder atypische Sozialisationseffekte infolge der COVID-19-Pandemie oder tatsächlich um eine bedenkliche Trendwende handelt, ist derzeit noch nicht mit Sicherheit zu sagen.“
So oder so: Das Strafrecht ist kein präventives Allheilmittel – auch wenn Innenpolitiker dies gern behaupten. Und die isolierte Forderung nach einer Absenkung der Strafmündigkeitsgrenze mag – vor allem wenn sie unter Verweis auf dramatische Einzelfälle erfolgt – für die breite Öffentlichkeit sinnvoll klingen. Sie ist es aber nicht. Mehr noch: Die Forderung nach einer Absenkung der Strafmündigkeitsgrenze kann man bereits aus historischer Sicht für problematisch halten, denn zuletzt senkten die Nazis die Strafmündigkeitsgrenze – zumindest teilweise – auf 12 Jahre ab. Jedenfalls beinhaltet sie aus kriminologischer Sicht eine entscheidende Fehleinschätzung, nämlich dass allein durch die Absenkung alles besser und sich die Kinder- und Jugendkriminalität verringern würde – doch träfe dies zu, müsste man eigentlich alle Kinder (gleich welchen Alters) für strafmündig erklären, oder?
Bildquelle: Wikipedia, User Waugsberg, CC BY-SA 2.0