Auch in Zeiten emotionalen Überschwangs ist es klug, die internationale Politik nüchtern zu analysieren und sie mit Bedacht und in angemessener Sprache zu deuten.
Dominic Johnson, Co-Leiter des taz-Auslandsressorts, kommentiert das Treffen der Präsidenten der USA und der Russischen Föderation (RF) unter der Überschrift „Zwei Reichsbürger unter sich“. Am Werk sieht er „einen professionellen Schwindler und einen professionellen Lügner“, die „sich beide für die mächtigsten auf dem Planeten halten und deren gemeinsames Interesse darin besteht, die Welt des Jahres 2025 um ungefähr 50 Jahre zurückzusetzen, als die USA und die Sowjetunion tatsächlich die beiden einzigen Supermächte waren“.
1975, vor 50 Jahren, beendete die „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ in Helsinki einen dreißig Jahre alten Kalten Krieg zwischen den Blöcken Nato und Warschauer Pakt. Will der Tazzer darauf hinaus? Eher nicht. Er denkt, der Großrusse wolle wie ehedem das benachbarte „Brudervolk“ der Kleinrussen ohne Einmischung von außen kujonieren, und dem Amerikaner gehe es wie immer um „lukrative Geschäfte“.
Das eine wie das andere ist nicht aus der Luft gegriffen, aber erklärt sich so Anchorage? Eher nicht. Die beiden Staatschefs, die sich an Mariä Himmelfahrt in Alaska trafen, sind beide von heute und beide von heute genervt.
Herr Putin weiß, dass er mit der Russischen Föderation weder eine wirtschaftliche, noch eine politische Weltmacht repräsentiert, sondern einzig eine militärische. Diese eine Qualität versucht er um jeden Preis und mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten gegen eine Nato, die ihn stärker einmauert, lähmt und mit Sanktionen überzieht als einst die Sowjetunion. Die Ukraine ist ihm ein exemplarisches Aggressionsopfer. Für die Zukunft reicht das nicht.
Herr Trump hat von seinem Vorgänger einen Abnutzungskrieg gegen die Russische Föderation geerbt, für den er auf keinen Fall mehr finanziell aufkommen möchte. Warum auch? Der Feind ist wirtschaftlich und militärisch durchgerüttelt und geschwächt, das Kriegsgeschehen genutzt und ausgewertet, die beiderseits lukrativen Wirtschaftsbande zwischen EU und RF sind glücklich gekappt, die Nato-Europäer auf Entzug gesetzt, sie werden die Rüstungslast übernehmen und US-Waffen kaufen. Der Krieg kann beendet, sein Ende produktiv gewendet werden.
Die Zeit scheint reif, aber die Zeit drängt auch.
Die USA des Jahres 2025 sind zwar militärisch und als Kulturmacht nach wie vor das Maß aller Dinge — nur: Eine singuläre Nummer 1 ergibt sich daraus nicht. Industriell und infrastrukturell ist das Land nicht mehr erste Wahl und nicht länger ein Vorbild. Seine Leuchttürme, die rabiaten Tech-Unternehmen, die auf allen Kontinenten Daten sammeln und speichern, ihr Wissen durch Kommunikation und Werbung zu großem Geld machen und durch Steuervermeidung bewahren, taugen wenig, wenn es darum geht, den ökologisch empfindlichen Planeten zu entwickeln und sich so Freunde zu erwerben. Die Dynamik der florierenden US-Finanzindustrie in ihrem Gefolge ist saldenmechanisch die Kehrseite des industriellen Niedergangs, sie macht ihn in der praktischen Weltpolitik nicht wett.
Womit wir bei der Volksrepublik China wären, dem stummen Gast am Tisch in Anchorage und dem Schlüssel zum Verständnis der Angelegenheit. Dieses älteste, im 19. und 20. Jahrhundert imperialistisch unterjochte Kulturland hat die USA und die RF im 21. an Strahlkraft und Einfluss überholt und ist im Begriff, das zu werden, was Madeleine Albright einst für die USA reklamierte und wofür Wladimir Putin Russland hält: eine „unersetzliche Nation“. Seine Vorzeigestücke sind nicht glänzende Rüstung und Militärbasen auf allen Kontinenten, sondern der Bau von Eisenbahnverbindungen, Hafenanlagen und modernen Energiegewinnungsanlagen in den Entwicklungsländern. Das wirkt anziehend, Krieg dagegen nur abschreckend, keine Propaganda der Welt wird etwas daran ändern.
Washington und Moskau denken, dass sie sich sputen müssen, um in der Zukunft neben der Volksrepublik zu bestehen. Der globale Süden wird ihnen applaudieren, solange nicht zu neuem Krieg gerüstet wird. Schön wäre, wenn der „Wertewesten“ der G7 ohne USA sich auf die Tradition – Helsinki, 1975! – besänne und zum Gelingen einer friedlichen Koexistenz der Großmächte beitrüge.
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