Selten habe ich einen Leitartikel in der von mir seit Jahren abonnierten „Süddeutschen Zeitung“ gelesen, der so einseitig gegen die SPD und namentlich ihre Co-Vorsitzende und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas gerichtet war. Die Redakteurin wirft der Ministerin vor, sie zettele einen Klassenkampf an. Und da die Journalistin ja offensichtlich weiß, was eine Arbeiterpartei bedeutet, fragt sie sich tief besorgt, ob die SPD noch eine solche ist. Und natürlich sind die Arbeitgeber die Guten und die Arbeitnehmer diejenigen, denen die Unternehmer großzügig Arbeit geben. Ob sich die Arbeitnehmer frei nach Trump auch brav bedanken, dass sie jeden Morgen erscheinen und am Nachmittag nach Hause gehen dürfen, diese Frage fehlt mir in diesem Machwerk. Irgendwann lese ich in dem Beitrag, der jede Arbeitgeber-Postille schmücken würde, etwas von Sozialpartnerschaft.
Auffallend dieser andere Tonfall in der SZ. Tage nach Bekanntwerden des Skandals, den die Präsidentin des Verbandes der Familienunternehmen mit ihrer Bemerkung ausgelöst hatte, die Brandmauer, die demokratische Parteien von der in weiten Teilen rechtsextremistischen AfD trennt, habe nichts gebracht, also hob sie das Kontaktverbot auf und lud einen AfD-Vertreter zum parlamentarischen Abend nach Berlin ein. Es folgte de Protest von Rossmann wie Vorwerk, die den Verband verließen. Erinnerungen kamen hoch an die Nazi-Zeit, als vor allem namhafte Vertreter der deutschen Industrie wie Krupp, BMW, IG Farben, im Grunde der ganze Finanz- und Wirtschafts-Adel des deutschen Reichs die Steigbügelhalter von Adolf Hitler und Co waren, die die Nazis gesellschaftsfähig machten, ihren Wahlkampf mit Millionen Reichsmark bezahlten, und als Lohn von Hitler und Göring das Versprechen erhielten, sie würden sich erkenntlich zeigen. Das taten die Nazis und überließen den Krupps und Quandts und anderen Millionen von Zwangsarbeitern für billig Geld und begründeten damit auch ihren Reichtum. Erst diese Erinnerung an die braune Geschichte löste Empörung aus, die Chefin des Verbandes der Familienunternehmen nahm ihren Annäherungsversuch an die AfD zurück. Dann folgte die Bild-Empörung über Bärbel Bas und die SPD mit Stimmen aus dem Arbeitgeberlager- um abzulenken von der braunen Geschichte früherer deutscher Arbeitgeber und deren Verstrickungen in diese schlimme Zeit?
Zurück zur SZ und dem Kommentar: Was hat die böse Ministerin nur getan? Sie hat sich geärgert über Arbeitgeber und hat dies bei den Jusos zum Ausdruck gebracht. Geärgert hatte sie sich während des Arbeitgebertages, weil die feinen Herren sie ausgelacht hatten- ihnen passte die Argumentation der SPD-Chefin zur Rente nicht. So machen das die Männer „in ihren bequemen Sesseln, der eine oder andere im Maßanzug“, so zeigen sie der Politikerin, was sie von ihr halten und dass immer noch Männer die Geschichte machen. So geht doch das Narrativ aus früheren Jahrhunderten, oder? Frau und dann noch SPD, mit Geld können die ohnehin nicht umgehen, das war schon immer so.
Und vor den Jusos (früher hätte man die als Kommunisten abgetan) erzählt die Sozialdemokratin aus Duisburg, die von ganz unten gestartet ist, um nach oben zu kommen, ohne Vitamin B, ohne Geld der Eltern, was sie empfunden habe, als sie die Herren auf dem Arbeitgebertag habe sitzen sehen: „Da sei ihr klar geworden, gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen“. Also sind, so legt es die Kommentatorin aus, „die eigentlichen Feinde in diesem Land die Arbeitgeber. Wir hier unten gegen die da oben.“ Bas fühle sich „offenbar persönlich gekränkt durch das Gelächter bei einem Thema, das ihr am Herzen liegt: die Rente“. Menschlich sei das „nachvollziehbar, aber Bas sei eben nicht die Geschäftsführerin der Verdi-Betriebsgruppe Duisburg-Niederrhein. Sie ist Arbeitsministerin- und zuständig für Millionen Beschäftigte, die ziemlich froh sind, dass sie überhaupt noch einen Arbeitgeber haben.“
Bärbel Bas kommt aus der Arbeiterschaft, sie lebt heute noch in der Region, ist Fan des MSV Duisburg, wo man es gewohnt ist, kleine Brötchen zu backen. Ich weiß nicht, ob der Journalistin diese Welt im Ruhrgebiet vertraut ist, wo man malochen muss, wie das in der Sprache entlang der Emscher heißt. Die Menschen an der Ruhr haben alle Entwicklungen mitgemacht, Krisen und Kriege. Wenn es aufwärts ging, nahm man einen Schluck extra. Man wohnte bescheiden, wer Glück hatte und einen kleinen Garten, züchtete Tauben und baute Kartoffeln und Karotten an. Früher hielten sich einige auch Ziegen. Und wenn ein Pütt dicht machte, zahlten die Kumpel die Zeche. Und die Leitartiklerin fragt weiter, „ob Frau Bas mitbekommt, was in der Realität der Arbeitswelt gerade passiert. Die Wirtschaft dümpelt nun im dritten Jahr am Rand der Rezession. Die Industrie darbt. Die Wettbewerbsfähigkeit bröckelt. Unternehmen bauen Zehntausende Stellen ab. Der BDI-Chef sieht den Standort Deutschland im freien Fall, gar in seiner historisch tiefsten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik.“ Einseitiger geht es nicht, es liest sich, als habe AfD-Chefin Weidel gerade ihre Sicht der Republik geschildert, das Bild mit der Titanic wurde an die Wand gemalt, Deutschland vor dem Untergang. „Und ausgerechnet jetzt zettelt die Arbeitsministerin einen Klassenkampf an.“ So die SZ.
Dass die deutsche Automobil-Industrie Riesen-Probleme hat, hängt doch wohl damit zusammen, dass die Herren und Damen in München, Stuttgart, Ingolstadt und Wolfsburg die Entwicklung zum Elektro-Motor verschlafen haben. Ich habe das zumindest mehrfach gelesen und auch aus dem Munde von Ingenieuren gehört. China fährt uns davon. Und auch daran müssen dann selbstredend die SPD und Bärbel Bas schuld sein, die ja Unternehmer-Bashing betrieben habe, womit sie bei der Parteijugend, den Jusos also, „wohlige Schauer auslöse“. Aber am Ende seien es eben die Unternehmer, die Jobs schaffen- und damit die Grundlage dafür legen, dass der von Bas so leidenschaftlich verteidigte Sozialstaat überhaupt noch finanzierbar ist.“ Tolle Chefs, und so großzügig, partnerschaftlich
Womit wir endlich beim Sozialstaat sind, der nicht mehr finanzierbar ist. Haben auch Friedrich Merz und andere gesagt, die der festen Überzeugung sind, sie verstünden etwas vom Geld und der Wirtschaft. Ich frage mich, warum dann die Infrastruktur im Lande so heruntergefahren wurde, dass vieles marode ist, Brücken sind einsturzgefährdet, Straßen voller Löcher, die Bahn fährt unpünktlich, wenn sie fährt, die Gleise, die Züge, viele Bahnhöfe, zum Erbarmen. Wie hießen die Bundesverkehrsminister? Richtig. Ramsauer, Dobrindt, Scheuer. Welcher Partei gehörten sie an? Ach ja, der CSU. Und deren Chef ist Markus Söder, der Erfinder des guten Regierens. So ähnlich. Soll ich noch auf die Bundeswehr hinweisen, die unter CDU- und CSU-Verteidigungsministern und -ministerinnen in Grund und Boden gefahren worden ist, bis das Land nicht mehr verteidigungsfähig war und ist? Das gehört nicht hierhin? Doch.
Ach ja, die Ungleichheit wächst in dieser Republik, wir sprechen mehr und mehr von einer Spaltung. Wenigen Reichen und Super-Reichen gehören Milliarden und Aber-Milliarden, dem Gros der deutschen Bevölkerung gehört so gut wie nichts. Die Vermögensteuer steht zwar im Grundgesetz, aber in der Kanzlerschaft von Helmut Kohl wurde sie außer Kraft gesetzt, angeblich wegen eines Urteils aus Karlsruhe. Die Vorgaben hätte man locker erfüllen können, aber so scheint es den Reichen und Vermögenden besser zu passen. Den Spitzensteuersatz hat einst ein SPD-Kanzler, den man Boss der Genosse nannte, reduziert, der Beifall aus den Chefetagen war ihm sicher.
Zum Schluss noch ein Wort zum Sozialstaat, der ja vielen mindestens ein Dorn, wenn nicht eine ganze Hecke im Auge ist. Er ist zu teuer, die Lohnnebenkosten waren schon zu Kohls Zeiten eine Last, die man beklagte, weil es so einfach war. Gerade habe ich den Gastbeitrag von Prof. Christoph Butterwegge für den „Spiegel“ auf dem Tisch liegen. Butterwegge ist einer der wenigen Experten zur Lage der Armut in Deutschland, der Mann ist parteilos. „Ohne Sozialstaat“, betont der Wissenschaftler, „gibt es keinen Wirtschaftsaufschwung.“ Seit Jahren kämpft der in Köln wohnende Butterwegge gegen Behauptungen an, der Sozialstaat sei zu teuer. Im Dezember werde der siebte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung erwartet. Zwischen den üblichen Beschwichtigungen hinsichtlich der wachsenden Ungleichheit zeige er: „Armut ist selbst in einem so wohlhabenden Land wie unserem ein Massenphänomen. Zugleich geht daraus hervor, dass es dem ach so ungeliebten Sozialstaat gelingt, die starke Ungleichheit der Markteinkommen wenigstens etwas zu mildern.“ Der Sozialstaat ist in Wahrheit ein Standortvorteil.
Zur Erklärung der Überschrift: In den 50er Jahren fand jährlich in der Weihnachtszeit ein Betriebsfest eines größeren Unternehmens statt. Die Eigentümer des Hauses zeichneten sich durch Sparsamkeit aus, der Satz eines großen Bankiers galt: „Wir sind nicht das geworden, weil wir das Geld ausgegeben haben, sondern weil wir es behalten haben.“ Also dichtete der Betriebs-Chor: „Vorwärts Millionäre, Euer Reichtum soll Lohn unserer Arbeit sein.“
Übrigens: Die ersten Angriffe auf Bärbel Bas und die SPD wegen ihrer angeblich wirtschaftsfeindlichen Haltung kamen von der Bild-Zeitung. Mehrere Arbeitgeber durften die Ministerin beschimpfen, angeblich sollen es Interviews gewesen sein, die man geführt hat. Nein, ich habe das Blatt nicht gekauft, die Kampagne war nachzulesen im Internet. Erst Bild, dann die SZ. Das neue Bündnis gegen die SPD, gegen Bärbel Bas? Gruselig find ich das.
Bildquelle: Plakat Klaus Staeck: Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen. Edition Staeck.












