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Ernüchterung nach der Berlin-Wahl: Das Ergebnis ist keine Katastrophe. Ein Weiter-So kann es nicht geben.

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
19. September 2016
Ernüchterung nach der Berlin-Wahl: Das Ergebnis ist keine Katastrophe. Ein Weiter-So kann es nicht geben.

Es ist richtig, dass die SPD wie die CDU bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin erhebliche Verluste einstecken mussten. Das kann man als klares Signal der Wählerinnen und Wähler gegen eine große Koalition werten, die die Menschen nicht nur in der Hauptstadt nicht wollen. Das zumindest sollten beide Parteien, die mal Volksparteien waren, als sie noch großen Zulauf hatten und sie überall in der Republik locker mit einem kleineren Partner das jeweilige Land regieren konnten. Das ist in einigen Fällen vorbei und es kann zukünftig auch in anderen Bundesländern so kommen. Aber das ist kein Beinbruch, nur es muss halt gelernt werden, in einem Dreier-Bündnis zu regieren.

Das Ergebnis der Berlin-Wahl war keine Katastrophe, den Begriff sollte man sich für wirkliche Katastrophen im menschlichen Leben aufsparen. Es gefällt mir auch nicht, dass die AfD so viele Stimmen bekommen hat in Berlin. Aber das muss ja wohl damit zusammenhängen, dass die anderen Parteien, in erster Linie, die SPD wie die CDU, Fehler beim Regieren gemacht haben. Dass Zehntausende von Wählerinnen und Wählern in Deutschlands größter Stadt vor lauter Enttäuschung über ihre frühere politische Heimat zu den Rechtspopulisten gelaufen sind, müssen die Führungsspitzen von Union wie SPD als Weckruf ernstnehmen. Irgendwas haben sie falsch gemacht oder gar nicht gemacht, jedenfalls haben sie offensichtlich nicht richtig zugehört, wenn ihre Anhänger über ihre Politik in der jeweiligen Regierung klagten. Zuhören, nicht hinterherlaufen, aber Probleme lösen und nicht nur schwadronieren.

 

Streit über Inhalte zum richtigen Weg

 

Demokratie, schreibt Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, fällt nicht vom Himmel und muss immer wieder gelernt, vielleicht auch gelehrt werden. Da geht es um den Streit um den richtigen Weg, der zum Ziel führt. Dieser Streit muss öffentlich geführt werden, die Menschen müssen die Argumente der Politiker kennen, sonst werden sie deren Politik nicht verstehen. Dabei ist Streit um Inhalte nichts Schlimmes, auch wenn das nicht allen passt.

Das AfD-Ergebnis von über 14 Prozent-geholt aus dem Stand- ist kein gutes Zeugnis für die anderen Parteien, aber es ist keine Katastrophe. Sie sitzen in nunmehr zehn Landesparlamenten, aber das heißt nicht, dass sie auch die Politik bestimmen, dass sie die Richtung vorgeben. Nein, das heißt es nicht. Wir haben demokratische Regierungen, die Weltoffenheit und Toleranz auf ihre Fahnen geschrieben haben und die gegen jede Art  von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind, die für Minderheiten eintreten.

 

Deutschland ist eine bunte Republik

 

Deutschland ist eine bunte Republik. Im Süden regiert die CSU mit absoluter Mehrheit, zuvor hatten die Christsozialen die FDP zur Mehrheit und zur Bildung einer Koalitionsregierung gebraucht. In Baden-Württemberg – 57 Jahre von der CDU und oft auch allein regiert-führen die Grünen-MP ist Kretschmann- und die Christdemokraten die Regierungsgeschäfte, und zwar in dieser Reihenfolge. In Hessen ist es umgekehrt, dort ist die CDU unter Volker Bouffier Chef einer Koalition mit den Grünen.  In Rheinland-Pfalz- das war mal Helmut-Kohl-Land, dort wohnt der Altkanzler noch immer- wurde vor einigen Monaten eine Ampel unter Führung der SPD unter Leitung von Malu Dreyer gebildet, also mit der FDP und den Grünen, was bemerkenswert ist, weil die beiden letzteren Parteien sich nicht so mögen, schließlich kämpfen sie um eine ähnliche Wählerklientel.

Im bevölkerungsreichsten Land NRW gibt es ein rot-grünes Bündnis unter der Führung von Hannelore Kraft(SPD), die für viele überraschend 2010 die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf unter dem CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers nach nur einer Legislaturperiode in der Staatskanzlei ablöste. Und Rüttgers hatte 2005 die in NRW nach fast 40 Jahren regierungsmüde gewordene SPD in die Opposition geschickt. Das kleine Saarland wird von einer großen Koalition-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer- regiert. Früher gab es dort mal den Regierungschef Oskar Lafontaine. In Niedersachsen führt eine rot-grüne Koalition-MP ist Stephan Weil, davor Mc Allister, Christian Wulff, beide CDU, und davor Gerhard Schröder, der spätere SPD-Kanzler. In der Freien Hansestadt Hamburg muss sich der Erste Bürgermeister Olaf Scholz(SPD) die Macht mit den Grünen teilen, nachdem er zuvor allein regieren konnte. Sein Vorgänger hieß übrigens Ole von Beust(CDU), der mal mit der Schill-Partei eine Allianz bildete, um in Hamburg die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Wer kennt noch die Schill-Partei?

In Bremen regiert ein SPD-Mann(Carsten Sieling) mit der CDU, in Schleswig-Holstein musste Ministerpräsident Torsten Albig neben den Grünen auch den SSW(den südschleswigschen Wählverband, der die dänische Minderheit vertritt) mit in die Koalition nehmen, um eine Regierung bilden zu können. In Mecklenburg-Vorpommern führt Erwin Sellering(SPD) Koalitionsgespräche mit der CDU, die ihren zweiten Platz im dortigen Landtag an die AfD(20,8 vh) verlor.

 

In Erfurt der einzige Linke-Regierungschef

 

In Sachsen-Anhalt mussten sich die bei der Landtagswahl gerupften CDU und SPD mit den Grünen zu einer Koalition-Chef ist Reiner Haseloff(CDU)- verbinden, weil die große Koalition allein keine Mehrheit bekommen hatte. Auch dort hatte die AfD stark abgeschnitten. In Brandenburg regieren SPD und Linke zusammen-Ministerpräsident Dietmar Woidke-, in Sachsen führt Stanislaw Tillich(CDU) eine Koalitionsregierung mit der SPD. Hier sei zu erinnern an absolute Mehrheiten des CDU-Regierungschefs Prof. Kurt Biedenkopf, der aus Bonn nach Dresden gewechselt war. Und in Thüringen haben wir den einzigen Linken-Ministerpräsidenten, Bodo Ramelow, der mit der SPD und den Grünen das Land regiert.

Nein, nein, Deutschland ist nicht unregierbar geworden. Der Wechsel von Regierungen gehört zu unserem demokratischen parlamentarischen System und zwar im Bund, in den Ländern wie in den Kommunen. Und nie hat der Wechsel geschadet, sondern eher für frischen Wind gesorgt. Aber die einstigen Volksparteien haben in den letzten Jahren  große Verluste hinnehmen müssen. Sie sollten sich große Koalitionen wirklich nur noch als Notfall vornehmen, wenn Wahlen nichts anderes hergeben.  Große Koalitionen haben die Trenn-Linien zwischen beiden verwischt und ihnen die einstige Zugkraft genommen. Noch einmal Heribert Prantl von der SZ in seinem Leiter nach der Berlin-Wahl:  Ohne große Koalitionen kann die CDU wieder schwarzer werden und die SPD wieder röter und mehr erkennbar.

 

Koalitionen unter Demokraten nicht ausschließen

 

Politiker sollten künftig noch mehr vermeiden, Koalitionen mit anderen demokratischen Parteien vor Wahlen auszuschließen. Das vermeidet nach der Wahl peinliche Korrekturen. Und sie können nach einer Wahl ja nicht sagen, das Ergebnis gefällt uns nicht, also wird noch einmal gewählt. Die demokratischen Parteien müssen untereinander koalitionsfähig sein.

In Berlin kann es eine rot-rot-grüne Regierung geben, unter dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller. Ausgerechnet in der Hauptstadt, die früher Frontstadt war, geteilt, im Westen die Demokraten, im Osten die Kommunisten…. Wir sollten uns diese Diskussion ersparen, sie hilft nicht weiter, weil die Realität eine andere ist, bald 27 Jahre nach dem Fall der Mauer. Eine andere Frage ist, ob sich aus diesem Bündnis in Berlin mehr ableiten lässt für die Bundestagswahl im nächsten September. Da ist die Problemstellung eine andere. Im Bund wird nicht über die Berliner Schul- oder Verkehrspolitik entschieden, weil das in die Zuständigkeit von Berliner Senat und Abgeordnetenhaus gehört , sondern es geht unter anderem um die deutsche Außenpolitik, unsere Mitgliedschaft in der EU und der Nato stehen nicht zur Debatte, sondern daraus ergeben sich Bündnisverpflichtungen- auch militärischer Art. Und da hat der frühere SPD-Kanzler Gerhard Schröder schon Recht mit seiner Auffassung, geäußert in der FAZ am Sonntag, dass es ein Problem sei, wenn „jede größere Kommunalwahl als Messlatte für die Bundesregierung genommen wird.“

–

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