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Home Politik

Ein Botschafter vergreift sich im Wort

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
14. Juni 2022
Bildquelle: Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons

Der Botschafter der Ukraine in Deutchland, Andrij Melnyk, ist um seine Mission nicht zu beneiden. Das ist wohl wahr, sein Land ist im Krieg gegen die Übermacht aus Russland und es wehrt sich mit allem, was es hat an Mut und Entschlossenheit. Heldenhaft wird der Einsatz der Soldaten aus Kiew gelobt, gerühmt, dass sie sich nicht unterkriegen lassen wollen. So weit so gut. Nur der Botschafter ist nicht gut beraten, weiter gegen die Bundesregierung und namentlich gegen Olaf Scholz zu stänkern, weil der angeblich zu wenig tue für die Ukraine. Und er ist gewiss nicht klug, dass er jetzt noch beklagt, dass die ukrainischen Flüchtlinge sich in Deutschland nicht wohl fühlten und deshalb in der Mehrzahl schon umgekehrt seien in die Heimat. Das ist kontraproduktiv, Herr Botschafter, Sie vergreifen sich im Wort. Sie mögen damit in der deutschen Presse täglich zitiert werden, Sie mögen mit dieser Art der Kritik weiter in vielen deutschen Medien auf der Seite 1 erscheinen und in Talkshows ein gern gesehener Gast sein, weil Sie für Quote sorgen, beliebt machen Sie sich nicht damit und das Verständnis für die Sorgen Ihres Landes wächst damit nicht in der deutschen Bevölkerung.

Man sollte sich, so der merkwürdige Rat von Herrn Melnyk, in Deutschland Gedanken darüber machen, wieso viele Ukrainer „keine Lust haben, hier zu bleiben.“ Und der Botschafter fügt hinzu, dass aus Sicht der Ukrainer Deutschland Verantwortung für viele Toten trage, weil es bislang keine schwere Waffen geliefert habe. Da hält man erstmal die Luft an und schüttelt mit dem Kopf, andere Zeitgenossen, mit denen ich über diese Äußerungen von Herrn Melnyk gesprochen habe, reagierten empört. Melnyk erwartet von Bundeskanzler Olaf Scholz, dass er bei seinem wohl bevorstehenden Besuch in Kiew die Lieferung deutscher Panzer in die Ukraine verspricht. Namentlich erwartet Melnyk unbedingt und sofort Marder-Schützenpanzer und Leopard-1-Kampfpanzer. Diplomatie hat er wohl nicht gelernt.

Nie waren die Deutschen hilfsbereiter

Unabhängig davon, ob und wann der Kanzler nach Kiew reist, allein oder in Begleitung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi, waren und sind die Deutschen im Fall der Ukraine so hilfsbereit wie nie zuvor. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine helfen Tausende von Deutschen, sie sammeln und spenden Medikamente, Kleidung und Lebensmittel, sie stellen Unterkünfte bereit, begleiten Hilfstransporte mit Decken und Verbandsmaterial(zitiert aus Tagesspiegel) ins bedrängte Land. Und entgegen der Gesetzeslage liefert Deutschland Waffen in ein Kriegsgebiet, wenn auch noch nicht die von Herrn Melnyk gewünschten schweren Waffen. Und trotz dieser Rekord-Hilfen fühlten sich, wenn man Melnyk glauben will, die Flüchtlinge aus der Ukraine hier nicht willkommen? Bis Ende April, entnehme ich weiter dem Berliner Tagesspiegel, haben die Deutschen insgesamt 752 Millionen Euro für die Ukraine gesammelt. Ist das nichts, Herr Melnyk? Es ist das höchste Spendenaufkommen für eine einzelne Kastastrophe in der Geschichte der Bundesrepublik, höher als nach dem Tsunami in Südostasien 2004, höher als nach der Flutkatastrophe an Ahr und Erft im letzten Jahr in Deutschland.

Ich habe mich immer gegen den Begriff der Willkommenskultur gewandt, fand und finde ihn zu hoch, zu hehr, weil ich weiß, dass Kritiker dagegen aufstehen und maulen und ihre Ansprüche anmelden, die angeblich wegen der Flüchtlingshilfe ausblieben. Aber ich habe immer für die Pflicht in Deutschland votiert, Hilfesuchenden Schutz zu gewähren mit Obdach, Medizin und Ernährung. Man kann täglich in den Medien lesen, wie Deutsche anpacken, um Menschen in Not zu helfen. Gerade Ukrainer bekommen das zu spüren, während andere aus Afghanistan und Eritrea und Syrien hintanstehen müssen. Und der Herr Botschafter Melnyk klagt darüber, dass die Flüchtlinge aus seiner Heimat hier nicht willkommen seien. Das sagt ein Botschafter, dessen Präsident Wolodymyr Selenskyj den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier ausgeladen hatte, als dieser mit anderen Amtskollegen aus der EU auf dem Weg nach Kiew war. Zugegeben, das Problem ist inzwischen ausgeräumt, aber der amtierende Botschafter des Landes in Berlin schürt weiter die unschönen Debatten.

Richtlinien der Politik bestimmt der Kanzler

Was die Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz angeht, Herr Melnyk, sei darauf hingewiesen, dass Sie nicht die Richtlinien der Politik dieser Republik bestimmen, sondern dies Sache des Kanzlers ist. Dessen Politik finde ich im Gegensatz zu Ihnen wohlüberlegt, nachdenklich, meinetwegen auch ein Stück weit zurückhaltend, weil er nicht Öl ins Feuer kippen will. Scholz hat alles zu und über Putin gesagt, den russischen Aggressor einen Kriegstreiber genannt, der den „Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen darf.“ So wörtlich. Er hat bewusst nicht gesagt, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss. Scholz will Russland, das immer noch eine Weltmacht ist mit Atomwaffen, nicht demütigen, er will im Zusammenspiel mit Macron, Draghi, mit der Nato und der EU, ein Ende des Krieges erreichen, einen Waffenstillstand, damit das Töten und Zerstören aufhört. Und er will zusammen mit dem gesamten Westen alles dafür tun, dass der Krieg nicht ausgeweitet wird auf das übrige Europa, auf Polen, das Baltikum, Deutschland. Scholz Argumentation ähnelt der des großen einstigen USA-Außenministers Henry Kissinger, die behutsamer ist als manches Kriegsgeschrei von deutschen Politikern und Journalisten. Die Jahrhundert-Persönlichkeit Kissinger, der aus dem fränkischen Fürth stammt und dessen Familie, weil Juden, vor den Nazis flüchten mussten, hatte sich der Kritik des ukrainischen Präsidenten Selenskyi zu erwehren: Kissinger betreibe eine Art Appeasement-Politik wie einst Chamberlain gegenüber Hitler, also Beschwichtigungspolitik, die zum Münchner Abkommen führte. Ein Vergleich, der total daneben ist.

Bisland hat kein Nato-Mitglied Kampfpanzer westlicher Bauart geliefert. Der Leopard1 gehört in diese Kategorie. Melnyk sollte auch vor seinen Wortmeldungen bedenken, dass diese an der Grenze zu Russland nicht haltmachen. Wer also genaue Zeitpläne über die Lieferung von Panzern und anderen Waffen bekanntgibt wie Melnyk das getan hat, indem er ankündigte, bis zum 22. Juni würden die von der deutschen Regierung versprochenenen Panzerhaubitzen geliefert und danach Gepard-Flugabwehrpanzer, riskiert, dass diese auf dem Weg nach Kiew angegriffen und zerstört werden. So hat es der Sicherheitsexperte Carlo Marsala von der Bundeswehr-Uni in München an die Adresse von Melnyk ausgedrückt: „Wollen Sie die Panzer auf dem Schlachtfeld haben oder sollen sie bereits vor ihrer Ankunft zerstört werden?“

Melnyks Klage über die angeblich fehlende Hilfsbereitschaft auf deutscher Seite wurde übrigens von der RBB-Journalistin Maria Ossowski auf Facebook gekontert. In einem offenen Brief erinnerte die Journalistin des Rundfunks Berlin-Brandenburg an Hilfen ihrer Freunde, die teils ihre Wohnungen und Datschen ukrainischen Flüchtlingen überlassen hätten oder diese Wohnung mit ihnen teilten. Sie nennt ihre Freunde alle mit Namen, „die Sie nicht kennen“. Dann bietet sie Herrn Melnyk an, „wenn Sie mehr wissen möchten“, „wir alle sind nicht sehr wohlhabend“, „unsere Wohnungen sind zu klein“, würde man „Sie gern in Ihrer Residenz in Zehlendorf besuchen oder in ihrer Botschaft, um über die Hilfsbereitschaften zu berichten. „Machen Sie sich aber bitte wegen der Verpflegung keine Mühe. Ich freue mich auf Ihre Antwort.“

Bei allem Verständnis für die schwierige Lage der Ukraine: Botschafter Andrij Melnyk stößt jene vor den Kopf, deren Hilfe er und sein Land wünschen und brauchen.

Bildquelle: Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons

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Tags: Andrij MelnykKriegsschuld DeutschlandMelnyk Kritik an den DeutschenMelnyk Kritik an DeutschlandUkraine-KriegWaffenlieferungen
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