Der Bundeskanzler redet vom „Herbst der Reformen“, der Sozialstaat sei so nicht mehr bezahlbar. Aber wer soll die Reformen bezahlen? Wer ist der Sozialstaat? Doch wir alle, die Reichen und die Armen. Es muss erwirtschaftet werden, was nachher zu verteilen ist, damit es gerecht oder zumindest gerechter zugeht. An die Wohlhabenden will Friedrich Merz, der selber angeblich über ein Vermögen von 12 Millionen verfügen soll, nicht ran, obwohl auch er weiß, dass Vermögen in Deutschland ungleich, ja ungerecht verteilt ist.
In der Haushaltsdebatte lehnte er auch Forderungen aus den eigenen Reihen ab, die Reichen stärker zu belasten. Wörtlich sagte Merz im Bundestag: „Wir können die sozialen Versprechen nicht halten, indem wir wenigen, und seien sie auch noch so vermögend, möglichst viel wegnehmen von dem, was sie haben.“ Gut gebrüllt, Löwe, nur bläst Merz mit dieser Art der Argumentation in das übliche Horn der Konservativen: Hände weg von den Reichen, den Milliardären und Multi-Millionären. Um auch Vorurteile zu bedienen: Das sind nämlich die, die man Abends im Klub trifft, auf dem Golfplatz oder den teuren Plätzen der Rennbahn oder der Fußball-Bundesliga. Da ist es doch einfacher, den normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, also den insgesamt 42 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Kosten aufzudrücken. Sie können sich nicht so wehren in der Öffentlichkeit wie die Reichen und Superreichen, die leichter an die Mikrophone und damit in die Sender kommen, um nur die Rundfunk- und Fernsehanstalten anzusprechen.
Wohlhabende nicht schonen
Anders als Merz hat der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer(SPD) kürzlich in einem Interview betont: „Es gibt in Deutschland eine steigende Zahl von Deutschen, die ihren Lebensunterhalt nicht aus Erwerbsarbeit bestreiten, sondern davon leben, dass sie hohe Vermögen, Aktien, große Erbschaften besitzen. Diese Menschen werden im Verhältnis viel, viel weniger besteuert als Menschen, die Lohnsteuer zahlen. Ich rede über Multi-Millionäre und Milliardäre. Diese stärker zu fordern, sollte politischer Konsens sein, auch zwischen SPD und CDU/CSU“. Sollte, müsste, ist es aber nicht, weil einer wie Merz das ablehnt, wie er das im Parlament wörtlich gesagt hat. Die Wohlhabenden werden geschont, mehr noch, der Kanzler steht sogar im Verdacht, den Super-Reichen die Steuern senken zu wollen, also den Quands und Klattens, denen ein Großteil von BMW gehört, den Albrechts(die mit Aldi ihre Milliarden verdient haben). Um nur einige zu nennen. Wer hat, dem wird gegeben.
Reich wird man in Deutschland durch Zockerei an den Finanzmärkten, durch Vermietung, Verpachtung, große Erbschaften. Um das gleich klarzustellen, weil das immer wieder bewusst falsch ins Spiel gebracht wird: Hierbei geht es nicht um Oma ihr klein Häuschen. Und weiter gilt es klarzustellen: es ist auch nicht so, dass man an viele Vermögen gar nicht herankomme, weil es in Bildern oder in Maschinen stecke, eben in Betrieben, die man nicht gefährden dürfe. Auch konservative Journalisten erzählen diese Märchen gern. Denen halte ich gern entgegen, dass es eher um die Zweit-Yacht geht, die man sich irgendwo an feinen Stränden hält. Und es geht darum, dass in Deutschland die Zahl der Betriebsprüfungen in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen ist . Und mit dieser Entwicklung sank auch die Summe der nachträglich eingetriebenen Steuern. Und damit stieg auch der Verdacht, die Zahl der Steuerhinterziehungen nähme zu.
Selbst Unions-Fraktionschef Jens Spahn, gewiss kein Sozialist, hat vor Tagen Ungerechtigkeiten in der Verteilung des Vermögens in der Republik eingeräumt. Die Schere zwischen Arm und Reich geht im Lande weiter auseinander. Eine gefährliche Entwicklung für das Gleichgewicht der Kräfte, das längst nicht mehr gegeben ist. Unruhe macht sich bemerkbar, die Zufriedenheit mit dem System in Deutschland sinkt. Wenn das Geld gleichmäßig verteilt wäre, könnten alle über ein Vermögen von 200000 Euro verfügen. Hörte ich vor Wochen im Radio. Aber davon sind wir weit entfernt. 80 Prozent der Menschen in Deutschland mit unteren und mittleren Einkommen haben gerade mal 10 Prozent des Volksvermögens, die restlichen 90 Prozent liegen in den Händen der Reichsten im Lande, also den 20 Prozent.
Wir können schon länger nicht mehr davon reden, dass wir in Deutschland Chancengleichheit hätten. Das führt zu Diskussionen, schürt die Unzufriedenheit selbst bei denen, die sich noch im Mittelfeld der Liga sehen, aber den Sog eines Abstiegs verspüren. Und weil das so ist, ist auch auf mittlere Sicht der Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet. Ich gehe nicht so weit, zu behaupten, dass nur noch Kinder von Akademiker-Eltern Chancen auf einen Aufstieg haben, aber ihre Chancen sind weitaus größer als die aus „normalen“ Arbeitnehmer-Familien.
Millionen leben unter der Armutsgrenze
Millionen Menschen in Deutschland leben unter der Armutsgrenze, Tausende und Abertausende Kinder wachsen hier bei uns in Armut auf. Frauen sind besonders armutsgefährdet, weil sie oft in Teilzeit arbeiten, damit auch weniger Rentenanteile erwerben, schlechter bezahlt werden. Millionen Frauen sind alleinerziehend.
Aber Friedrich Merz lässt die Wohlhabenden ihren Reichtum genießen, dabei könnten sie sehr wohl einen großen Teil der Lasten tragen, man müsste es nur von ihnen fordern. Man müsste die Vermögenssteuer wieder aktivieren. Sie steht im übrigen im Grundgesetz. Aber keiner wagt sich daran. Man könnte große Erbschaften stärker besteuern. Man könnte den Spitzensteuersatz wieder anheben, den ausgerechnet der SPD-Kanzler Gerhard Schröder damals auf 42 Prozent abgesenkt hatte.
Der Bundeskanzler fordert von seinem Koalitionspartner SPD Entgegenkommen in der Flüchtlingspolitik. Das Bürgergeld soll gekürzt, Milliarden Euro sollen eingespart werden durch die Bekämpfung von Missbrauch. Man kennt die Beispiele in Duisburg, die der dortige Oberbürgermeister Sören Link(SPD) öffentlich gemacht hat. Link hat nach dem Desaster der SPD bei den NRW-Kommunalwahlen den Sozialbetrug in seiner Stadt angeprangert. Er tut das seit längerem. Allein in Duisburg sind Link zufolge rund 29000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien gemeldet, viele leben in Schrott-Immobilien und beziehen Bürgergeld, das nicht selten von kriminellen Hinterleuten abkassiert wird. „Es muss Schluss sein mit der Zuwanderung in unsere Sozialsysteme“, hat Link betont im Gespräch mit der SZ. Knapp die Hälfte der Bezieher von Bürgergeld und Mietzuschüssen haben ausländische Wurzeln, vor allem die Flucht aus der Ukraine hat die Bezugszahlen stark steigen lassen.
Es könnte sein, dass die SPD ihren Kurs verändern muss. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dessen SPD-Mitgliedschaft während seiner Amtszeit ruht, hat Reformen angemahnt. „Wir haben es in der Hand, ob die aktuelle Debatte ins Nirwana laufen oder gar scheitern wird- oder ob es uns gelingt, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: unseren Sozialstaat wieder einmal zukunftsfähig zu machen und zu beweisen, dass Politik Probleme tatsächlich sachlich lösen kann.“ Steinmeier weiß, was er sagt, wenn er sich aus dem Fenster hängt. Der Bundespräsident mischt sich nicht in die Tagespolitik ein, aber als Macher der Schröderschen Agenda-Reformen hat er einen Ruf. Er fordert, und das geht auch an die Adresse der Sozialdemokraten, den Sozialstaat effizienter zu machen und bürgerfreundlicher. „Sie alle spüren es- es ächzt im System.“ Was auch bedeutet, wenn die Kosten aus dem Ruder liefen, müsse gegengesteuert werden. Wer arbeitsfähig sei, müsse in Arbeit gebracht werden. Eigentlich selbstverständlich. Und natürlich müssten im Sozialstaat Bürokratie. Doppelstrukturen und Betrugsanfälligkeit abgebaut werden.
SPD ist die Partei der Arbeitenden
Kommen wir zurück zu Sören Link aus Duisburg, einem der wenigen Wahlsieger der SPD bei den Kommunalwahlen in NRW. Für ihn sei die Partei immer die Partei der Arbeitenden gewesen, deshalb sei er 1993 eingetreten in Deutschland älteste Partei. „Wir müssen gemeinsam wieder dahin kommen, dass wir bundesweit auch so wahrgenommen werden“, sagt er. Wer jeden Morgen zur Arbeit gehe, müsse am Ende des Monats deutlich mehr auf dem Konto haben als jemand, „der es sich in unserem Sozialsystem bequem gemacht hat.“ Deutliche Worte, scharfe Worte, die mich an Horst Seehofer und Markus Söder aus Bayern erinnern und die ich immer kritisiert habe. Jetzt muss ich akzeptieren, dass die Realität anders aussieht, als ich mir das vorgestellt habe. Wenn das so ist, wie es Sören Link beschrieben hat, bedarf es harter Korrekturen. Der arbeitende Teil empfindet das als ungerecht, zu Recht muss ich hinzufügen. Die SPD muss sich weiter kümmern um die, die in Not geraten, und denen helfen. Wer das System aber missbraucht und es ausnützt, der muss mit Sanktionen rechnen. Und vor allem muss, wie Link gesagt hat, gegengesteuert werden, damit der Missbrauch nicht mehr passiert.
Es ist Bewegung gekommen in die Politik, auch in die Debatte um Sicherheit und Sauberkeit in den Städten des Ruhrgebiets. Der Blog-der-Republik hat vor der Kommunalwahl ein Interview mit dem Lokalchef der WAZ in Gelsenkirchen geführt. Ungeschminkt wurden in dem Gespräch die Probleme benannt, wurde kritisiert, dass es Menschen gibt, die einfach ihren Müll auf die Straße werfen, quasi den anderen vor die Nase. Dass dieses Verhalten die „normalen“ Bürgerinnen und Bürger verärgert, ja wütend macht, kann ich verstehen. Man darf das nicht einfach hinnehmen, notfalls müssen die Mülltüten von Fachleuten geprüft werden, es werden sich Hinweise finden, wer der Wegwerfer war. Und dann muss derjenige mit Strafen rechnen.
Die SPD ist unter Druck geraten. Die Praktiker vor Ort fordern Veränderungen, fordern, dass endlich gemacht und nicht länger geredet wird. Der Zustand der Infrastruktur, der Straßen, der Schulen, die Folgen der Migration, die Unsicherheit der Arbeitsplätze, alles Probleme vor allem in den Revierstädten, treibt Wählerinnen und Wähler in die Arme der rechtsextremen AfD, die selber keine Lösungen anbietet, sondern nur anklagt, was verrottet ist und so aussieht. Die „in weiten Teilen zu einer Akademikerpartei gewordene SPD kümmere sich zu wenig“ um die Alltagssorgen der Menschen.
Der Sozialstaat ist unser aller Staat
Aber auch das muss klar sein: Wenn die SPD, zugegebenermaßen wegen ihres miserablen Abschneidens bei der Bundestagswahl im Frühjahr der kleinere Partner in der schwarz-roten Koalition, beisteuern, korrigieren muss, um ihre früheren Anhänger wieder zu gewinnen, wird auch der größere Koalitionspartner, die CDU und CSU sich verändern müssen, wird der Kanzler die Reichen nicht länger schonen dürfen, um den Frieden im Land beizubehalten. Denn es rumort in den alten Volksparteien, in der SPD wie der Union. Der Sozialstaat, um das zu wiederholen, ist unser aller Staat, den wir alle bezahlen mit Beiträgen und Abgaben und Steuern. Der Sozialstaat, das ist die Rente, das sind die Versicherungen gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit, die Pflege, das ist aber auch das Kurzarbeitergeld, das Unternehmen kassieren, damit sie ihre Beschäftigten nicht kündigen müssen. Wirtschaft und Soziales sind nicht gegeneinander gerichtet, sie bedingen einander, damit es funktioniert, der Sozialstaat, die Löhne und Gehälter, die Einkommen der Unternehmer, die ebenso nicht stagnieren dürfen, weil sie ja investieren müssen, damit es weitergeht.
Um es mit Alexander Schweitzer zu sagen: Gekürzte Sozialleistungen sind genauso der falsche Weg wie die Behauptung, am Sozialstaat dürfe sich nichts ändern. SPD und Union müssen raus aus diesen Grabenkämpfen…Wer unseren Sozialstaat erhalten will, muss ihn modernisieren“. Diese Debatte müssen wir führen, prägen. Wir alle. Wir sind der Staat.













