Wenn man schreckliche Kriegsereignisse als „Zeitenwenden“ verstehen möchte, dann gibt es unzählige solcher „Meilensteine“, seit Geschichte für uns greifbar ist. Ganz sicher aber ist der Atombombenabwurf der USA auf Hiroshima ein Wendepunkt, der an Grausamkeit und Unnötigkeit kaum zu überbieten ist. Hiroshima steht für die radikalste Verletzung menschlicher Würde durch Technologie und Machtpolitik. Die Tötung von Zehntausenden Zivilisten in Sekunden gilt als Tiefpunkt in der moralischen Geschichte des modernen Kriegs. Und zum ersten Mal beging eine Demokratie eine derart bewusste und tiefgreifende Verletzung des humanitären Völkerrechts.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs stand Japan nach überwiegender Einschätzung von Historikern und Militärexperten kurz vor der Niederlage. Dennoch befahl US-Präsident Harry S. Truman während der Potsdamer Konferenz den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima. Am 6. August 1945 um 8:15 Uhr wurde durch einen zivilisatorischen Dammbruch eine ganze Stadt ausgelöscht: ca. 70.000–90.000 Menschen starben sofort, weitere 50.000–60.000 – überwiegend Frauen und Kinder – bis zum Jahresende an Strahlenkrankheit und schweren Verletzungen. Bis etwa 1950 waren es über 200.000 Tote. Ziel war nicht nur ein wichtiger Militärstützpunkt, sondern auch eine Stadt, die bislang kaum vom Krieg betroffen war – ein idealer Ort für die „Wirkungsanalyse“ dieser neuen Waffe an einer intakten Stadtstruktur.
Die Bombe wurde gezielt morgens abgeworfen – in der Annahme, dass viele Menschen auf dem Weg zu Arbeit, Schule oder in militärische Einrichtungen seien. Die Bilanz: über 70 % der Stadt zerstört, rund 12 km² betroffen. Ein Drittel der Bevölkerung starb direkt, insgesamt verloren fast zwei Drittel der rund 350.000 Einwohner ihr Leben – darunter auch viele Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus Korea und China.
Drei Tage später, am 9. August 1945, folgte der Abwurf der zweiten Atombombe auf Nagasaki. Die japanische Regierung hatte bis dahin – abgesehen von diplomatisch hilflosen Versuchen über die Sowjetunion – nicht reagiert. Für die USA war es auch eine Gelegenheit, eine andere Bombentechnologie zu testen: Auf Hiroshima war eine Uran-Bombe („Little Boy“, ca. 15 Kilotonnen TNT) eingesetzt worden, in Nagasaki eine stärkere Plutonium-Bombe („Fat Man“, ca. 21 Kilotonnen TNT). Zum Vergleich: Beim Angriff auf Dresden im Februar 1945 kamen etwa 4 Kilotonnen Sprengkraft zum Einsatz, beim Kölner „1000-Bomber-Angriff“ etwa 1,4 Kilotonnen. Nebenbemerkung: In den heutigen Arsenalen befinden sich Atomwaffen, die in Megatonnen gemessen werden, also mehrere tausendmal stärker sind als die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Insgesamt geht man von ca. 12.500 Atomsprengköpfen aus mit 7.500 Megatonnen Sprengkraft, was mehrere Male ausreichen würde, um die gesamte Erde zu zerstören. Jede Stadt über 100.000 Einwohner auf dieser Welt könnte ca. 40-mal mit der Zerstörungskraft einer Hiroshimabombe vernichtet werden!
Die offizielle US-Rechtfertigung für Hiroshima lautete: Der Einsatz der Atombomben habe den Krieg verkürzt und das Leben von bis zu einer Million US-Soldaten gerettet. Diese Behauptung wurde nie unabhängig belegt. De facto wurde der Massenmord an feindlichen Zivilisten als das „kleinere Übel“ betrachtet – gegenüber dem Risiko eigener Verluste. Natürlich sind diese Angriffe auch im historischen Kontext der Gräueltaten Nazi-Deutschlands und des japanischen Imperialismus zu sehen – doch moralisch bleibt der Angriff ein Bruch mit den Grundprinzipien der Menschlichkeit. Schon damals ein Verstoß gegen geltende Kriegsregeln – aus heutiger Sicht ein Kriegsverbrechen.
Auch die Nachsorge durch die USA war moralisch fragwürdig. Es gab keine gezielte Hilfe für Überlebende. Die medizinische Versorgung war minimal, viele Helfer waren selbst verletzt. Wasser war knapp – kontaminiertes Regenwasser wurde getrunken, was die Opferzahlen weiter erhöhte. Nach der Kapitulation rückten US-Truppen zwar in Hiroshima ein, doch sie konzentrierten sich vor allem auf wissenschaftliche Datenerhebung (z. B. durch die „Atomic Bomb Casualty Commission“ ab 1947). Medizinische Hilfe oder Unterstützung wurden kaum geleistet.
Hiroshima wurde zum Symbol: nicht nur für den moralischen Tiefpunkt des modernen Kriegs, sondern auch für den Beginn der globalen Abrüstungsbewegung, für pazifistische Ideale, für die Hoffnung auf eine Welt ohne Atomwaffen.
Weltweit herrschten Schock und Fassungslosigkeit. Auch viele alliierte Regierungen äußerten Kritik. Die US-Öffentlichkeit jedoch befürwortete mehrheitlich den Einsatz. Die neu gegründete UNO richtete im Januar 1946 die „United Nations Atomic Energy Commission“ ein. 1955 fand in Hiroshima die erste Weltkonferenz gegen Atom- und Wasserstoffbomben statt. Doch es dauerte lange, bis die Menschheit erkannte, dass diese Waffen nicht nur Städte, sondern die gesamte Zivilisation bedrohen.
Die Erinnerungskultur in Japan begann früh: 1947 fand der erste Gedenktag statt, 1955 eröffnete das Hiroshima Peace Memorial Museum. In den 1970ern wurde Hiroshima an das Schnellzugsystem angebunden, um Schulklassen die Teilnahme an Bildungsprogrammen zu ermöglichen. Seit 1964 nehmen internationale Gäste an den Gedenkfeiern teil. Heute ist der Friedenspark mit der Atombombenkuppel UNESCO-Weltkulturerbe. Das Gedenken ist fester Bestandteil der japanischen Bildung.
Währenddessen gehören Japan und Deutschland – die Hauptverursacher des Zweiten Weltkriegs – heute wieder zu den zehn größten Militärmächten. In Deutschland wurde nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ein historischer Aufrüstungsprozess gestartet, und auch Japan verabschiedete sich vom Status der rein defensiven „Friedensarmee“. Die einstigen Lehren aus Hiroshima scheinen politisch verblasst zu sein.
In Japan wurde Hiroshima zum moralischen Mahnmal. In Deutschland wäre eine ähnliche Tiefe des Gedenkens wünschenswert – insbesondere mit Blick auf den Holocaust und andere Verbrechen des Nationalsozialismus. Vielleicht wären rechtsextreme Tendenzen und demokratiefeindliche Kräfte wie die AfD heute weniger stark, wenn die Erinnerung noch stärker Teil unserer kollektiven Kultur wäre.
HIROSHIMA MAHNT
Zwischenzeitlich können die USA und Russland als führende Atommächte mit ihren Atomwaffen über 50 Mal!!!
die Welt vernichten, wobei 1 Mal schon ausreichend ist!
Das genügt aber offensichtlich den Ideologen nicht, so dass eine weitere Abschreckung mit sinnloser konventioneller Aufrüstung durch den Westen betrieben wird. Sie alle haben die Mahnung von Hiroshima nicht verstanden.
Bewohner dieser Erde bedrängt die Regierenden auf Abrüstung, Frieden, Demokratie und weltweitem Wohlstand!
Ein hervoragender Artikel! Eine Mahnung in Zeiten des Rüstungswahn und der Kriegsrhetorik. Auch wenn seine Lektüre Grauen erregt – es muß gesagt werden, damit auch die nachfolgenden Generationen daran erinnert werden, zu welchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Herrschenden damals (wie heute) in der Lage und fähig sind.