Dass Donald Trump seine Agenda vom ersten Tag seiner zweiten Präsidentschaft rücksichtslos durchsetzen wird, war zu erwarten. Dennoch hofft man, dass es doch nicht so kommen wird. Nun hat sich Trump-Amerika aus dem sog. Westen verabschiedet. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die Trump-Vance-Bande im Weißen Haus der Forderung von Elon Musk nachkommen und aus der UNO und NATO austreten wird. Zeitgleich mit seiner Strategie, die amerikanische Demokratie (checks and balances) zu zerstören, haben sich Donald Trump und mit ihm alle, die seine brutale Ruchlosigkeit erst ermöglicht haben, ins Lager der nationalistischen und imperialistischen Autokraten begeben: Xi, Putin, Netanjahu, Orbán. Mit ihnen versucht er sich die Welt gefügig zu machen und neu aufzuteilen. Dabei liegt ein Schwerpunkt darin, vor allem demokratisch und rechtsstaatlich ausgerichtete Gesellschaften mit dem Gift der systematischen Lüge zu zersetzen.
In dieser mehr als herausfordernden Lage müssen die europäischen Staaten zwei Herausforderungen gerecht werden:
- Zum einen geht es darum, die europäische Friedens- und Sicherheitspolitik ohne die USA neu auszurichten.
- Zum andern – und das ist noch wichtiger – müssen sich die europäischen Gesellschaften so resilient, widerstandsfähig machen, dass ihre demokratische und rechtsstaatliche Verfasstheit in der Auseinandersetzung mit autokratischen Systemen erhalten bleibt.
Das Gute im Schlechten: Europa bleibt zunächst der unerträgliche Spagat erspart, unter der Führung eines autokratischen Herrschers wie Trump die nationale Integrität und Souveränität sowie die Freiheit und Demokratie in der Ukraine gegen den Aggressor Putin-Russland zu verteidigen. Das kann und darf nicht funktionieren. Insofern ist es nur konsequent, dass sich die Trump-Vance-Bande im Weißen Haus eindeutig auf die Seite Putins geschlagen hat und gegenüber der Ukraine eine rüde Erpressungspolitik betreibt.
Ob aber Europa der jetzt eingetretenen Situation gerecht werden kann, wird vor allem davon abhängig sein, die neu entstandene Situation in erster Linie nicht als eine militärische Herausforderung zu begreifen. Vielmehr muss im Mittelpunkt stehen, die Ukraine als souveränen Staat zu erhalten, in dem sich Demokratie und Rechtsstaat entwickeln können. Das wird nicht gelingen können mit einer rein militärisch ausgerichteten Politik. Der wichtigste friedenspolitische Beitrag ist, dass sich die europäischen Staaten weiter als freiheitliche Demokratien verstehen und als solche international agieren, d.h. diesem Ziel ihre sonstigen Interessen unterordnen. Voraussetzung dafür ist, dass die europäischen Staaten im Innern viel größeres Gewicht auf gerechte Teilhabe ihrer Bürger:innen an Bildung, Arbeit, Einkommen, Wohnen legen, anstatt jetzt mit schwindelerregenden Milliardensummen für eine unbegrenzte Aufrüstung um sich zu werfen.
Für die Politik der neuen Bundesregierung bedeutet dies: Angesichts der alltäglichen Probleme vieler Menschen, bezahlbaren Wohnraum zu finden, auskömmliche Löhne und Renten zu erhalten, angemessene Bildungseinrichtungen und zukunftsorientierte Arbeitsplätze zu finden, wirken die avisierten Kosten für die militärische Aus- und Aufrüstung in Höhe von hunderten Milliarden Euro grotesk, demotivierend und politisch gefährlich. Im Mittelpunkt des politischen Handelns darf nicht die Destruktion/Rüstung stehen, sondern die Stabilisierung der demokratischen Verfasstheit der Gesellschaft. Allein die düstere Annahme, die hoffentlich nie Realität werden wird, dass in vier Jahren einer AfD-geführten Bundesregierung ein hochgerüsteter Gewaltapparat überlassen wird, muss heute jede:n Demokraten:in alarmieren und dazu veranlassen, die Schwerpunkte richtig zu setzen.
Als Sozialdemokrat hoffe und wünsche ich, dass diese Überlegungen zumindest die SPD dazu veranlasst, die fatale Rede von „Kriegstüchtigkeit“ zu verlassen und die Nadel auf dem Kompass der Sozialdemokratie wieder friedenspolitisch auszurichten. Es besteht aller Anlass, voller Empathie und Überzeugung von der friedenspolitischen Ertüchtigung der freiheitlichen Demokratien nicht nur zu reden, sondern diese auch politisch umzusetzen – im Innern wie nach außen.
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Dieser Beitrag wurde am 6.3.2025 im Blog unseres Autors Christian Wolff erstveröffentlicht