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Home Politik

Lagerung radioaktiver Abfallstoffe: Mission Impossible? Eine faire und transparente Standortsuche.

Michael Müller Von Michael Müller
13. Juli 2015
Atommülldeponie Asse

Die bisherige Geschichte der Atommülllagerung ist eine Geschichte der Probleme und Fehlschläge. Und zwar in allen Ländern, die Atomenergie nutzen. Im Bild Asse. Einst das Vorzeigemodell. heute nun eine undichte Deponie-Ruine, die schnellstens geräumt werden muss.

Wohin mit den radioaktiven Abfällen, die sich seit Jahrzehnte ohne gesicherte Verwahrung anhäufen? Nicht nur in Deutschland, nirgendwo auf der Welt gibt es eine Lösung. Die Antwort auf diese Frage wurde in der kurzen Geschichte der Atomenergie in Deutschland immer wieder verdrängt, ja lange Zeit sogar die Frage selbst. Verstecken, verschieben, verlagern oder auf andere Zeiten und neue Technologien hoffen, das alles geht nicht mehr. Der Ausstieg aus der Atomenergie steht fest, spätestens im Jahr 2022 wird das letzte kommerzielle AKW in unserem Land abgestellt werden. Dann ist es auch vorbei mit der Lagerung des radioaktiven Abfalls an den Kraftwerken, die nämlich zügig abgebaut werden sollen. Das heißt: Das Schlusskapitel muss endlich geschrieben werden. Und Deutschland muss den selbst produzierten radioaktiven Abfall auch selbst entsorgen, möglichst schnell.

Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat haben deshalb kurz vor der Bundestagswahl im September 2013 beschlossen, die Suche nach einem sogenannten Endlager für Atommüll neu zu starten. Danach soll ein Standort insbesondere für hoch radioaktive Abfallstoffe gefunden werden, „der die bestmögliche Sicherheit für eine Millionen Jahre gewährleistet“, wie es im Standortauswahlgesetz (StandAG) heißt, das am 23. Juli 2013 im Bundestag verabschiedet wurde. Das soll eine Kommission leisten, die aus 32 Mitgliedern besteht mit zusätzlich zwei Vorsitzenden, die die Sitzungen im Wechsel leiten und den Prozess moderieren. Das Gremium konstituierte sich am 22. Mai vergangenen Jahres. Sein Ziel ist der Vorschlag für ein faires Standortsuchverfahren, das dann in Politik und Gesellschaft eine breite Zustimmung finden soll.

Sicherheit muss an erster Stelle stehen

Dass eine dauerhaft sichere Lagerung von hoch radioaktiven Abfällen notwendig ist, das muss jedem einleuchten – unabhängig davon, auf welcher Seite sie oder er in der langen Auseinandersetzung um die Atomkraft gestanden hat. Theoretisch ist dieses Ziel auch akzeptiert. Doch konkret sieht es anders aus, alte Schlachten, tiefe Wunden und massive Interessen wirken bis heute nach. Es darf weder Ignoranz noch Blindheit geben, Sicherheit muss an erster Stelle stehen. Der konkrete Vorschlag muss eine breite Mehrheit finden. Deshalb muss die Kommission die Regeln und Kriterien für das Suchverfahren vorher festlegen, damit die Standortauswahl am Ende nicht wie im Falle Gorleben als willkürlich erscheint.

Die sichere Verwahrung des Atommülls verlangt uns eine große Gemeinschaftsanstrengung ab. Dabei muss aber klar bleiben: Es gilt das Verursacherprinzip. Die Atomkraftbetreiber müssen für die bestmögliche Sicherung der von ihnen produzierten Abfälle bezahlen. Wer radioaktive Abfallstoffe verursacht hat, muss auch für deren dauerhafte Verwahrung an einem Standort mit bestmöglicher Sicherheit aufkommen. Aber die Aufgabe darf den Atombetreibern allein nicht überlassen bleiben. Im Gegenteil: Notwendig ist eine starke staatliche Aufsicht und Kontrolle.

Es muss uns mit Sorge erfüllen, dass zuletzt auch ein vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten die Haftung der Verursacher auf lange Sicht nicht für sicher gewährleistet hält. Durch die gesetzlichen Rückstellungen der Atomkraftbetreiber für den Abbau von Kraftwerken und die Lagerung des Atommülls, die sogar steuerlich privilegiert sind, müssten bis jetzt rund 38 Milliarden Euro angesammelt worden sein. Sie sind auch in den Bilanzen, aber nicht festgelegt in einem Fonds oder einer öffentlichen Stiftung. Sie müssen erst von den Atomkonzernen zur Verfügung gestellt werden. E.on hat seine Atomanlagen freilich schon in eine neue Firma ausgelagert.

Summe wird bei weitem nicht ausreichen

Ernstzunehmende Rechnungen und Annahmen lassen zudem befürchten, dass die genannte Summe bei weitem nicht ausreichen wird, die gestellten Aufgaben zu erfüllen. Doch es darf nicht sein, dass am Ende die öffentliche Hand maßgeblich den Aufbau der Atomenergie subventioniert hat und nun auch für die Hinterlassenschaft hohe Summen zahlen muss, während in der Laufzeit der AKWs ihre Betreiber viel, sehr viel Geld verdient haben.

Es ist dringend erforderlich, die Rückstellungen in einen öffentlichen Fonds zu überführen und auch die Frage einer eventuellen Nachschusspflicht rechtssicher zu klären. Zu befürchten ist, dass über die Bereitstellung der bisherigen Rückstellungen noch heftige Auseinandersetzungen zu erwarten sind, denn die Atomkraftbetreiber sind längst nicht mehr in der starken wirtschaftlichen Stellung, in der sie viele Jahre waren. Und das auch durch eigene Schuld: Erst wollten EnBW, E.on, RWE und Vattenfall den Atomausstieg verhindern, dann haben sie die Energiewende bekämpft oder verschlafen und jetzt geben sie die wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf die Beschäftigten weiter und üben damit einen starken Druck auf die Politik aus.

Wie im StandAG vorgegeben, suchen die Vertreter von Bundestag und Bundesrat in Abstimmung mit der Wissenschaft und Vertretern wichtiger gesellschaftlicher Gruppen sich für eine sichere Verwahrung des Atommülls zu einigen und dabei von Anfang an auch den Dialog mit der Bevölkerung. Die Kommission soll eine Beteiligung der Öffentlichkeit nicht erst dann vorsehen, wenn der Vorschlag da ist, sondern über den gesamten Prozess des Verfahrens. Kurz: Die Öffentlichkeit muss von Anfang an intensiv an der Auswahl beteiligt werden.

Für Deutschland ein Novum

Das ist für Deutschland ein Novum. Bislang wurden alle Standorte – vom Atommülllager Asse bei Wolfenbüttel über das Endlager Morsleben in Sachsen-Anhalt und den Salzstock Gorleben in Niedersachsen bis hin zum Schacht Konrad in Salzgitter – ohne Bürgerbeteiligung ausgewählt. Betroffene Bürgerinnen und Bürger erhielten erst lange nach der Standortauswahl die Gelegenheit zur Stellungnahme. Auch deshalb, wegen dieser überheblichen und undemokratischen Vorgehensweise, hat sich in den letzten Jahrzehnten die Auseinandersetzung um den Atommüll immer mehr auf die Straße verlagert.

Die Kommission will dagegen das Internet nutzen, die Bevölkerung offen informieren und nichts verheimlichen. Die Sitzungen sind für Besucher öffentlich und werden im Internet und bei den Kommissionssitzungen auch im Fernsehen übertragen. Alle Unterlagen liegen für die Zuhörer aus und stehen im Netz. Dort finden sich die Protokolle der Sitzungen der Kommission und ihrer AGs sowie alle Papiere und Materialien, die zur Debatte standen. Zudem gibt es ein Internetforum über wichtige Fragen der Endlagerung. Kurz: Die Kommission sucht den Diskurs, dem sich allerdings auch kritische Gruppen stellen müssen, denen in hohem Maße das Verdienst zukommt, dass der Ausstieg aus der Atomkraft zur Mehrheitsmeinung in unserer Gesellschaft wurde. Umso wichtiger wäre die Bereitschaft, sich für die bestmögliche Lösung einzusetzen.

In der Kommission ist der Wille zu einem Konsens gegeben. Das drückt sich bereits in der Struktur der Kommission aus, die für eine beim Bundestag angesiedelte politische Kommission einzigartig ist. Dem Gremium gehören zwar acht Mitglieder aus dem Bundestag und acht Ländervertreter aus dem Bundesrat an. Diese 16 Politiker sind jedoch – genauso wie die beiden Vorsitzenden – in der Kommission nicht stimmberechtigt, wenn es am Ende um den Abschlussbericht mit Vorschlägen oder Empfehlungen an den Gesetzgeber zur Änderung des Standortauswahlgesetzes geht, ebenso bei der Festlegung der Kriterien und Regeln für das Suchverfahren.

Endbericht von  großem Gewicht

Stimmberechtigt sind dann allein die acht Kommissionsmitglieder aus der Wissenschaft und die acht Vertreter der Gesellschaft. Sie beschließen den Bericht. Zu letzterer Gruppe zählen zwei Vertreter der Industrie, zwei der Gewerkschaften, zwei der Kirchen und zwei Vertreter von Umweltverbänden.

Die Mitglieder der Kommission wissen aber auch, dass einem im Konsens beschlossenen Endbericht ein großes Gewicht zukommt. Von daher erprobt das Gremium schon in seiner Arbeit den Konsens, der auch die Standortauswahl bestimmen soll. Auf diese Weise bereitet die Kommission die Suche nach einer möglichst sicheren Lagerstätte seit einem Jahr vor, genau das ist die Aufgabe der Endlager-Kommission. Oder etwas bescheidener und wahrheitsgemäß: Sie bemüht sich ehrlich darum.

Die Arbeit der Kommission und ihrer Arbeitsgruppen

Die Kommission selbst sucht keinen Endlagerstandort. Sie schreibt einen Bericht mit Empfehlungen. Bundestag und Bundesrat sollen die Empfehlungen dann in das Standortauswahlgesetz aufnehmen. Zur Hälfte der geplanten Kommissionszeit ist ein Zwischenfazit möglich. Wir wissen nicht, ob wir in der verbleibenden Zeit, die von der Kommission jetzt um sechs Monate bis Mitte 2016 verlängert wurde, unseren Auftrag erledigen können, zumal der Endbericht insgesamt noch einmal öffentlich zur Diskussion gestellt werden soll. Aber eine längere Frist könnten nur vom Bundestag und Bundesrat beschlossen werden und die Arbeit würde dann wahrscheinlich auch über die derzeitige Legislaturperiode hinausreichen. Das wäre schon deshalb problematisch, weil die dann neuen Mehrheitsverhältnisse nicht vorausgesagt werden können, was auch bedeuten kann, dass das Verfahren noch einmal beginnen muss.

Insgesamt hat die Kommission also rund 2 ¼ Jahre Zeit. Dennoch sagt mancher: Typisch Politik, da wird wieder mehr als zwei Jahre geredet, statt zu handeln, statt gleich mit der neuen Endlagersuche zu beginnen. Wir sagen dagegen: Die Arbeit der Kommission geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern sie muss vor dem Hintergrund der konfliktreichen Geschichte der Atomenergie gesehen werden, den massiven Konflikten und unversöhnlichen Auseinandersetzungen. Denn die bisherige Geschichte der Atommülllagerung ist eine Geschichte der Probleme und Fehlschläge und eines daraus erwachsenen Misstrauens, das sich tief in die Gesellschaft hineingefräst hat und nicht einfach wieder weg geschoben werden kann. Deshalb sind es vor allem die Initiativen der Anti-Atombewegung, die in aller Härte die Konflikte persönlich erlebt haben und den vorgesehenen Zeitraum als viel zu kurz für eine neue Verständigung kritisieren.

Bundestag und Bundesrat haben das anders gesehen und auch die Endlager-Kommission sieht es so: Erstens sind es zeitliche Gründe, dass wir endlich zu einer Lösung des Problems kommen müssen, denn das letzte AKW in Deutschland soll spätestens im Jahr 2022 abgeschaltet sein. Die Produktion hoch radioaktiver Abfallstoffe in Deutschland endet in sieben Jahren, aus den Zwischenlagern dürfen keine Dauerlager werden. Zweitens kann die neue Standortsuche nur gelingen, kann sie nur zu einem akzeptierten Ergebnis führen, wenn sie bestens vorbereitet ist. Das ist möglich, noch besser wäre es, wenn die Vertreter der Bürgerinitiativen aus Gorleben ihr kritisches Wissen unmittelbar eingebracht hätten.

Die Suche nach einer sicheren Verwahrung muss fairen und transparenten Regeln folgen. Die Kriterien für den bestmöglichen Standort müssen vor dem Neustart feststehen. Nachträgliche Regeländerungen könnten nur als willkürlich, als Manipulation des Ergebnisses, der konkreten Standortentscheidung, empfunden werden. Sich transparent auf Auswahl-Regeln, Auswahl-Kriterien und Anforderungen an den gesuchten Standort zu verständigen, ist daher eine Hauptaufgabe der Kommission.

Größtenteils findet die sehr intensive Arbeit in Arbeitsgruppen statt. Hier eine Übersicht:

Die Arbeitsgruppe 1 beschäftigt sich mit den „Beteiligungsfragen“. Ihre Vorsitzenden sind der niedersächsische Landesbischof Rolf Meister und der Berliner Umweltjurist Hartmut Gassner. Die Leitlinie der Beteiligungsdebatte heißt: Mehr Demokratie wagen. In der AG arbeiten auch Vertreter von Bürgerinitiativen mit. Wir machen nicht die Fehler der Vergangenheit, denn bislang hat es in Deutschland nie eine Bürgerbeteiligung bei der Festlegung von Endlagerstandorten gegeben. Das soll geändert werden. Bei der neuen Standortsuche wird die Öffentlichkeit an jedem Auswahlschritt beteiligt.

Spätere Bürgerbeteiligung

Für die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Arbeit der Kommission und für die spätere Bürgerbeteiligung an der Standortsuche und den Genehmigungsverfahren sollen die gleichen Regeln gelten. Die Kommission ist verpflichtet, die Ergebnisse der Beteiligung, also auch die Ergebnisse von Bürgerveranstaltung, die von der Kommission durchgeführt werden (zuletzt am 20. Juni 2015), in ihrem Bericht berücksichtigen. Daher gilt: Beteiligen Sie sich, die Standortsuche fair und transparent zu gestalten.

In der Arbeitsgruppe 2 „Evaluierung“ werden die Vorschriften und Vorgaben zur Standortsuche überprüft, die das Standortauswahlgesetz bereits enthält. Sie wird geleitet von Klaus Brunsmeier, stellvertretender Vorsitzender des BUND, und Hubert Steinkemper, der früher Abteilungsleiter im Bundesumweltministerium war. Die AG 2 ist für das Juristische zuständig. Sie „evaluiert“ das Standortauswahlgesetz, klopft es auf Änderungsbedarf ab.

Mit den naturwissenschaftlichen und technischen Fragen der Endlagersuche befasst sich die Arbeitsgruppe 3 „Kriterien und Fehlerkorrekturen“. Sie bewertet unterschiedliche Wege zur sicheren Verwahrung von Atommüll, wie etwa die Dauerzwischenlager an der Erdoberfläche, die Endlagerung in tiefen Bohrlöchern oder auch in einem Endlagerbergwerk. Dabei favorisieren die Arbeitsgruppe und auch die Kommission eine Endlagerung in einem Bergwerk in Granit, Ton oder Salz. Endgültig hat sich die Kommission noch nicht auf diesen Entsorgungspfad festgelegt. Die Arbeitsgruppe erarbeitet auch die Mindestanforderungen, die ein Standort erfüllen muss, und die Kriterien zu seiner Bewertung.

Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich auch mit Fragen, die vernachlässigt wurden. Dazu gehören Reversibilität, Rückholbarkeit, Bergbarkeit und auch die Mutation. Verantwortlich sind Michael Sailer, Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts, und Armin Grunwald, der in Karlsruhe das Institut für Technologiefolgenabschätzung und Systemanalyse (KIT) leitet.

Eine kleinere Ad-hoc-Gruppe beschäftigt sich mit dem Leitbild und den Grundlagen der Kommissionarbeit. Für das Leitbild werden 10 Grundsätze erarbeitet.

Bei den Grundlagen wirft sie einen Blick auf die Entstehungsgeschichte der Nutzung der Atomenergie in Deutschland. Also dem Land, in dem mit der ersten Atomkernspaltung 1938 in Berlin-Dahlem die verhängnisvolle Geschichte begann. Die Atomkraft wurde schnell für militärische Zwecke genutzt, erst in den 1950er Jahren begann die Atomenergie, wobei es nur eine kurze Grenze zwischen militärischen und zivilen Interessen gab. Die Aufarbeitung der Geschichte zeigt auch die Versäumnisse im Umgang mit dem Atommüll auf. Diese Aufgabe ist der Kommission auch deshalb gestellt, weil in allen Veranstaltungen und Anhörungen genau das gefordert wird, damit es zu einem neuen Vertrauen und zu einer breiten Verständigung kommt. Diese beiden Aufgaben gehören zu der Pflichtaufgabe, zwei weitere Bereichen können als Kür bezeichnet werden, sind aber unverzichtbar, um zu einem Neustart zu kommen.

Umgang mit  komplexen Technologien

Zum einen will die Ad-hoc Gruppe die Defizite im Umgang mit komplexen Technologien und langfristigen Fernwirkungen aufzeigen. Ziel ist es, die Technikgestaltung zu stärken. Dahinter steht der Konflikt der zwei Modernen, der in der Atomkraft besonders deutlich war. Früher herrschte der Glaube vor, dass die durch Technik erzeugten Probleme immer wieder durch neue Technik beseitigt werden können. Die erste Moderne ist dabei verbunden mit dem Versicherungsprinzip und dem traditionellen Ordnungsrecht. Das aber stimmt heute nicht mehr und dem sich vor uns aufbauenden Anthropozän schon gar nicht. Notwendig ist eine „reflexive Moderne“, die frühzeitig die möglichen Folgen industriell-technischer Prozesse beachtet. Eine solche Bewertung muss in der Politik ausgebaut und mit weitergehenden Rechten ausgestattet werden.

Zum anderen will sich die Arbeitsgruppe auch mit den Fragen der Zukunftsethik befassen. Das „Prinzip Verantwortung“, welche Konsequenzen müssen wir aus den Erfahrungen im Umgang mit der Atomkraft lernen? Steht sie singulär oder kann es auch in anderen Bereichen zu solchen Fehlentwicklungen kommen und wie können sie vermieden werden?

Eine zweite Ad-hoc-Gruppe wurde unter der Leitung von Jörg Sommer, Vorsitzender der Deutschen Umweltstiftung, und Rolf Jäger, früher Vorstand von RWE, zu den Schadenersatzklagen eingesetzt, die die Energieversorger wegen des Atomausstiegs und auch wegen des StandAGs eingereicht haben. Diese Klagen drohten zu einem Hindernis für die Kommissionarbeit zu werden. Auch hier zeichnet sich eine Verständigung ab durch ein gemeinsames Papier, in dem eine Kultur im Umgang mit derartigen Konflikten aufgezeigt wird. Die Kernkraftwerksbetreiber wollen ihre Klage gegen das Standortauswahlgesetz, bei der um weitere Castor-Lieferungen ins Zwischenlager Gorleben geht, zwar noch nicht zurücknehmen, aber immerhin ruhen lassen. Zugleich prüfen sie jetzt einen Vorschlag der Bundesumweltministerin zur Verteilung von 26 Castor-Behältern auf Standortzwischenlager in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein. Eine Lösung für diese Atommüllbehälter, die Deutschland noch aus dem Ausland zurücknehmen muss, hatte die Kommission angemahnt.

Die Grundlage: Der unumkehrbare Ausstieg aus der Atomenergie

Kritiker der Atomkraft haben sich Jahrzehnte lang geweigert, an der Endlagersuche mitzuwirken. Schließlich würden weiterhin große Mengen radioaktiver Abfallstoffe produziert, solange es nicht zu einem Ausstieg kommt, lautete ihre Begründung. Diese Argumentation hat mit dem von allen Fraktionen unterstützten Ausstiegsbeschluss des Bundestages ihre Grundlage verloren. Denn nach dem GAU der vier Reaktorblöcke im japanischen Fukushima akzeptierte auch die schwarz-gelbe Bundesregierung, die bis dahin gegen die Mehrheitsmeinung der deutschen Bevölkerung stand, den Ausstieg aus der Atomkraft.

Damit haben sich die politischen Rahmenbedingungen grundlegend geändert: Die Auseinandersetzung um die Nutzung der Atomkraft, die jahrzehntlang unsere Gesellschaft gespalten hat, ist vorbei. Der Bundestag hat mit Zustimmung aller Fraktionen im Beschluss zur Einsetzung der Endlagerkommission festgehalten: Der Ausstieg ist unumkehrbar. Dies muss auch die Grundlage für einen Konsens im Bericht der Kommission sein. Bleibt die Hoffnung, dass es damit auch bei der Endlagersuche zu einem Konsens kommt.

Die Kommission hat wichtige Beschlüsse gefasst, die als Vorgabe die künftige Endlagersuche prägen sollen. Beispielsweise: Sie will, dass künftig eine neue und rein staatliche „Bundesgesellschaft für Kerntechnische Entsorgung“ atomare Endlager errichtet und betreibt. Bislang teilen sich die mehrheitlichen den Kernkraftwerksbetreibern gehörende DBE und das Bundesamt für Strahlenschutz diese Aufgabe. Zudem soll nur noch ein Bundesamt atomare Entsorgungsanlagen genehmigen und beaufsichtigen.

Gesetzlich gegen Eingriffe sichern

In den Kommissionbeschlüssen wird verlangt, alle für eine Endlagerung infrage kommenden Regionen oder Standorte gesetzlich gegen Eingriffe zu sichern. Es darf nicht erlaubt sein, an einem vielleicht infrage kommenden Standort noch schnell eine Erdwärmebohrung niederzubringen, um ihn damit unbrauchbar zu machen. Bundesdesumweltministerin Barbara Hendricks will eine solche Gesetzesvorschrift erarbeiten. Auch der Bundesrat hat sich unserer Forderung angeschlossen.

Mit der neuen Vorschrift wird die letzte Ausnahmeregelung für Gorleben entfallen: Die Veränderungssperre, die bislang nur im Bereich des Salzstocks Gorleben Eingriffe durch Rohstoffabbau oder durch Bohrungen verbietet. Mit dem Start der neuen Endlagersuche werden dann alle potenziellen Standorte auf einer gleichen gesetzlichen Grundlage gesichert und sie werden auch alle nach den gleichen Kriterien bewertet werden. Über diese Frage hat die Kommission sich lange Zeit gestritten, weil in der Veränderungssperre ein Verstoß gegen die geforderte „weiße Landkarte“ gesehen wurde. Nun ist wenigstens ein Kompromiss gefunden worden.

Die Arbeit der Kommission kann prägend sein, ob unsere Gesellschaft lernfähig ist, neue Weichenstellungen nicht nur fordern, sondern auch stellen kann und welche Konsequenzen wir daraus lernen weit über die Atommüllfrage hinaus. Denn es geht um ein Kernproblem der modernen Industriegesellschaft: Sie wird immer schneller, immer arbeitsteiliger, immer internationaler, aber die durch sie erzeugten Probleme werden immer komplexer und immer langfristiger. Wenn es nicht zu neuen institutionellen und kulturellen Regelungen kommt, dann kann dies zu schweren Erschütterungen und massiven Konflikten führen. Insofern ist die Kommission auch eine Chance für die längst überfällige Modernisierung des politischen und gesellschaftlichen Systems.

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Tags: AKWAtommüllBundesratBundestagEndlagerEndlager-KommissionLagerung radioaktiver AbfälleStandortentscheidung
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Comments 1

  1. endlagerdialog.de says:
    10 Jahren ago

    Die Halbzeitbilanz von Herrn Müller steht im Widerspruch zur Realität. Insbesondere der Absatz zur Tranzparenz ist realitätsfern.
    Für endlagerdialog.de als regelmäßiger Besucher stellt sich die Realität völlig anders dar. So wird die Bevölkerung nicht offen informiert und es finden offiziell angesetzte geheime Abstimmungsrunden der Arbeitsgruppenvorsitzenden statt. Weiterhin werden lediglich die Kommissionssitzungen übertragen. Die Arbeitsgruppensitzungen, in denen die wirkliche Arbeit stattfindet, werden weder übertragen noch werden die aufgenommenen Audiodateien zur Verfügung gestellt. Dies verstößt sogar gegen die von der Kommission selbst festgelegte Geschäftsordnung. Erst Monate später werden Wortprotokolle veröffentlicht. So ist eine zeitnahe Verfolgung der Kommissionsarbeit und damit auch Kritik nur bei ständiger Präsenz vor Ort möglich.

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