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Reisen in ein untergegangenes Land II: Menschenbilder, Kunst aus der DDR

Hans-Christian Hoffmann Von Hans-Christian Hoffmann
9. Januar 2023
Reisen in ein untergegangenes Land II: Menschenbilder, Kunst aus der DDR

 Bis zuletzt hing ein Hauch von Unsicherheit über dem Projekt, die erst mit einem Treffen zwei Wochen vor der geplanten Eröffnung von Minister Günther Einert, Ministerium für Bundesangelegenheiten NRW, mit dem Ständigen Vertreter der DDR in der Bundesrepublik, .Ewald..Moldt, beseitigt war. Man sah sich beim Italiener auf dem Heiderhof  (Bonn-Bad Godesburg) zu einem Essen, an dem noch der Gesandte der DDR Vertretung und ich teilnahmen. Einert und Moldt sahen dies als absolutes Pflichtprogramm und hatten beide keine Vorstellung, was eigentlich zu besprechen war. Mühsam schleppte sich der Dialog bis zum Dessert, das endlich den Aufbruch ermöglichte. Bekräftigt wurde allerdings nochmals von Botschafter Moldt, dass alle in der Ausstellung vertretenen Künstler an der Eröffnung in Bonn teilnehmen können. Dies war eine Grundbedingung und im Sinne der gewünschten Darstellung eines liberalen Kunstgeschehens von Seiten der DDR dringend geboten.

Drei Tage vor der Eröffnung der Ausstellung in Bonn mit fünfhundert angemeldeten Gästen kam vom Direktor des Staatlichen Kunsthandels der DDR die Teilnehmerliste, auf der die Namen der beiden Künstler Uhlig und Morgner fehlten. Telefonische Nachfragen wurden zunächst ausweichend beantwortet , um dann einzuräumen, dass „unüberwindliche“ Bedenken wegen der Zuverlässigkeit dieser beiden Künstler einer  Reise im Wege stehen würden. Für den folgenden Tag wurde ein Gespräch in Ost-Berlin mit dem Generaldirektor Weiss vereinbart. Inzwischen hatte ich ein Dauervisum für das ganze Gebiet der DDR, was schnelle Reiseentscheidungen ermöglichte. Nach einem kurzen einleitenden Gespräch mit dem stellvertretenden Minister für Kultur der DDR, Dr.Dietmar Keller, das kein Ergebnis brachte, habe ich Weiss in seinem Büro aufgesucht. Es schien ihm nach intensiver und offener Diskussion plausibel zu sein, aus Gründen der Öffentlichkeitswirkung alle Künstler reisen zu lassen. Es wäre ein gefundenes „Fressen“ für alle Skeptiker und die Medien in der Bundesrepublik gewesen, die fehlende Reisefreiheit statt der Ausstellung zum Hauptthema zu machen. Nach zwei Stunden Gesprächsdauer verschwand er zu einem Telefonat in einem anderen Raum. Als Weiss nach einiger Zeit wieder die Tür öffnete, konnte man an seinem Gesichtsausdruck erkennen, welches Ergebnis er mitzuteilen hatte: Uhlig und Morgner durften reisen.

Ich habe mich bei allem Selbstbewusstsein immer gewundert, wie schnell sich mir bei den DDR Institutionen alle Türen öffneten. Als Referatsleiter  im Rang eines Ministerialrats in einem westdeutschen Landesministerium war ich eigentlich nicht der angemessene Gesprächspartner für die Mächtigen im Kulturgeschehen der DDR. Die Gunst der Stunde ergab sich aus der politischen Gemengelage im Jahr 1986: Ministerpräsident Johannes Rau war stellvertretender Vorsitzender der SPD und designierter Kanzlerkandidat für die Wahlen 1987. Er war auch verantwortlich für die Deutschlandpolitik der SPD und hatte  der DDR Führung bei einem Wahlsieg der SPD die volle Respektierung der DDR Staatsbürgerschaft in Aussicht gestellt. Vor diesem Hintergrund waren für mich sonst gültige Hierarchien aufgehoben. Dies zeigte sich ganz besonders auch bei späteren Projekten, bei denen ebenfalls der erwiesene gegenseitige Respekt und gezeigte Vertrauenswürdigkeit in dieser Anfangsphase eine erhebliche Rolle spielte.

Die Hängung der Bilder und Aufstellung der Plastiken waren gerade abgeschlossen, da traf bereits am Morgen der Eröffnung die stattliche Delegation der DDR einen halben Tag früher als erwartet ein.  Angeführt vom  stellvertretenden Kulturminister und einem Abteilungsleiter aus dem Politbüro sowie dem ZK Mitglied und Vorsitzenden des Verbandes der Bildenden Künstler der DDR Professor Willi Sitte, standen alle erwartungsfroh im Ministerium. Das NRW Kabinett tagte immer mit Anwesenheitspflicht der Ministerinnen und Minister an einem bestimmten Wochentag. Mein Chef, Minister Einert, war deshalb verhindert und ich hatte die unerwartete Aufgabe, die Delegation zu einem Lunch auszuführen. Unglücklicherweise hatte das vorgesehene Restaurant in Bad Godesberg-Muffendorf mittags noch nicht geöffnet. Der Koch musste vorzeitig herbei gerufen werden. Die etwas peinliche Lage wurde in einem zunächst zähen Gespräch quer über den langen Tisch mit verschiedenen Alkoholika überbrückt. Natürlich wurde dabei die Frage gestellt, welches Kulturprojekt sich die NRW Landesregierung denn im Gegenzug vorstellen würde. Mir und allen anderen Beteiligten aus unseren Reihen war klar, es müsste etwas Spektakuläres mit einer klaren kulturpolitischen Botschaft sein. Dafür stand Werk und Schaffen von Joseph Beuys. Er war für das zuständige Politbüromitglied Hager und Willi Sitte der Inbegriff des „dekadenten westdeutschen Kulturbetriebs“. Mit größtmöglicher Selbstverständlichkeit habe ich diesen abgesprochen Vorschlag  unterbreitet. Keller reagierte cool, Sitte erstarrte förmlich und ebenso der Adlatus von Hager. Bei den anderen Teilnehmern reichte die Reaktion von Erstaunen bis zu schadenfrohem Grinsen. Keller sagte dazu nur trocken: „ Interessante Idee, wir werden das besprechen.“ Der frisch aufgetragene erste Gang des Essens sorgte für Entspannung.

Ministerpräsident Rau hielt bei der Eröffnung eine staatstragende Rede, die  auf dem Tonträger Cassette, der damals noch gebräuchlich war, für die Nachwelt festgehalten wurde. Verständigung auf allen Ebenen und der Verzicht auf Provokatives waren das Credo. Spektakulär war dies nicht, dafür aber die gezeigten Kunstwerke. In Bilder – und Formensprache gefasste Anklagen gegen das Rasen des Krieges ( Heisig, Giebe, Cremer, Sandberg, Stötzer ) waren erwartet worden, ebenso die maniristischen Darstellungen des Malers Tübke. Überraschend für das Publikum war jedoch die nur wenig versteckte Kritik an der gesellschaftlichen Situation in der DDR, die aus den Bildern und Plastiken insbesondere von Mattheuer sprach. Die „ Auserwählte“ z.B. zeigte eine frisch geehrte Arbeiterin an einem Tisch mit einer vor ihr liegenden Rose mit leerem Blick  in einer kühlen und beinahe trostlosen Formensprache, die eine drastische Systemkritik nicht verbergen konnte. Das Gemälde „Drinnen, draußen und ich „ war Gegenstand des Ausstellungsplakates und der Einladung. Letzteres zeigte klar das Dilemma der Flucht aus dem brennenden Haus ( DDR ). Mir ist noch heute ein Rätsel, wie diese provozierende Offenheit mit dem Selbstverständnis der Mächtigen in der DDR vereinbar war.

Am Tag nach der Eröffnung war ein separater Termin beim Schokoladenfabrikanten Ludwig in Köln in seinem Museum anberaumt. Ludwig war in diesen Jahren der mit Abstand größte Sammler von Kunst aus der DDR. Als Devisenbringer war er dort besonders geschätzt. Die Künstlerinnen und Künstler erhielten ihr Honorar bei Verkäufen in den „Westen““ zu 90 % in Mark der DDR und nur 10 % in Devisen. Die gesamte Teilnehmerschar saß  nach dem Rundgang auf einer langen Bank an der Wand. Ludwig stolzierte mit den Daumen hinter den Hosenträgern vor den geduldigen Zuhören hin und her und kramte in seinen Erinnerungen an Adenauer und dessen erfolgreicher Politik mit der „Zoffjetunion“.

Es war ein heiterer Vormittag.

Zum Abendessen haben meine Frau und ich Gerhard Kettner, Werner Stötzer und Hubertus Giebe in unser Haus in Meckenheim eingeladen. Es wurde ein denkwürdiger langer Abend, der die Weichen stellte zu weiteren spektakulären Projekten und dauerhaften Freundschaften.

Das Essen dieses Abends mit einer großen Seite eines geräucherten Lachses und hinreichend alkoholischen Getränken war ungeheuer stimulierend für das Gesprächsklima. Zwei  Zigarrenraucher und meine Zigarillo paffende Frau sorgten für eine Qualmdichte, wie ich sie weder vorher noch danach je erlebt habe. Im späteren Verlauf ging es ähnlich zu wie bei der

 Zusammenkunft der alten Herren aus der Feuerzangenbowle. Bis es aber soweit war, konnte im Hinblick auf die von mir gegenüber der DDR Delegation ins Gespräch gebrachte Beuys – Ausstellung die entscheidende Verabredung zur Realisierung getroffen werden. Kettner und Stötzer erklärten mir, dass das Kulturministerium wegen seiner Abhängigkeit vom Politbüromitglied Hager nicht über ausreichend Handlungsspielraum verfüge, um ein solches Projekt durchzusetzen. Es gebe aber die Möglichkeit über eine Kooperation mit Museen aus der Schweiz eine Ausstellung mit frühen zeichnerischen Arbeiten von Beuys, die für die Kulturentscheider in der DDR weniger provokativ seien, zu realisieren. Die, wie sich spätere heraus stellte, erfolgreichere Variante sei eine Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste der DDR, die Ministerpräsident Willi Stoph unterstand. Stoph, so wurde mir erzählt, sei Hager in herzlicher Abneigung verbunden und wahrscheinlich geneigt, die Chance für eine erfolgreiche Abgrenzung zu nutzen. Beide Varianten wurden im Februar und Mai des Folgejahres 1987 für die Nachwelt durch zwei handschriftliche Briefe von Dr. Werner Schade ( Direktor des Kupferstichkabinetts in Berlin ) und Professor Kettner ( Akademiemitglied ) an mich dokumentiert.

Die lebhaften Gespräche hat Hubertus Giebe, bewaffnet mit seinem allgegenwärtigen Skizzenblock,  zeichnend begleitet. Noch heute liegen einige Exemplare in meinem Grafikschrank. Meine Frau, damals Leiterin des Bürgerbüros der SPD-Bundestagsfraktion, hat unsere zunehmend euphorischer werdende Diskussionen schweigend und aufmerksam verfolgt. Schließlich fragte sie Kettner, ob sie denn alle Fragen der Bürgerinnen und Bürger wirklichkeitsnah beantworten könne. Sie antwortete mit einem schlichten Nein. Er dazu: „ Genau dies ist auch mein Problem .“

Dieser Abend wurde zur Legende.

Brief von Professor Kettner an den Autor

Brief von Dr. Werner Schade (Direktor des Kupferstichkabinetts in Berlin) an den Autor

Reisen in ein untergegangenes Land:

TEIL 1: REISEN IN EIN UNTERGEGANGENES LAND

TEIL 3: BEUYS VOR BEUYS

Teil 4: HOFFNUNG AUF NORMALITÄT

TEIL 5: Finale

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