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Queen Angela und ihr Schmierenstück um J. C. Juncker

Dieter Spöri Von Dieter Spöri
16. Juni 2014
Angela Merkel bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der 18. Wahlperiode des Bundestages (2013).

Wenn ich morgens nach dem Aufwachen die Online-Meldungen im Smartphone anklicke und nach dem Sport die politischen Aufmacher durchschaue, frage ich mich unabhängig vom täglichen Kleinzeug, Aufregern und „Breaking News“ immer mehr, in welcher politischen Staatsform wir eigentlich in Deutschland leben.

Natürlich funktionieren seit Jahrzehnten alle konstruktiven Sektoren, die Montesquieu für eine Demokratie unentbehrlich hielt, im internationalen Vergleich überdurchschnittlich  leistungsfähig und korruptionsfrei. Und neben Legislative, Exekutive und Judikative gibt es in der demokratischen Gewaltenteilung auch noch die Vierte Gewalt, den Informationssektor, dessen Dimension die frühen Staatstheoretiker noch nicht so im Auge hatten und in dem bisher zum Glück höchst selten die Staatsanwaltschaft unterwegs ist.

Eine kritikfreie Kanzlerin

Das ist auch nicht anders geworden, seit Angela Merkel ab 2005 als Kanzlerin in Deutschland regiert, nachdem sie mit geradezu ästhetisch anmutender Intriganz ihre Gegner und potentiellen Konkurrenten wie Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, Edmund Stoiber, Friedrich Merz und Roland Koch ausgeschaltet oder zumindest kaltgestellt hatte. Dennoch ähnelt unser Land unter formal korrekter Funktion der demokratischen Ebenen substantiell unter Kanzlerin Merkel täglich immer stärker  einer heimlichen Monarchie. Zwar hat das Parlament nach wie vor das Budgetrecht und wählt die Kanzlerin nach korrekt durchgeführten Bundestagswahlen. Aber merkwürdig ist es dann doch bei spektakulären Vorgängen wie der NSA –Spähaffäre, dem dramatischen Auseinanderdriften der Europäischen Union, der gegenüber Russland völligen Umkehrung des früheren Paradigmas der Ostpolitik oder den katastrophalen Ergebnissen der Außenpolitik im arabischen Raum, wie wohlwollend oder unkritisch, ja duckmäuserisch das Parlament derartig gefährliche Entwicklungen und Misserfolge begleitet.

Es scheint fast so, als ob die Bundeskanzlerin völlig unangefochten und kritikfrei durch diese existentiellen Problemzonen der von ihr zumindest mitverantworteten Politik segelt. Selbst der vor dem Ersten Weltkrieg hochverehrte Kaiser Wilhelm II hatte auf dem Höhepunkt seines Ansehens, während eines starken  Wirtschaftsaufschwungs, des Aufbaus einer Großflotte mit Schaffung eines kleinen Kolonialreichs für das deutsche Ego weit stärkere Attacken aus einem weit kompetenzschwächeren Reichstag zu ertragen.

Auch die englische Queen Elizabeth II, die ja wirklich nicht operativ Politik macht, wurde heutzutage schon wegen mancher Stilkonflikte in der königlichen Familie fundamentaler in Frage gestellt. Sogar innenpolitisch schwebt die Kanzlerin untangiert über den Mühen der Tagespolitik und hat anscheinend nichts mit politischem Versagen, Fehlern und Skandalen und sonstigen Malheurs ihres Kabinetts zu tun.

  • Ob es sich um den schlichten Qualifikationsmangel einer Familienministern Schröder handelt,
  • oder das filmreife Verglühen einer Politikrakete wie Freiherr zu Guttenberg am Firmament, zuvor dessen ruchlos-unwürdige Entlassung verdienstvoller Spitzenvertreter des Verteidigungsministeriums, um von eigenen Fehlern abzulenken
  • oder das spätere Stolpern ihrer in der Guttenbergschen Promotionsposse schadenfrohen Freundin, der Forschungsministerin Schavan,
  • oder das Skalpieren eines Umweltministers Röttgen, der als Wahlkämpfer in NRW keine Fortune hatte:

Nichts von all dem ficht die Kompetenz und Popularität der in ihrer europäischen Rolle als „mächtigste Frau der Welt“ gefeierten Kanzlerin an.

Wenn irgendetwas floppt in der Regierung, wird aus ihrem Umfeld andächtig geraunt, dass die Kanzlerin ob der Enttäuschung oder des Unglücksraben als Kabinettskollegen(in) „not amused“ war. Wenn dann ein gnadenloser Rausschmiss aus dem Kabinett erfolgt, wird dies als Ausdruck „staatsfräulicher“ Härte gefeiert.

Sie selbst hat offensichtlich mit Schwächen, Fehlleistungen und Scheitern der Mitglieder des eigenen Kabinetts gar nichts zu tun und das Publikum ist dankbar, dass sie die „Versager“ hart bestrafft. Während frühere Regierungschefs für Kabinett- Flops der von ihnen ausgesuchten

Ressortchefs(innen) auch noch selbst hart attackiert wurden, hat Queen Merkel wie in einer heimlichen Monarchie damit nichts mehr zu tun. Schlimm genug, dass sie von den Frauen und Männern, denen sie Vertrauen schenkte, so enttäuscht wurde. Dafür ist dann z.B. bei einer schlechten Regierungsbilanz der schwarz-gelben Koalition natürlich nur ein „Loser“ wie Westerwelle oder Rösler verantwortlich, weshalb der mediale Hof von Frau Merkel dann auch fand, dass die FDP völlig verdient aus dem Bundestag flog.

Merkel und die Bundespräsidenten

Auch viel schlimmere, staatspolitische Strategiefehler der Kanzlerin – wie bei der Wahl des Staatsoberhaupts – holen sie später nicht ein. Nach der zweimaligen kunstvollen Verhinderung des wirklich umfassend qualifizierten Wolfgang Schäuble, der ihr zu stark war, präsentierte sie Ersatzkandidaten, die zu Lasten des Amtes dann scheiterten. Dies führte aber dann nicht zu einer kritischen Merkel-Debatte, sondern nur zu einer persönlichen Tragödie für den fachkompetent-anständigen Horst Köhler und den netten Christian Wulff, die sich von ihr instrumentalisieren ließen. Ihr dritter Verhinderungsversuch gegen Joachim Gauck ist dann gescheitert, natürlich auch ohne Blessuren für Frau Merkel.

Fehlende Strategieanalyse

Die  politischen Strategien, die Frau Merkel anstößt, werden von Opposition und Mainstream-Medien nicht kritisch längerfristig analysiert: Wen stört es noch in Deutschland, wenn sich die Kanzlerin auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm zur weltweiten Klimakämpferin krönen lässt, das konkrete Chaos im Rahmen der anschließenden Energiewende dann aber großzügig dem inzwischen dritten Fachminister alleine aufbürdet und sich inzwischen längst anderen Themen widmet.

Selbst die Tatsache, dass unter Merkels Führung Europa ökonomisch und politisch wie niemals in den letzten Jahrzehnten auseinanderfällt und die radikalen Ränder im Europäischen Parlament gespenstisch wachsen, wird nicht mit ihrer ökonomisch schlichten, einseitigen Austerity-Politik in Verbindung gebracht. Obwohl sie die Krisenstaaten mit ihren Beratern ökonomisch so abgewürgt hat, dass die ganze Eurozone nicht mehr wächst, sondern seit Jahren an der Null-Linie kriecht, reicht der ökonomische Zinsvorteil für den deutschen Staatshaushalt, um sie von Kritik freizustellen. Derweilen wird dadurch Mario Draghi seit Jahren zu Niedrigzinspolitik und offensiver Geldversorgung gezwungen, weil ansonsten das Bankensystem kollabiert und die Konjunktur weiter schwächelt. Beelzebub ist aber dann natürlich eben dieser Mario Draghi, der auch aus der Unionsfraktion als Enteigner der deutschen Sparer attackiert wird.

Queen Angelas Schmierenstück um J.C. Juncker

Höhepunkt der Unverwundbarkeit der Teflonkanzlerin war aber dann der haltlose und hemmungslose tägliche Wechsel politischer Positionen in der Personalfrage Jean Claude Juncker:

  • Zuerst lässt die Kanzlerin durchsickern, dass sie überhaupt gegen Spitzenkandidaten in der Europawahl für das Amt des Kommissionspräsidenten sei.
  • Als sich im Sog der Sozialdemokraten, die mit Martin Schulz die Institution „Spitzenkandidat“ bei der Europawahl kreierten, eine Mehrheit in den konservativen Parteien im Rahmen der Europäischen Volkspartei (EVP) für Juncker abzeichnet, schlägt Merkel Juncker mit einer atemberaubenden Kehrtwende an vorderster Front als Spitzenkandidat vor.
  • Auf der abschließenden Wahlkundgebung appelliert Frau Merkel an alle Wählerinnen und Wähler, der Union ihre Stimme zu geben, damit Jean Claude Juncker Präsident wird.
  • Nach dem Wahltag wird dann aber ein dahingehendes briefliches Votum der Fraktionsvorsitzenden des bisherigen Europäischen Parlaments montags von Angela Merkel als „Putsch“  der Volksvertreter(innen) bezeichnet.
  • Sie verhindert zwei Tage nach der Wahl im Europäischen Rat zusammen mit David Cameron den Versuch der meisten Regierungschefs, eine Mehrheitsabstimmung für den Kandidaten Juncker durchzusetzen, und droht mit Cameron dagegen zu stimmen.
  • Stattdessen wird von ihr der stille und fügsame Ratspräsident  van Rompuy mit der Sondierung einer Kompromisslösung zugunsten Junckers im Rahmen eines größeren Personal- und Programmpakets bis zum nächsten Europäischen Rat Ende Juni beauftragt.
  •  Während aus dem Umfeld Merkels nach ihrer anschließenden Pressekonferenz in Brüssel räsoniert wird, dass Juncker ja eigentlich gar nicht richtig wolle, lungern die Medienvertreter vor Junckers Privathaus, um ihn vielleicht auf dem Balkon mit einem Campari zu erwischen.
  •  Juncker soll einstweilen medial über zahlreich gestreute Medienspekulationen durch solche Widerstände, Zweifel und Gerüchte mürbe gemacht werden und sich selbst zurückziehen.
  • Dies alles mit dem hohen Ziel, Großbritannien in der EU zu halten. Ein Großbritannien, das aber leider in der EU seit Jahrzehnten als Buddy der US-Administration jeden größeren Reformschritt in Europa torpediert.
  • Als die öffentliche Empörung in ganz Europa über den sich abzeichnenden Wahlbetrug anschwillt, legt sich Frau Merkel vor dem Bundestag dann doch noch fest, dass sie sich für die Wahl Junckers „einsetzen“ werde… Eine neuerliche Volte, die sie auch bei ihrem anschließenden Treffen mit den englischen, niederländischen und schwedischen Regierungschefs beim „Paddeln“ in der Nähe von Stockholm vertritt.
  •  Derweilen wabern weiter die Spekulationen, ob der fachlich hochkompetente und genau deshalb von Merkel an der Kommissionsspitze gefürchtete Juncker nicht doch noch das Handtuch werfen könne: Das wünscht sich wenigstens die ZEIT als einen letzten großen Dienst Junckers an Europa. Doch der zähe Juncker steht unerwartet immer fester zu seinem Anspruch, weshalb unsere schlaue Kanzlerin auch plötzlich immer fester überall für ihn kämpft.

Doch diese völlige Haltlosigkeit beim Wechseln von politischen Positionen, die früheren Kanzlern jahrelange Lügenkampagnen eingebracht hätte, bringt Queen Angela weder im gefügigen Parlament noch in den Medien in die Defensive. Sie wird selbstverständlich demnächst auf der Brüsseler Bühne als Siegerin gegen Cameron in dem Schmierenstück um J.C. Juncker auftreten und den guten Jean Claude als ihren Vorschlag im Europäischen Rat von Anfang an präsentieren und durchsetzen.

Diese völlige Beliebigkeit, die von Steffen Seibert unnachahmlich ins Mikro der staunenden Bundespressekonferenz gehaucht wird, damit die Meisterin noch Spielraum für eventuell weiteres Hakenschlagen hat, wird in den deutschen Medien vor allem als Ausdruck flexibler Staatskunst und willensstarken Machiavellismus bewundert.

Hauptursachen der quasi monarchistischen Hegemonie der Kanzlerin

Die Deutschen hatten sich vor der Wahl in einer Spiegel-Umfrage mit 78 Prozent für den  Sieger des Duells Juncker gegen Schulz als Kommissionspräsidenten ausgesprochen. Warum geht dies dann alles ohne Popularitätsverlust Merkels, obwohl doch die Wählerinnen und Wähler durch die wochenlange Intrige um J.C. Juncker völlig respektlos ignoriert wurden?

Es gibt in Deutschland in den etablierten Parteien inzwischen keine Chance mehr für eine harte politische Kampagne gegen die hemmungslose Prinzipienlosigkeit Merkelscher Politik. Das wurde schon am Beispiel der peinlichen Servilität Merkels in der Frage der NSA- Affäre gegenüber der US-Regierung deutlich, wobei vor ihrer USA-Reise unter sozialdemokratischer Assistenz auch noch die Entscheidung über die Zeugenvernehmung von Edward Snowden katzbuckelnd vertagt wurde. Noch deutlicher wird dies jetzt am Beispiel des Schmierenstücks um Jean Claude Juncker:

Die SPD konkurriert halt schon auf einer sehr langen Strecke seit 2005 unentwegt mit den Grünen um die Position als bundespolitischer Juniorpartner Merkels. Die Grünen stehen ja parallel dazu permanent bereit, den Posten des Juniorpartners bei Merkel der Sozialdemokratie  2017 oder auch schon vorher abzujagen. Dazu müssen sie sich nur noch in Hessen etwas qualifizieren. Und die Linke wird als parlamentarischer Winzling auch wegen des fortdauernden Handikaps ihrer historischen Erblast einfach überhört. Deutschland hat gegenwärtig schon rein quantitativ keine wirksame bundespolitische Opposition. Woher soll eigentlich bei solcher politischer Zahnlosigkeit im Parlament ohne nachhaltig wirksame Kampagnen aus den Parteien in den Medien eine ernsthaft kritische Stimmung gegen die „mächtigste Frau der Welt“ entstehen, wenn man doch nicht von Insiderinformationen und Exklusivinterviews völlig abgeschnitten werden will.

Jetzt rächt sich die Tatsache, dass sich die SPD niemals ernsthaft zusammen mit den Grünen um eine alternative Mehrheit ohne Merkels Union bemüht hat.

Dazu hätte die Bereitschaft zu einem pragmatischen Test der Regierungsfähigkeit der Linken in Sondierungsgesprächen nach Bundestagswahlen gehört, weil Rot-Grün seit dem Wahlkampf 2005 kaum mehr allein Mehrheitschancen hatte. Der Verweis auf die vor allem vermutete außenpolitische Regierungsunfähigkeit der Linken überzeugt wenig, weil die Grünen selbst noch 1998 kurz vor Eintritt in die Regierung Schröder/ Fischer viel weiter von den außenpolitischen und sicherheitspolitischen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland programmatisch entfernt waren. Man kann den außenpolitischen Tauglichkeitstest bei der Linken nur ernsthaft nach einer Bundestagswahl durch Sondierungsgespräche testen. Aber dazu gab es weder von Rot noch Grün wirklich jemals eine Bereitschaft: Genau dadurch wurde die hegemoniale Stellung zugunsten der Merkel-Union bei Koalitionen im Bund zementiert. Zur monarchistischen Tendenz der Verfassungswirklichkeit unter Kanzlerin Merkel mussten also zwei Dinge zusammen kommen: Erstens das herausragende Machtbewusstsein und ein prinzipienfreies taktisches Geschick der Kanzlerin und zweitens die strategisch teils skrupulöse aber auch hasenfüßige Risikoscheu von Rot und Grün, die Regierungsfähigkeit der Linken wirklich einmal konkret zu testen.

So wurden dann beide, Rot wie Grün, zu dauerhaft im Bund konkurrierenden Funktionsparteien im Sinne von aktuellen oder künftigen Mehrheitsbeschaffern einer dominanten Kanzler(innen)-Union.

Natürlich haben wir in Deutschland alle notwendigen Institutionen mit formal perfekter Gewaltenteilung politischer Macht in einer parlamentarischen Demokratie. Nicht erst der Versuch eines Wählerbetrugs mit Jean Claude Junckers Spitzenkandidatur in der Europawahl zeigt aber in der Verfassungswirklichkeit die Tendenz zu einer heimlichen Merkel-Monarchie in Deutschland. Eine zwar informelle  Monarchie, in der jedoch Queen Merkel so kritikfrei und oppositionsfrei ist, wie es den gekrönten Häuptern unserer einstigen konstitutionellen Monarchie zur Zeit des Hohenzollern-Schnauzbarts nicht einmal vergönnt war. Das ist die aktuelle Verfassungswirklichkeit in unserer Berliner Demokratie.

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