Die neue National Security Strategy der USA wird oft als ideologischer Kurswechsel gelesen: nationalistisch, protektionistisch, anti-multilateral. Doch im Kapitel zur „Economic Security“ zeigt sich eine viel grundlegendere Stoßrichtung – eine, die weniger mit politischem Stil, sondern mit einer industriell-strategischen Diagnose zu tun hat.
Meine Interpretation: Die NSS ist eine Reaktion auf eine Verwundbarkeit, die lange unterschätzt wurde. Die USA erkennen, dass die ökonomische Grundlage ihrer militärischen Macht in zentralen Bereichen nicht mehr souverän ist. Heute beginnen wesentliche Teile der Lieferketten moderner US-Waffensysteme in China:
- Seltene Erden für Sensoren, Laser, Navigationssysteme, Raketensteuerung – fast vollständig in China verarbeitet.
- NdFeB-Magnete für F-35, Patriot, Aegis, Drohnen – über 90 % chinesische Dominanz.
- „Legacy Chips“ als Nervensystem vieler Lenkwaffen und Plattformen – großteils aus China oder Taiwan.
- Spezialchemikalien, Verbundstoffe, Energiematerialien – unverzichtbar und meist importabhängig.
- Lithium, Graphit, Kobalt – in den USA kaum raffinierbar, in China nahezu komplett kontrolliert.
Kurz: Die USA verfügen in zentralen sicherheitsrelevanten Industrien nicht mehr über eine vollständige Wertschöpfungskette. Für eine Großmacht ist das kein technisches Detail, sondern ein strategischer Alarm.
Vor diesem Hintergrund liest sich die wirtschaftliche Sicherheitsagenda der NSS wie ein industriepolitischer Wiederaufbau im Dienste der Nationalen Sicherheit:
– Rückverlagerung kritischer Produktionsstufen,
– Aufbau eigener Rohstoff- und Raffineriekapazitäten,
– Wiederherstellung metallurgischer, chemischer und elektronischer Grundindustrien,
– staatliche Führung bei Schlüsseltechnologien,
– nationale Kontrolle über sicherheitsrelevante Lieferketten.
All das folgt einer einfachen Logik: Militärische Stärke entsteht nicht allein durch Budgets oder Hightech, sondern durch industrielle Tiefe. Wer die Vorprodukte nicht kontrolliert, kontrolliert auch die eigene Kriegsfähigkeit nicht.
Die NSS spricht diese Diagnose nicht offen aus – eine Supermacht benennt ihre Abhängigkeiten selten direkt. Aber sie beschreibt präzise die Konsequenzen: Die USA wollen die industrielle Grundlage militärischer Macht wieder vollständig in die eigene Hand nehmen.
Und die unangenehme Feststellung lautet:
Im Kern geht es um die Wiederherstellung von Kriegsfähigkeit in der Großmachtkonkurrenz – insbesondere gegenüber China.
Das ist die strategische Realität hinter dem Begriff „Economic Security“.
Zum Autor: Arno Gottschalk (geboren 1956), Studium der Wirtschaftswissenschaften in Marburg und Bremen. Diplom-Volkswirt. Ab 1975 Aufbau und Leitung des Bereichs Finanzdienstleistungen bei der Verbraucherzentrale Bremen. Seit 2011 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft (Stadt und Land). Seit 2019 Sprecher der SPD-Fraktion für Haushalt und Finanzen. Mitglied des Fraktions- und Landesvorstands der SPD. Beschäftigt sich seit langem auch mit Fragen von Militär und Rüstung.












