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Der Wahnsinn, den wir dem Planeten zumuten

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
13. November 2022
Ausstellungsbild "Vermüllung der Welt"

„Um jeden Preis“ überschreibt Robert Ide im Berliner „Tagesspiegel am Sonntag“ seinen Report über die nahende Fußball-WM in Katar. Er nennt dies eine „irrwitzige WM im Winter in der Wüste, nur möglich in einer Welt, die ihren Reichtum noch immer sehenden Auges auf fossilen Brennstoffen aufbaut. Und damit auf der Armut und dem Leid vieler Menschen sowie der Zerstörung unserer Erde“.  Ja, es ist wahr, wir wissen es seit Jahren, dass wir den blauen Planeten zerstören, dabei ist seine Schönheit „schützenswert“ und also müssen wir auf die „Missstände hinweisen, die unseren Planeten bedrohen“. So hat es Jeanette Schmitz, Geschäftsführerin der Gasometer GmbH in Oberhausen, formuliert. Dort im sanierten Gasometer läuft seit Monaten eine phantastische Ausstellung, deren Titel eigentlich alles besagt: „Das zerbrechliche Paradies“, das eine Erde zeigt mit vielen Welten, schönen Welten mit einer immer noch paradiesischen Artenvielfalt, die aber zunehmend in Gefahr gerät durch den ökologischen Fußabdruck des Menschen. Die Ausstellung belegt den Wahnsinn, den wir der Natur, Tieren, uns Menschen, dem Wasser, der Erde, der Luft antun. Weil wir Spaß haben wollen um jeden Preis, unsere Gier ausleben, die Rücksichtslosigkeit des Marktes, den wir besser eiskalten Kapitalismus nennen müssten. Dabei sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen.

Robert Ide schreibt am Ende seines lesenswerten Stückes: „Menschen beuten die Natur aus. Menschen beuten die Nicht-Natur aus. Menschen beuten sich gegenseitig aus. Ist das unsere wahre Natur?“

Der Wahnsinn, der Pate stand, als die Fußball-WM in den Wüsten-Staat vergeben wurde. Geld stinkt halt nicht, wie wir seit dem Altertum wissen. Deshalb Fußball in Katar, obwohl dort keiner gespielt wurde, dort kein Stadion stand. Möglich, dass die Reichen in der Wüste sich langweilten und sich Unterhaltung kaufen wollten. Katar(so groß etwa wie Hessen) ist dank Öl und Gas der reichste Staat unserer schönen Erde und weil Geld keine Rolle spielte, wurden halt Stadien gebaut. Auf Sand. Koste es, was es wolle. Und wenn es das Leben von Tausenden von Gastarbeitern kostete. Die Stadt Lusail, lese ich weiter bei Robert Ide, „ist eine Planstadt nördlich der Kapitale Doha, die für die WM überhaupt erst errichtet worden ist. Das Bild luxuriöser Jachthäfen und Insel-Resorts wird von hier aus an die Bildschirme in aller Welt gesendet- doch in den Fundamenten der Neubauten liegen die Leichen von tausenden ausgebeuteten Gastarbeitern vor allem aus Indien, Nepal, Pakistan, Sri Lanka, Bangladesh und den Philippinen.“ Wie sagte noch der Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer, als er von seiner Katar-Tour zurückkehrte? Er habe nicht einen toten Gastarbeiter gesehen.

Was machen wir mit Mutter Natur

Was machen wir  alles mit Mutter Natur? Wo Demokratie keine Rolle spielt, herrscht eben einer allein und der entscheidet, was mit der Natur passiert und was man dort hineinsetzt. So zum Beispiel ist es in Katar, ein Märchen auf Sand und Gold, gewonnen aus Öl und Gas. Unverkennbar sei „das ausgehöhlte Recht vieler Menschen dort auf Teilhabe oder wenigstens menschenwürdige Behandlung“(Ide). Ein Land ohne politische Parteien, mit einem Islam als Staatsreligion, der Scharia als Gesetzgebung, vom Staat kontrollierten Medien, einem Emir als oberste Staats- und Armeegewalt. Frauen spielen nur als „Süßigkeit“ eine Rolle für die Männer, „die nur verpackt durch die Straßen laufen dürfen.“ Rechte haben sie so gut wie keine, ähnlich ist es für Homosexuelle und für Gastarbeiter.

Um jeden Preis, das heißt auch, mit Geld ist (fast) alles möglich. Eben auch ein Fußball-Turnier in einer künstlichen Existenz, wo sonst eben kein Wasser ist und kein Grashalm wächst. Dass das Turnier im Winter stattfindet, war der Kompromiss des Emirats Katar, weil es im Sommer zu heiß wäre. Nun also im November und Dezember. Im Grunde wundert es mich, dass wir uns über diese WM wundern, mitten in der Wüste. Haben wir denn schon die Olympischen Winterspiele in Peking vergessen mit all den künstlichen Arenen und Skipisten, all den Umweltsünden? Der organisierte Weltsport macht es möglich, wenn der potentielle Gastgeber über das nötige Kleingeld verfügt. Katar ist eine Ergänzung zu Peking, da hat Robert Ide Recht. Und es ist eine Fortsetzung des sogenannten Sommermärchens 2006 in Deutschland, zusammengemauschelt. Ich lass das mal mit dem anderen Wort, das mit kau beginnt und fen endet. Die nächste Fortsetzung des Wahnsinns, den wir der Natur zumuten könnten, wären Winterspiele in Saudi-Arabien. Man stelle sich Skispringen in einer Halle vor, die Temperaturen dank modernster Technik winterlich gesenkt, während die feinen Reichen in ihren langen weißen Kleidern in den abgetrennten Salons dem Treiben auf Kunstschnee zusehen könnten.   

Erderwärmung auch bei uns

Weil der kleine Ball so viel Geld abwirft, muss halt anderes zurückstehen. Oder? Wenn wir ehrlich mit uns und mit dem Zustand unseres Planeten umgingen, wüssten wir, dass wir uns dabei in die Tasche lügen. Denn der Planet ist zerbrechlich, er verträgt keine weitere Belastung mehr. Eigentlich schon seit Jahren nicht mehr. Vor 25 Jahren wurde das Kyoto Protokoll beschlossen. Ziel war die Drosselung der Emissionen von Treibhausgasen. Der globale Temperaturanstieg sollte auf maximal 1,5 Grad Celsius bis zum Ende dieses Jahrhunderts begrenzt werden. Das war auch ein Ergebnis der Klimakonferenz von Paris vor sieben Jahren. Und? Das Ziel ist so weit weg, dass es kaum sichtbar ist, aber die Folgen sind sichtbar, spürbar. Überall in der Welt, auch hier in Europa, auch in Deutschland.

Dürre als Folgen des Klimawandels

Ein noch höherer Grad der Erderwärmung kann, ja wird zu derart großen Veränderungen der Umwelt führen, die vom Menschen nicht mehr beherrschbar sind. Es kann zu katastrophalen Folgen kommen. Man lese den Kommentar im Deutschlandfunk von Britta Fecke zur Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh nach: Rinder hätten frühzeitig geschlachtet werden müssen, weil das Futter auf den Weiden in der Hitze des Sommers verdorrt gewesen sei. Riesige Gebiete von grünen Fichtenforsten hätten sich in braune Mondlandschaften verwandelt. Im letzten Sommer, 2021, kamen in Deutschland mehr als 180 Menschen in den Fluten der Ahr und Erft ums Leben.  Das zeigt, Deutschland ist schon mittendrin, die Folgen des Klimawandels betreffen nicht länger nur die Südsee-Inseln, die durch den ansteigenden Meeresspiegel verschluckt werden, Millionen Klima-Flüchtlinge verlassen Afrika, weil ihr Weideland verdorrt ist. Wochenlange Hitze macht auch uns in Europa mehr und mehr zu schaffen, Talsperren leeren sich, Straßenbäume sterben ab. „Das Robert-Koch-Institut errechnet 4500 Todesfälle im Zusammenhang mit dem extrem trockenen und heißen Sommer- ein ähnlich hoher Wert wie in dem ebenfalls extremen Sommer 2018.“ Und Britta Fecke fügt warnend hinzu: „Und die 1,5 Grad Erwärmung, ab der die Systeme kippen, ist noch nicht mal erreicht.“ Aber der bittere Vorgeschmack ist da, wir können ahnen, was uns droht, wenn wir nicht umsteuern, endlich handeln. Jetzt liege die Erwärmung bei 1,2 Grad, 2026 schon könnte sie bei 1,5 Grad gelandet sein, so die Journalistin. 

Ausstellungsbild „Hungernder Eisbär“

Der Zug fahre viel zu schnell in die falsche Richtung, moniert die Kommentatorin. „Die drohende Karambolage wird so viel teurer, als jetzt noch umzusteuern und die Emissionen wirklich zu drosseln. Also volle Kraft voraus und zwar in die richtige Richtung. “ Was sicher nicht nach Katar bedeutet.

Folgen des Industriezeitalters

Das zerbrechliche Paradies, Bilder, wie wir die Erde vermüllen, ins Wasser der Meere tonnenweise Plastik ablassen, sodass es Fische schlucken und daran verenden. Der Planet ist einzigartig, wie wahr, aber warum machen wir ihn kaputt? Die Folgen des Industriezeitalters sind an manchen Stränden zu besichtigen, wo leere Ölfässer hingeworfen wurden, die irgendwann rosten und dann werden die Ölreste das Meer verseuchen. Ebenso verseuchen, wie es Öltanker tun, die irgendwo in Mexiko in Brand geraten. Ölverschmierte Vögel verenden dann. Der Mensch ist verantwortlich für die Rodung der Wälder im Amazonas-Gebiet, das ist eigentlich der Regenwald, den unsere Umwelt so dringlich braucht, um zu überleben. Aber verantwortungslose Politiker aus Brasilien, ein rechter, skrupelloser Präsident halten sich nicht an Umwelt-Regeln. Gerade wurde dieser Bolsonaro abgewählt. Gut so, wenn auch spät. Hoffentlich macht es der Nachfolger besser. Der Perma-Frost-Boden in Ost-Sibirien ist bedroht von der Erderwärmung, taut er auf, hat das Folgen, die wir noch gar nicht berechnen können. Eine ähnliche Entwicklung sieht man in Nord-Finnland, ein Foto belegt das. 

Die Ausstellung in Oberhausen lebt von einmaligen Bildern, die zeigen, wie Faultiere in die Baumwipfel des Regenwaldes klettern, junge Eisbären tollen fast spielerisch über das Packeis, eine Eisbären-Familie scheint auf dem Eis zu schlummern. Ja, frieren die denn nicht? Eine Karibu-Herde zieht durch Tundra und Taiga. Wir sehen Tierarten, die urbane Ballungszentren für sich entdeckt haben, weil sie dort Nahrung finden. Wir sehen aber auch die Folgen des Einflusses der Menschen, wie er eingreift in die Ökologie und das Gleichgewicht zerstört. Bilder und Filmsequenzen führen dem Besucher vor Augen, welche Klimaveränderungen durch den Menschen verursacht wurden, zeigen uns in aller Deutlichkeit den Raubbau an Tieren und die Folgen der industriellen Landwirtschaft.

Der Gasometer liegt im Grunde direkt neben der Emscher. Ein gutes Beispiel, dass noch nicht alles verloren ist, wenn der Mensch tut, was er muss. Die Emscher, das war ein Fluss, der mitten durchs Ruhrgebiet verläuft. Mein Vater, geboren 1900, erzählte, dass er darin gebadet habe. Dann wurde der Fluss im Laufe der Industrialisierung zur Kloake, weil jeder Dreck dort reingelassen wurde. Die Ufer wurden mit Betonplatten begradigt. Wer in der Nähe der Emscher war, roch den Gestank des Flusses, der keiner mehr war. Vor Jahrzehnten begannen die Sanierungsarbeiten u.a. mit unterirdischen Abwasserkanälen. Sie kosteten über 5 Milliarden Euro. Heute ist die Emscher wieder sauber. 

„Das zerbrechliche Paradies“ ist zu einem Zuschauermagneten geworden, über 700000 Menschen wurden bisher gezählt, das Interesse lässt nicht nach. „Insbesondere die steigende Dringlichkeit, sich mit unseren Themen wie Klimazerstörung, globalen Zusammenhängen oder der rasant fortschreitenden ökologischen Krise zu beschäftigen, macht das Thema mit jedem Tag aktueller“. Sagt Jeanette Schmitz,Gasometer-Geschäftsführerin. Die Folge des Riesen-Interesses: Man hat die Ausstellung, die bis Ende des Jahres terminiert war, bis zum 26. November 2023 verlängert.  

Die Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“ ist im Gasometer, Oberhausen,  zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. In den Ferien sowie an Feiertagen ist der Gasometer auch an Montagen geöffnet. Eintrittspreis: 12 Euro. Da der Gasometer nicht beheizt wird, sollte man sich warm anziehen. Kostenlose Parkplätze sind vorhanden.

Katalog zur Ausstellung: Jeanette Schmitz. Das zerbrechliche Paradies. ISBN: 978-3-8375-2378-2

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