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Ausgerechnet die SZ- Empörung vieler Leser – Igor Levit fühlt sich getroffen-Chefredaktion entschuldigt sich

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
21. Oktober 2020
Igor Levit

Ich habe mir als SZ-Abonnent vor Tagen die Augen gerieben, als ich den Artikel von Helmut Mauró im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung las. „Igor Levit ist müde“ lautete der Titel. Und wer dann eine Kritik erwartet hatte an der Musik des weltberühmten Pianisten, seiner Kunst am Klavier, der Interpretation von Beethoven, sah sich nach einigen Absätzen getäuscht. Denn was folgte, war aus meiner Sicht eher eine Verunglimpfung des Pianisten aus russisch-jüdischer Familie, der in dem Beitrag in Zusammenhang gebracht wird mit einem Begriff wie der „Opferanspruchsideologie“. Autor Mauró versucht Levit nicht nur als Pianisten kleinzuschreiben, sondern vor allem für seine Twitter-Aktivitäten zu rügen, weil er dort täglich „die rechten Feinde beschwört“. Immerhin wird dieser Künstler mit Mord bedroht, er wird von Leibwächtern auf die Bühne der Elbphilharmonie geleitet.

Dass ihn antisemitische Gewalttaten wie die vor einer Hamburger Synagoge nicht kalt lassen, wen verwundert das? „Haarsträubend“ lautet das Urteil eines SZ Lesers aus Hamburg, taktlos. Und es hat den Menschen Levit „getroffen“, wie er in der SZ kritisiert worden ist. Und es hat ihn noch mehr getroffen, wie er in einer Stellungnahme betont, dass die SZ-Chefredaktion in einer Mail an ihn sich hinter den Artikel von Mauró gestellt hatte. Er hat das Angebot der SZ abgelehnt zu einer Entgegnung seinerseits in der Münchner Zeitung.  Maren Borchers, die Mitarbeiterin von Levit, bezeichnet in einer Mail an die Chefs der SZ den Artikel von Mauró als „unsäglich“ und in „vielerlei Hinsicht fragwürdig„. Recht hat sie.

Ausgerechnet die Süddeutsche, war meine erste Reaktion. Warum nur, warum? Dieses angesehene Blatt, das eigentlich über Zweifel erhaben ist, muss sich vorwerfen lassen, dem Antisemitismus entnommene Begriffe wie „Opferanspruchsideologie“ abgedruckt zu haben. Wer das tut, nimmt hin, was Maren Borchers, die PR-Managerin von Levit,  weiter schreibt, dass man „verletzen will“, was auch „gelungen“ sei, Dem langjährigen Leser der SZ wie mir stellt sich automatisch die Frage, was sich verändert hat in der einst so angesehenen eher linksliberalen Zeitung, was anders ist seit einigen Monaten auch im politischen Teil des Blattes. Der zaghafte Ruck nach Rechts, wie nicht nur ich ihn  wahrnehme. Ob das zu tun hat mit dem Ausscheiden von Heribert Prantl, dem wortgewaltigen und meinungsstarken einstigen SZ-Chefredaktionsmitglied oder dem Abschied von SZ-Chefredakteur Kurt Kister, beide arbeiten weiterhin für das Blatt, aber nicht mehr in verantwortlicher Stellung. 

Ein diffuses Weltgericht

Wie soll man Textpassagen von Mauró verstehen, in denen er Levit vorhält, er sei mit den „richtigen Journalisten und Multiplikatoren befreundet, coram publico und aufgekratzt fällt man sich via Twitter mehr oder weniger täglich in die Arme und versichert sich gegenseitiger Bewunderung.“ Einen Absatz tiefer liest man zu Twitter, aber gemeint ist auch der Twitter-Aktivist Levit: „Es hat sich da ein etwas diffuses Weltgericht etabliert, deren Prozesse und Urteile in Teilen auf Glaube und Vermutung, aber auch auf Opferanspruchsideologie und auch regelrechten emotionalen Exzessen beruhen. Es scheint ein opfermoralisch begründbares Recht auf Hass und Verleumdung zu geben, und nach Twitter-Art: ein neues Sofa-Richtertum.“ Dann der Vergleich mit Paris Hilton und das Zitat: „Öffne alle Türen, dann kannst Du es schaffen.“  Igor Levit habe „die alte TV-Methode der verkrachten Hotelerbin via Internet noch mal richtig in Schwung gebracht. Der Erfolg gibt ihm Recht. In Deutschland und in England wird er auch in der analogen Welt quasi pausenlos gefeiert… Und neulich gab es noch das Bundesverdienstkreuz des um schmucke Künstlerkontakte stets bemühten Bundespräsidenten.“ Um sich dann mit den Gründen für eine derartige Auszeichnung zu befassen, die selbst Levit-Fans stutzig machen müsste, weil doch das Kreuz für hervorragende Leistungen für das Gemeinwesen vergeben werde, was bei Katastrophenhelfern klar sei, aber bei Musikern? Mauró kommt zu dem Urteil: „Genuin dient deren Leistung offenbar nicht dem Gemeinwohl…“ Das sei auch gut so, findet der Kritiker, „denn sonst müsste man feststellen, dass das Klavierspiel Igor Levits nicht hinreicht- selbst die aktuelle Einspielung der Beethoven-Sonaten ist eher unerheblich-, um so eine Auszeichnung zu rechtfertigen.“ Warum gibt er hier dem Bundespräsidenten noch einen mit? Weil der Levits Engagemeint während der Corona-Pandemie herausstellte, seine pausenlosen Hauskonzerte rühmte?

Levits Künste am Klavier kann ich nicht beurteilen, zumindest nicht aus der Fallhöhe, wie es Feuilletonisten tun wie Mauró, der Levit vergleicht mit Daniil Trifonov, dem er bescheinigt, in einer anderen Liga zu spielen, was ein SZ-Leser als dreist empfindet. Und der Leser- es sind sehr viele gewesen, die protestiert haben- findet es als „schlimm und unerträglich“, wenn SZ-Autor Mauró Levits politische Aktivitäten aufs Korn nimmt, dabei sei seine Kritik an faschistischen und antisemitischen Tendenzen“ sehr wohl berechtigt, schließlich ist er oft selber Ziel solcher Attacken. Mauró muss sich gefallen lassen, von einem Leser aus Luxemburg auf das Niveau von AfD-Politikerin Alice Weidel gehoben zu werden oder gesenkt zu werden- wie er mag. Oder möchte der Autor, dass sich Künstler politisch nur noch enthalten?  

Zum Gott erkoren

Es muss eine Menge Empörung auf die SZ und ihre Chefredaktion hereingeprasselt sein, dass sie sich entschlossen hat, fast eine ganze Seite Leserbriefe abzudrucken, fast alle Leserinnen und Leser  sind empört, fassungslos über den Beitrag. Zwei sind anderer Meinung: Der Pianist „wurde von interessierten politischen Kreisen, hoch bis zum Bundespräsidenten, zum Gott erkoren, mit keinerlei Berechtigung“,  schreibt eine Leserin. „Inzwischen sind sein Twittern und seine  Selbstdarstellung zu einer Masche geworden, die ihn von der Kunst längst entfernt hat. Aber er scheint der Medienliebling zu sein, dank besonderer Unterstützung.“ Und ein Leser  aus Berg/Starnberg sieht Levits Marketing enttarnt.“ Mit dem Kampf gegen rechts und gegen Nazis lässt sich im Berliner Juste Milieu und anderswo gefahrlos und gratis eine gut monetarisierte Gefolgschaft aufbauen. Das ist legitim und zeitgemäß, aber alles andere als mutig.“ Einzelstimmen sind das, die vielen anderen sind völlig anderer Meinung und sie werfen der SZ vor, einen Artikel gebracht zu haben, der ihrer unwürdig sei, weil die Grenze des guten Geschmacks wie überhaupt des Hinnehmbaren überschritten sei.  Und ein Leser aus Gäblingen sieht im Text von Mauró den Versuch, die „niederträchtige Intention“ seines Beitrags zu verschleiern:“nämlich Gift zu verspritzen gegen den jüdischen Künstler Levit, der sich lautstark und eloquent gegen Antisemitismus und Rassismus zur Wehr setzt. Als ob ein Pianist nur Klavier spielen dürfte und ansonsten Mund zu halten habe.“ Peinlich wirkt das für die Macher der Zeitung, ob es Abbestellungen gab, Kündigungen des Abonnements?

„In eigener Sache“ entschuldigt sich die SZ-Chefredaktion auf dieser Leserbriefseite. Wörtlich heißt es: „Viele unserer Leserinnen und Leser kritisieren diese Veröffentlichung scharf und sind empört. Manche empfinden den Text als antisemitisch, etliche sehen Levit als Künstler und Menschen herabgewürdigt. Auch er selbst sieht das so. Das tut uns Leid und deswegen bitten wir Igor Levit persönlich wie auch unsere Leserinnen und Leser um Entschuldigung.“ Auch viele Redakteurinnen und Redakteure, erfahren wir aus dem Schreiben der SZ-Chefredaktion, empfänden „etliche Stellen des Textes(von Mauró) ebenfalls als antisemitisch-inbesondere jene. die sich über den jüdischen Künstler Levit lustig machen, weil er nach dem Angriff auf einen jüdischen Studenten vor einer Synagoge in Hamburg auf Twitter an mehreren Tagen schrieb, wie müde er sei.“ Auch die im Beitrag thematisierte Frage, ob Levits Einsatz gegen Rechtsextremismus „nur ein lustiges Hobby“ sei, wie Mauró das geschrieben hat, sorgte in der SZ-Redaktion, ebenso wie außerhalb, für „großen Unmut“.

Nein, der Beitrag von Mauró ist alles andere als ein „süffisanter Text“ über Igor Levit. Florian Harms von T-online sollte mal den Pianisten um seine Meinung fragen. Und dass der Chefredakteur der Welt Rückgrat gezeigt habe, darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Mir sind dann die Chefredakteure der SZ doch lieber, wenn sie ihre Fehler öffentlich machen und sich öffentlich entschuldigen. 

Zum Schluss ein paar Urteile aus Zeitungen über die Qualität des Pianisten Igor Levit. Die New York Times beschreibt ihn als „einen der bedeutendsten Künstler seiner Generation“, die Süddeutsche Zeitung nannte Levit an anderer Stelle einen „Glücksfall“ für das heutige Konzertgeschehen, während die Hamburger „Zeit“ meinte, Igor Levit „will nicht nur der Mann sein, der die Tasten drückt.“ Ob Mauró das gelesen hat?

Bildquelle: flickr, Hubert Burda Media, CC BY-NC-SA 2.0

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Tags: AntisemitismusHetzartikelIgor LevitMedienkritikShitstormSüddeutsche EntschuldigungSüddeutsche Zeitung
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