Viele Jahre wurde über die EU-Politik gewitzelt. An den Bürgerwillen vorbei seien Verordnungen erlassen oder Richtlinien beschlossen worden. Die Banane und ihre Krümmung, die Glühbirne – um nur zwei prominente Beispiele zu nennen. Die „Eurokraten“ erzeugten bei den Bürgern mitleidiges bis verärgertes Kopfschütteln. So liefert der Google-Suchbegriff „unsinn der eu“ in 42 Sekunden fast 2,9 Million Treffer. Diese Bürgerferne hat sich soeben geändert. Mindestens bei der Umweltpolitik. Dem Mikroplastik sei Dank. Kaum ein Thema hat Brüssel so bewegt – außer vielleicht der Brexit. Während der Begriff Mikroplastik vor fünf Jahren noch ausschließlich in Expertengremien und bei Umweltverbänden wie Greenpeace auf der Agenda stand, haben es die Mikroplastiks vor wenigen Monaten in die Schlagzeilen geschafft und kämpfen dort mit dem Brexit um die Vorherrschaft auf den Titelseiten. Tote Vogel, mit Plastikabfällen im Schnabel, Fische mit Plastikresten oder vermüllte Strände. Das Cocktail aus Staunen, Sorgenfalten und Verärgerung der Bürger erzeugte eine Bewegung: Weg mit dem Plastik. Die Kunststoff-Einweg-Produkte allen voran Einweg-Verpackungen wurden als Verursacher ausgemacht. Das passte der EU-Kommission gut in den Plan, denn man war vorbereitet. Der Circular Economy Action Plan der EU-Kommission, der bei Abfällen und Abwasser zur Kreislaufwirtschaft führen soll, bot die Grundlage die European Strategy for Plastics, die europäische Plastikstrategie auf den Weg zu bringen. Deren Ziel ist die Verbannung von Einwegplastik aus der Umwelt. Diesem Vorhaben ist man 18. Januar 2019 einen großen Schritt nähergekommen.
Rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament
Jetzt kann sich Brüssel eigentlich feiern lassen. Die Europa-Wahlen stehen vor der Tür und die EU hat gezeigt, dass sie drängende Probleme, zumindest solche aus Sicht der Bürger, kurzfristig angehen und lösen kann – auch wenn es noch klitzekleine Aufgaben gibt. Aber die Einigung ist da.
Schon kurz vor Weihnachten stimmten die EU-Parlamentarier in Straßburg mit großer Mehrheit für den Richtlinienentwurf der Kommission. Diese hatte mit ihrem Vorstoß, Plastik zu verbannen, bereits den Grundstock gelegt. Viele Einweg-Produkte und Verpackungen sollen aus den Einkaufsregalen verschwinden. So soll verhindert werden, dass sie als Kunststoffabfälle später an Stränden, auf Wiesen und Feldern liegen oder als Mikropartikel in Flüssen und Bächen schwimmen. Genau das wurde jetzt beschlossen.
Denn nur einen Monat später, am 18. Januar 2019, haben die EU-Botschafter der Mitgliedsstaaten im Ausschuss der Ständigen Vertreter die Verbannung der Einweg-Kunststoff-Produkte bestätigt und damit eine Einigung, die zwischen dem Ratsvorsitz und dem Europäischen Parlament nach mehr als 12-stündigen Verhandlungen in den frühen Morgenstunden des 19. Dezember 2018 erzielt worden war. Ein Monat und dazwischen noch die Weihnachtspause! Was will man mehr?
Diese Produkte sollen verschwinden
Die Reihe der Produkte, die aus den Regalen verschwinden werden, ist lang. Insbesondere den Fast-Food-Verpackungen geht es an den Kragen. Dass was Einwegprodukte sind, ist schnell erklärt: aus Kunststoff sind solche, die nur einmalig oder kurzzeitig zu verwenden sind, bevor sie entsorgt werden. Hierzu gehören
- Fast-Food-Behälter wie Sandwich-, Wrap- und Salatboxen
- Lebensmittelbehälter für frische oder essfertig verarbeitete Lebensmittel wie Obst, Gemüse oder Desserts
- Getränkeflaschen für Bier, Wein, Wasser, Erfrischungsgetränke, Säfte und Nektare, Instantgetränke oder Milch
- Wattestäbchen
- Besteck (Gabeln, Messer, Löffel, Essstäbchen)
- Platten
- Strohhalme
- Teller
- Luftballonstäbe
- Rührstäbchen für den Kaffee
- dünne Plastiktüten
- Getränkeverpackungen aus erweitertem Polystyrol
- so genanntes „oxo-abbaubares Plastik“ – ein Material mit Metallbeimischung
Für einige Produkte soll es eine Schonfrist geben. Dort wo es noch keine Mehrweg-Produkte als Einweg-Ersatz gibt, sollen die Mitgliedsstaaten auf deren Entwicklung hinwirken. Als Beispiel sollen Ziele gesetzt werden, um die Einweg-Quote schrittweise zu reduzieren. Was viele Abwasserentsorger freuen wird: Für Hygiene-Feuchttücher und andere Produkte, die in Folge der bevorzugten Entsorgung über die Toilette, für Probleme in den Abwasser- und Kläranlagen sorgen, sollen eindeutige Beschriftungen für Klarheit sorgen. Hier war von vielen Experten kritisiert worden, dass die Verbraucher eher verwirrt als darüber aufgeklärt werden, wie viele Feuchttücher in die Toilette dürfen. Hier werden die Anbieter jetzt nacharbeiten müssen.
Kleinere Nacharbeiten und Umsetzung in nationales Recht in 2021
Bevor die Sektkorken knallen, gibt es nur noch ein paar formale Schritte, bis die Regeln in letztendlich Kraft treten können. So muss das Europäische Parlament seinerseits das jetzige Abkommen nochmals bestätigen. Dass die Richtlinie im Rat der EU formell angenommen wird, ist so etwas wie der letzte Knopfdruck. Diese voraussichtlich noch vor dem Sommer passieren, ehe die Ratspräsidentschaft in der EU von den Rumänen an die Finnen abgegeben wird.
Danach haben die Mitgliedsstaaten 2 Jahre Zeit, die Regeln in nationales Recht umzusetzen. Das heißt, die Verbote werden ab 2021 Gültigkeit haben. Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat mit ihrem 5-Punkte-Plan mit Maßnahmen für weniger Plastik und mehr Recycling Ende 2018 vorgelegt. Diese sehen unter anderem eine Mischung aus gesetzlichen und freiwilligen Maßnahmen zur Vermeidung von überflüssigem Plastik vor. Die Einigung auf europäischer Ebene wird diesen Plan beflügeln. Auch die Verbraucher machen schon fleißig mit. Schon heute sieht man in deutschen Innenstädten nur noch wenige Plastiktüten. Die Einigung in der EU, gepaart mit der konsequenten Haltung unserer Bundesumweltministerin und der Vernunft der Verbraucher – eine geballte Macht. Einweg-Produkte haben damit keine Zukunft mehr. Hersteller werden sich umorientieren müssen. Die Umwelt wird gewinnen. Kaum anzunehmen, dass die Briten doch noch von der Sinnhaftigkeit eines Verbleibs in der EU überzeugen wird.
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