Der 7. Oktober 2023 hat mich sprachlos gemacht. Die Verbrechen der Hamas an Jüdinnen und Juden, an Kindern und Alten, an Großeltern, haben mich geschockt. Ich habe in meinem journalistischen Leben das KZ Auschwitz besucht, zwei Mal, habe Treblinka gesehen, Theresienstadt, Mauthausen, Dachau, ich habe über die Verbrechen der Nazis an Juden gelesen, wie sie Kleinkinder in elektrisch geladene Zäune geworfen oder sie einfach ins Gas geschickt haben, wie die SS reihenweise Männer mit Genickschuss erledigten, schwangeren Frauen durch den Bauch schossen. Ich habe über die November-Pogrome in Deutschland am 9. November 1938 gelesen. Ich habe über den Verbrecher Hans Frank gelesen, über Adolf Eichmann. Darüber, dass die Nazis sechs Millionen Jüdinnen und Juden in wenigen Jahren ermordeten, vergasten, verprügelten, verhungern ließen.
Mich hat es immer stumm gemacht, appetitlos für mindestens einen Tag. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass Jahrzehnte später Juden in Deutschland wieder in Angst und Schrecken leben müssten, nie hätte ich für möglich gehalten, dass Verbrechen der Hamas an Jüdinnen und Juden in Deutschland gut geheißen, dass sie, wie in Neukölln geschehen, bejubelt worden wären. Wie kommt jemand dazu, die Morde der Hamas an Juden zu relativieren, nach dem Motto: die Massaker sind zu verurteilen, aber auch verständlich? Warum sind wir nicht einmal in der Lage, einfach zu schweigen, mit Demut der Morde zu gedenken, Mitgefühl zu zeigen? Niemand hat ein Recht, einen anderen umzubringen, niemand hat ein Recht, Menschen die Köpfe abzuschlagen, Kinder vor den Augen ihrer Eltern zu töten, Frauen zu vergewaltigen, Leichen zu schänden. Ich hätte auch nie gedacht, dass eine offen fremdenfeindliche Partei wie die AfD, in Teilen antisemitisch, von so vielen Deutschen gewählt würde, dass eine solche Partei in allen Parlamenten sitzt. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass eine Partei wie die Freien Wähler in Bayern, die in eine heftige Debatte geriet wegen eines ekelhaften antisemitischen Flugblatts, sogar noch an Zuspruch gewinnen würde.
Gerade hat mich ein Bekannter angerufen, um mit mir darüber zu reden. Siehst Du denn nicht, dass sie selber schuld sind? Ich habe ihn unterbrochen, ihn gefragt, ob er Deutscher sei und die deutsche Geschichte kenne, die Jahre 1933 bis 1945, all die Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzuzählen, es würde ein Buch füllen. Und Du kommst mir mit den Verbrechen der Israelis an Palästinensern. Nein und nochmals nein. Die Täter der Hamas unschuldig zu machen für das, was sie am 7. Oktober gemacht haben, Mord und Totschlag. Und wir die Deutschen, die für den Zivilisationsbruch unter den Nazis verantwortlich sind, wir erklären der Welt, das sei alles nicht so schlimm, weil nämlich die Israelis nicht unschuldig seien. Mir ist es egal, wer solches Zeug in die Welt setzt, ob Linke oder andere. Ich halte es für falsch, instinktlos.
Widerwärtig finde ich die Diskussion, ja empörend. Dass der Kanzler Olaf Scholz betont, er stehe an der Seite Israels, habe ich verstanden, finde ich richtig. „Palästinenser und Muslime sind nicht gleichzusetzen per se mit der Terror-Organisation Hamas“, hat die Fernseh-Journalistin Dunja Hayali gesagt und ergänzt: „Das ist ein Unterschied.“ Ich kenne das Leid, das die Palästinenser erlitten haben und erleiden. Aber das darf doch nicht dazu führen, die Jüdinnen und Juden allein zu lassen mit ihrer Sorge und Furcht in Deutschland. Das Massaker der Hamas zu relativieren. Bald ist wieder der 9. November, da werden sie an ihre Synagogen denken, die damals 1938 von den Nazis und deren Freunden und Sympathisanten in Brand gesteckt wurden, viele Deutsche hatten zu- oder weggeschaut, geholfen hat den Juden kaum jemand, gelegentlich hatte der eine oder andere sogar Beifall geklatscht. Erinnerungskultur, davon ist wieder mal die Rede, immer mal wieder, wenn Juden bei uns angegriffen werden, wenn antisemitische Sprüche sich breit machen. Wir dürfen niemals vergessen, was damals geschah.
Das Massaker am 7. Oktober habe nicht in einem Vakuum stattgefunden. Die Israelis hätten sich die völkermordenden Pogrome selber zuzuschreiben. Merkt denn niemand von denen, die so daher reden, wie geschockt die Deutschen jüdischen Glaubens im Lande sind? Hat niemand gespürt, wie ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde? Noch nie davon gehört, dass Juden bei uns oft genug mindestens einen Koffer gepackt haben mit den nötigsten Dingen, damit sie in der Not schnell fliehen können? Nur wohin, das ist heute die Frage, da Israel von der Hamas angegriffen worden ist, einer Terror-Organisation, die in ihrem Programm die Vernichtung des Staates Israel manifestiert hat? Die Schuld liege beim Apartheid-System, habe ich gelesen. Das klingt dann so, als wäre denen, die das sagen, der Tod israelischer Zivilisten kein Wort des Mitleids, des Bedauerns wert.
Die jüdische Welt ist in tiefer Trauer und in einem Schockzustand. Israel, der Zufluchtsort für jeden Juden in der Welt, wenn es nötig sein sollte. Ist diese Garantie mit dem 7. Oktober in Gefahr? Merken wir nicht, wie unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zittern? Dass sie Angst haben, die Kippa zu tragen, Angst um ihre Kinder, die in die Schule gehen. Wer wird sie schützen, wenn es darauf ankommt? Sie denken in solchen Zeiten wieder an die Shoah, den Holocaust, die Bilder von den getöteten Kindern und Alten, der Geruch verbrannter Körper, das Blut auf den Straßen, das alles hatte es schon mal gegeben. Als Deutscher, geboren im 2.Weltkrieg, der die Verbrechen von Nazi-Deutschland an Millionen Juden aus Büchern und dem Besuch in den KZs kennt, schäme ich mich, wenn Jüdinnen und Juden wieder Angst haben in Deutschland.
Das Massaker vom 7. Oktober, das Abschlachten von 1400 Menschen, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Begangen von der Hamas, einer Terror-Organisation, die dann noch vom türkischen Präsidenten Erdogan als Befreiungs-Organisation gefeiert wurde. Widerlich, Herr Präsident. Wer offen Freude zeigt über das Verbrechen, beweist seine eigene Unmenschlichkeit. Die Tragödie Israels am 7. Oktober bedarf unseres Mitgefühls, unserer Solidarität, die Juden in Deutschland dürfen sich nicht allein gelassen fühlen. Der Schutz des jüdischen Lebens ist Teil der Staatsräson der Bundesrepublik. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte daran. Auch als Mahnung an uns alle.
Bildquelle: Gary Todd, CC0, via Wikimedia Commons
'Der 7. Oktober: Verbrechen der Hamas – Demut und Solidarität sind gefragt von Deutschen' hat 2 Kommentare
31. Oktober 2023 @ 18:15 wolfgang wiemer
Danke für diesen Text !
31. Oktober 2023 @ 21:06 Friedrich Elke
Endlich ist da ein treffsicherer Kommentar verfasst, die Realität bestens beschrieben,wo aber finde ich in der deutschen Medienlandschaft diese Schilderung, entweder können, wollen oder dürfen sie sich nicht soweit aus dem Fenster lehnen ?? gut gemacht alfons. GLÜCK AUF