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Die Mauer ist weg- die DDR auch. 30 Jahre danach- Zum Tag der deutschen Einheit.

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
2. Oktober 2019
Berliner Mauer

4

30 Jahre nach dem Mauerfall wird tatsächlich darüber diskutiert, dass nicht alles schlecht war in der DDR. Dazu erreichte mich vor ein paar Wochen ein Buch eines Berliner Verlages. Darin wurde behauptet: „Die große Freiheit ist es nicht geworden, die kleine Freiheit- vielleicht.“ Ich habe viele Seiten des Werkes gelesen und es dann weggelegt aus Verärgerung darüber, weil mir der Autor all die angeblichen Stärken oder Vorteile der DDR aufzeigen wollte. Tut mir Leid, aber der Mann hatte offensichtlich vergessen, was die DDR damals war: Ein Unrechtsstaat, der seine Bürger durch Mauer und Stacheldraht daran gehindert hat, über die Grenze in den Westen zu fliehen. Die DDR war so gesehen ein Gefängnis. Schon vergessen? Oder ist diese Zuspitzung übertrieben?

Ich sage das hier mit dieser Deutlichkeit, weil einige Schönredner unterwegs sind, die versuchen, die Geschichte umzuschreiben. Was nicht bedeutet, die Bundesrepublik in den Himmel zu heben. Es gibt weiß Gott hier manches zu bekritteln, längst nicht alles läuft so, wie man sich das wünschte, es ist auch im Westen einiges verbesserungsfähig. Man schaue sich nur das Ruhrgebiet an, wo alle Probleme Deutschlands gebündelt zu besichtigen sind. Aber selbst wenn ich mich in die dunkelsten Ecken von Gelsenkirchen, Hagen, Duisburg, in den Dortmunder Norden oder nach Altenessen begebe, eintauschen möchte ich das Revier gegen das frühere System der DDR nicht.

In der „Süddeutschen Zeitung“ habe ich dazu ein Interview mit Axel Noack gelesen, langjähriger Bischof von Magdeburg. Er sagt klar und deutlich: „Die DDR wünscht sich kaum einer zurück.“ Was ja nicht ausschließt, dass es auch Gutes im Osten Deutschlands gab, das die Menschen aus Rostock, Leipzig und Quedlinburg gern und zu Recht in guter Erinnerung behalten. Das will ihnen auch keiner nehmen. Wir haben Freunde im ehemaligen(muss ich sagen) Ostberlin, die im Gespräch mehrmals ein wenig darüber geklagt haben, dass die Wessis gar nicht oder zu wenig ihre Lebensleistungen anerkannt hätten. Denn sie hätten doch genauso viel geleistet wie die Wessis, nur unter anderen Bedingungen. Die Freunde haben Recht. Wir haben auch nie behauptet, dass wir die besseren Deutschen wären, oder dass wir mehr geleistet hätten, wir haben darauf verwiesen, dass es für uns ein Glücksfall war, ein Zufall, dass wir auf der westlichen Seite des Eisernen Vorhangs aufwachsen durften. Im Westen war es leichter, zu etwas zu kommen, etwas zu werden, aber einfach war es auch nicht.

Über den Tisch gezogen

Und es stimmt weiterhin, was ich mehrfach auch in diesem Blog zur deutschen Einheit geschrieben habe: Es gab nach dem Fall der Mauer zu viele Wessis, die auf der Jagd nach mehr Gewinn in den Osten einfielen und mitnahmen, was sie kriegen konnten, rücksichslos wurden da nicht wenige über den kapitalistischen Tisch gezogen. Sie kannten die Tricks, um sich Immobilien unter den Nagel zu reißen, um nur dieses üble Beispiel zu erwähnen. Und politisch war es ein Fehler, dass die DDR einfach der BRD beitrat und das Grundgesetz übernahm, anstatt darüber eine grundsätzliche Diskussion zu führen. Was nicht heißt, die Qualität des Grundgesetzes in Frage zu stellen. Es ist die beste Basis, die ein Deutschland je hatte.

Axel Noack beklagt in der SZ, dass die Marktwirtschaft „heiliggesprochen“ worden sei. Da ist was dran, man denke nur an den Spruch aus Wendejahren: Kommt die DM nicht zu uns, kommen wir zur D-Mark. Als wenn das das Problem gelöst hätte. Eine langsamere Vereinigung wäre der Wirtschaft in Mecklenburg, Sachsen, Thüringen, Brandenburg sicher besser bekommen, war aber nicht zu machen, weil die Menschen drängten, auf gut Deutsch:  Sie hatten die Schnauze voll von der Mangelwirtschaft. Im übrigen ist dazu anzumerken, dass es sich um eine soziale Marktwirtschaft handeln sollte, der Zusatz ist wichtig, weil dadurch der soziale Kern des Systems herausgestrichen wird. Heute würde man noch ergänzen, was ich kürzlich vom einstigen Umweltminister Prof. Klaus Töpfer las: soziale und ökologische Marktwirtschaft, um des Klimaschutzes willen, oder besser, wie es Töpfer formulierte, um der Schöpfung willen. Dass Hunderttausende einst die DDR verlassen haben, wodurch viele Lücken entstanden in den Dörfern, Städten, in Schulen und Betrieben, lag am System der DDR, daran, dass es dort vieles nicht gab, dass die SED-Diktatur den Menschen vieles nicht erlaubte, dass sie kontrollierte, abhörte, drangsalierte, einsperrte. Wer durch die DDR gefahren ist vor dem Fall der Mauer, wird das Graue des Landes  nicht übersehen haben, eine Infrastruktur, die man als solche nicht bezeichnen konnte, Telefon war ein Luxus, man vergesse die Armseligkeit der Häuser nicht, die sich dem Besucher boten, manches wirkte abbruchreif.

Schießbefehl an der Mauer

Aber kommen wir auf die große Freiheit zurück. Auf die Freiheit, die es in der DDR eben nicht gegeben hat. Vergessen wir nicht den Schießbefehl an der Mauer, dem viele zum Opfer fielen. In der Nähe von Brandenburger Tor und Reichstag kann man entlang der Straße ein paar Bilder sehen, die an die Mauertoten erinnern. Die SZ schrieb in ihrer Ausgabe zum Tag der Einheit eine bedenkenswerte Reportage über den einstigen Spiegel-Korrespondenten in der DDR, Ulrich Schwarz, der heute 82 Jahre alt ist. Die Geschichte beginnt damit, dass Schwarz mit seinem Volvo auf dem Weg nach Rostock einen Unfall hatte. Er war „mitten am Tag auf gerader Strecke von der Straße “ abgekommen und hatte sich mehrfach mit seinem Wagen überschlagen. Schwarz war am Steuer bewusst geworden, was ihm nie zuvor passiert war und auch nicht danach. Schwer verletzt landete er im Krankenhaus, er verdankt sein Leben wohl der massiven Karosserie seines schwedischen Autos, wie SZ-Reporterin Annette Ramelsberger in der Story mit dem Titel „Der Kronzeuge“ nachzeichnet. Kaum im Krankenhaus habe das Ministerium für Staatssicherheit angerufen und gefragt, ob Schwarz transportfähig sei. Der ihn behandelnde Arzt habe verneint und dabei den Kranken vielsagend angeschaut, das sei doch sicher in seinem Sinne. „Nicht, dass da noch einmal was passiert..“, so Frau Ramelsberger weiter.

Der Unfall geschah 1987 und bis heute ist Schwarz davon überzeugt, dass seine Ohnmacht keine natürliche Ursache gehabt habe. Ob es ein Mordanschlag war, das Lenkrad mit einem Kontaktgift präpariert gewesen sei, es konnte nicht aufgeklärt werden, weil die Stasi-Akte von Schwarz ausgedünnt war, bereinigt oder wie man das sagen soll. Der Unfall erinnert in fataler Weise an den Fall des Fußballspielers Lutz Eigendorf, der sich in die Bundesrepublik abgesetzt hatte. Eigendorf war auf ähnliche Weise wie Schwarz auf einer Straße in Braunschweig von der Straße abgekommen und gestorben. Die Stasi hatte ihre verbrecherische Arbeit auf den Westen ausgedehnt. Was für ein Staat, der einen Mord gegen einen unbequemen Korrespondenten des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ in Auftrag gab. Ulrich Schwarz war nah dran am Geschehen, berichtete, was er nicht sehen sollte, so über die Demo am 9. Oktober 1989 in Leipzig. Er wurde ständig überwacht, bedroht, bedrängt, einmal nachts habe das Telefon geläutet, eine Stimme habe ihm zugeflüstert: „Leb wohl, lebt wohl.“ Daraufhin habe er seine Dienstwohnung in der Leninallee in Ost-Berlin sofort verlassen und sei in der Nacht in den Westen der Stadt gefahren. Um am nächsten Tag wieder zurück zu sein in der DDR, um zu berichten.

Mir fällt dazu noch der Fall des Fußball-Trainers Jörg Berger(1944 geboren) ein, der nach dem Ende des 2. Weltkriegs mit seiner Familie von Gdynia nach Leipzig geflohen war, dort spielte er für Lokomotive Leipzig, wurde ein anerkannter Trainer in der DDR. Berger nutzte als Trainer der DDR-Nachwuchsmannschaft 1979 ein Spiel in Jugoslawien, um in den Westen zu fliehen. Er trainierte u.a. Mannschaften wie den SV Darmstadt 98 und den Bundesligisten Schalke o4. Berger sah sich vielen Bedrohungen durch die Stasi ausgesetzt, die offenbar ihre Hand im Spiel hatte, als gegen ihn als Trainer des KSV Hessen-Kassel Mitte der 80er Jahre ein Giftanschlag verübt wurde, den er überlebte. Gewissheit über die Hintermänner des Anschlags erhielt er erst nach dem Fall der Mauer 1990, als er einen Blick in seine Stasi-Akten nahm.

Als die Stasi die RAF schulte

Die DDR ein Unrechtsstaat? Wer es vergessen hat, dem mögen ein paar Zahlen aus der Statistik helfen. 1989 gab es rund 91000 hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter und 110000 inoffizielle Mitarbeiter(IM). In den 50er Jahren wurden Häftlinge in den Stasi-Gefängnissen physischer Folter ausgesetzt. Man schaue sich das heutige Museum in Hohenschönhausen an, einst ein Stasi-Gefängnis. In unguter Erinnerung ist auch noch, dass die Stasi in den 80er Jahren Terroristen der RAF(Rote Armee Fraktion) im Umgang mit Waffen und Sprengstoffen schulte.

Der Fall der Mauer war Menschenwerk, war dem Mut von DDR-Bürgern zu verdanken, die mit Kerzen in den Händen auf die Straße gingen und riefen: Wir sind das Volk. Es waren damals in Leipzig 70000, zuviele für die Stasi, um gegen die Demonstranten vorzugehen. Ulrich Schwarz, so ist es in der eindrucksvollen Reportage der SZ zu lesen, war damals in Leipzig dabei, er sah, wie dieser Zug von Menschen „zum Fanal gegen die DDR-Regierung“ wurde, das DDR-Fernsehen übertrug natürlich die Demonstration nicht, die Zeitungen in der DDR berichteten darüber auch nicht.  Aber zwei Bürgerrechtler, die der Spiegel-Mann kannte, Aram Radomski und Siegbert Schefke, haben die Demo von einem Kirchturm aus auf einer Video-Kamera gefilmt. Wären sie erwischt worden, so Schwarz, hätte sie das „20 Jahre Bautzen“ gekostet. Das Video wurde in den Westen geschmuggelt, lief am Abend drauf in den Tagesthemen, die DDR-Bevölkerung schaute zu.

30 Jahre deutsche Einheit. Vergessen wir dabei nicht, wem wir das auch zu verdanken haben: Michail Gorbatschow, Generalsekretär der UdSSR von 1985 bis 1991. Er ging für sich ein großes Risiko ein mit Glasnost und Perestroika, er beendete den Kalten Krieg und war maßgeblich am Zustandekommen der Deutschen Einheit beteiligt. Dass die Mauer fiel ohne einen Schuß, dass die Rote Armee mit ihren Panzern in den Kasernen blieb, es ist ihm zu verdanken. Er wollte ein europäische Haus und darin für sein Rußland ein Zimmer. Gorbatschow beklagte später, dass die Sieger-Mentalität im Westen, der Sieger-Rausch eine andere Lösung mit Rußland in Europa verhindert habe. Schade.

30 Jahre deutsche Einheit. Es gibt noch vieles zu tun.

Bildquelle: Wikipedia, RIA Novosti archive, image #428452 / Boris Babanov / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0,

 

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Tags: 1989DDRDeutsche EinheitMauerfallWiedervereinigung
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