Der Text des Vertrages für die Neuauflage der Großen Koalition befand sich noch nicht in der Schlussredaktion, da waren nicht wenige Repräsentanten aus Verbänden, Parteien, Institutionen und anderen Kreisen mit der Lupe unterwegs, um die Haare in der Suppe zu suchen. Den einen fehlt der große futuristische Überbau, die anderen vermissen die Leuchtturmprojekte. Andere kritisieren wiederum die allzu großzügige Ausgabenpolitik, mangelnde Perspektiven für die junge Generation und steuerpolitische Mutlosigkeit.
In unserer pluralistischen Interessens-Demokratie müssen die Protagonisten der GroKo das alles hinnehmen. Schließlich stellt der Koalitionsvertrag, den CDU, CSU und SPD in den Tagen seit dem 28. Januar mühsam erarbeitet haben, keine in Stein gemeißelten Gesetze dar.
In den parlamentarischen Beratungen der nächsten Jahre wird noch viel Feinarbeit notwendig, werden noch mehr oder weniger große Veränderungen und Ergänzungen erforderlich. Zudem können auch jene, die alles und jenes besser zu wissen vorgeben, nicht schon heute voraussagen, was bis 2021 auf unsere Republik noch zukommen wird. Solche Unkenrufer hatten auch schon 2013 Hochkonjunktur und malten düstere Zukunftsszenarien an die Wand. Die Bilanz der letzten GroKo fiel indessen recht gut aus: Die Wirtschaft wächst, die Zahl der Beschäftigten bewegt sich auf Rekordniveau, die Löhne und Renten steigen, die Preise sind sehr stabil. Fast 80 % der Menschen in Deutschland – so die Umfragen – sind zufrieden.
Wieder eine stabile Regierung
All das ist eine solide Basis für die Neuauflage der GroKo. Denn nach den langen und schließlich gescheiterten Sondierungen von CDU, CSU, FDP und Grünen musste diese politische Formation beerdigt werden; sie hätte 393 Sitze im Bundestag gehabt. Ein paar mehr – nämlich 399 von 703 – bietet nun die GroKo auf. Damit wird nun mit der Union und den Sozialdemokraten wieder eine stabile Regierung zu bilden sein, wenn die SPD-Mitglieder dem mehrheitlich zustimmen werden. Die Aussichten auf das Ja zur GroKo werden den Genossen, die das zukünftige Regierungsprogramm exakt studieren und die sehr großzügige Ausstattung mit wichtigen Ministerpositionen im Bundeskabinett abwägen, auch als Chance für eine stärkere Profilierung erscheinen. Allen früheren Beteuerungen zum Trotz will Martin Schulz Außenminister in der Regierung Merkel werden. Als sicher gilt, dass er schon bald das Amt des SPD-Parteivorsitzenden an Andrea Nahles, die bereits Fraktionsvorsitzende ist, abgeben wird. Hinzu kommt, dass die SPD auch noch den Finanzminister – mit Olaf Scholz, der auch Vizekanzler werden soll – stellen kann. Hinzu kommen für die SPD noch die Ressorts Arbeit und Soziales, Familie, Umwelt und Justiz hinzu.
Wichtige GroKo-Weichenstellungen
Ohne Zweifel werden von den GroKo-Verhandlern viele Weichenstellungen festgelegt, die zum Teil längst überfällig waren, die jedoch zum größeren Teil für den Zukunftskurs sehr wichtig sind. Das gilt insbesondere für die Bereiche Bildung, Forschung und Digitalisierung, für die Flüchtlingspolitik und den Wohnungsbau. Manche sozialpolitischen Vorhaben sind in dem GroKo-Vertrag zu finden, die eine stärkere Beteiligung der Menschen in unserem Lande an dem steigenden Wohlstand ermöglichen sollen. Ludwig Erhards Vision vom „Wohlstand für alle“ wird aufgegriffen, um mit gezielten Transferzahlungen und anderen Hilfen dem Ziel einer „Teilhaber-Gesellschaft“ Schritt für Schritt näher zu kommen.
Solide Finanzpolitik hat Priorität
Auf der Ausgabenseite der GroKo stehen rund 46 Mrd. €, die für die Finanzierung der Projekte in der Familien-, Renten-, Bildungs- und Forschungspolitik dank der soliden Haushaltspolitik und des kräftigen Wirtschaftswachstums zur Verfügung stehen. Es wird keine Steuererhöhungen geben – auch nicht für „Besserverdiener“, die die SPD eigentlich stärker rupfen wollte. Für die Bezieher mittlerer und geringer Einkommen wird jedoch der Solidaritätszuschlag abgeschmolzen; das bringt für 90 % von ihnen rund 10 Mrd. € netto mehr bei den Löhnen und Gehältern. Angesichts der Senkung der Unternehmensteuer in einigen europäischen Ländern und insbesondere in den USA dürfte im Laufe der nächsten Legislaturperiode dieses steuerpolitische Thema gewiss noch einmal virulent werden.
Revival für die EU
Besonders erfreulich ist, dass CDU, CSU und SPD mit neuem Schwung die Wiederbelebung der Europäischen Union anstreben. Die Chancen für einen neuen Aufbruch sind gut, zumal Frankreichs Präsident Macron hierfür viele konkrete Vorschläge gemacht hat.
Die Achse Berlin-Paris könnte in Bewegung kommen und die EU im globalen Wettbewerb wieder nach vorne bringen. Denn es geht darum, möglichst zu allen wichtigen Fragen der europäischen und internationalen Politik gemeinsame Positionen zu entwickeln. Als besonders wichtig wird von den Koalitionären die Stärkung der Investitionen in Europa hervorgehoben – vor allem bei der gemeinsamen Forschung, bei Innovationen und für die Vollendung eines digitalen Binnenmarktes. Denn „Europa muss ein Kontinent der Chancen sein, besonders für junge Menschen. Sie sind Europas Zukunft“, so das GroKo-Credo.
Dieser neue Aufbruch für Europa wird indessen nur möglich und erfolgreich, wenn es gelingt, in Deutschland eine starke wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik zu entfachen. Mit den Bedenken und zum Teil kleinkarierten Einwänden, die sofort landauf, landab laut werden, ist kein Staat zu machen. Denn mehr denn je sind angesichts der großen nationalen und globalen Aufgaben mehr Mit- und Mutmacher und weniger Mies- und Runtermacher gefordert.
Neue Herausforderungen für Angela Merkel
Angela Merkel wird nach dem SPD-Votum, dessen Ergebnis am 4. März vorliegen soll, voraussichtlich erneut zur Bundeskanzlerin gewählt. Auf sie wird es ganz entscheidend ankommen, einen neue Dynamik zu entfachen, die nationalen und europäischen sowie internationalen Themen aufzugreifen und die Probleme engagiert zu lösen, vor allem auch die Menschen im Lande zu faszinieren und deren weitverbreitete Politikmüdigkeit abzubauen. Während sich in der SPD die personellen Veränderungen mehr als andeuten, muss die CDU sich dem Prozess der Erneuerung in den nächsten Jahren noch stellen. Denn bis zur nächsten Bundestagswahl sind es gerade noch gut 3 Jahre.
Bildquelle: pixabay, User Vectorxue, CC0 Creative Commons
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