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Home Kultur

John le Carré – Kein Nachruf

Jörg Hafkemeyer Von Jörg Hafkemeyer
14. Dezember 2020
John le Carré 2017

„Die Entstehungsgeschichte der meisten meiner Bücher liegt für mich mittlerweile im Dunkeln, obwohl das nicht immer so war, aber EIN MORD ERSTER KLASSE hat seinen festen Platz in meinem Gedächtnis,“ schreibt und erzählt John le Carré 1989 und fährt fort: „Es war mein zweites Buch und ich schrieb es im Hochgefühl meines bescheidenen Erfolgs meines ersten, SCHATTEN VON GESTERN. Ich begann es 1961 in Bonn, wo ich gerade bei der britischen Botschaft angefangen hatte und darauf wartete, dass meine Familie nachkam, und als es erschien war ich mit den Gedanken schon bei DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM.“ THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD. Graham Greene hat darüber gesagt: „The best spy story I have ever read.“ Es wurde ein Welterfolg, der Erste für David Cornwell alias John le Carré. 30 Jahre ist er alt als er dieses Buch zu schreiben beginnt, per Hand und Schreibmaschine. Es gibt ein Foto aus dieser Zeit, da sitzt er mit nacktem Oberkörper an einem Holztisch im Garten, entwirft den künftigen Welterfolg, der auch so großartig verfilmt worden ist. Mit dem unglaublich beeindruckenden Richard Burton in der Hauptrolle, die ursprünglich hatte Burt Lancaster spielen sollen. Was für eine Zeit. Mauerbau und Kalter Krieg. Walter Ulbricht und Nikita Chruschtschow, John F. Kennedy und Elisabeth II. im Londoner Buckingham Palace.

Ein Zeitsprung. Oktober 2019. Ursprünglich hatte John le Carré schon seit einiger Zeit nicht mehr schreiben wollen. Nun, mit 88 Lebensjahren legt er einen Roman vor, der der eines bösen, zornigen Mannes ist: FEDERBALL. Der Brexit und Donald Trump bringen ihn sprichwörtlich „auf die Palme“ Trump ist für le Carré „eine Bedrohung der westlichen zivilisierten Welt“. Auch die arroganten britischen Geheimdienste kommen nicht gut weg. Katzbuckelnde Opportunisten sind sie beim ihm seit 1963, als DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM erschien und sofort zum meistverkauften Buch in den USA wurden.  Und den Brexit hält er „für blanken Irrsinn“, ebenso wie den wiederaufkommenden alten und feindseligen Nationalismus und die große antieuropäische Verschwörung in Groß Britannien mit der „die Deutschen nichts zu tun haben“. Er hat einmal erzählt, dass er zum ersten Mal 1949 in Deutschland gewesen, nach Bergen Belsen und Dachau gefahren ist. „Der Gestank stand noch immer in den Baracken“; als er mehr als ein Jahrzehnt später Diplomat und Geheimdienstagent in Bonn wird, ist er entsetzt. Viele Nationalsozialisten, nicht nur ehemalige, sind in wichtigen Positionen der Regierung von Bundeskanzler Konrad Adenauer: „Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat“, rechtfertigt der sich und auch seinen Kanzleramtsminister Hans Globke, der an den Nürnberger Gesetzen mitgeschrieben hat. Nachzulesen auch in den 2016 herausgekommenen GESCHICHTEN AUS MEINEM LEBEN – DER TAUBENTUNNEL.

John le Carré ist viel gereist. Er hat die deutsche Sprache gelernt, sich in deutsche Literatur vertieft, hat viele Menschen in allen Teilen der Erde getroffen. Vor allem im TAUBENTUNNEL erzählt er witzig, auch selbstironisch, mit einem präzisen Sinn für Pointen, für Erfolge und Niederlagen. Vor allem, das zeigen seine Bücher seit 1963, konzentrierte er sich nicht nur auf die Vergangenheit, er stellte sich der Gegenwart, versuchte ihr auf vielen, vielen Reisen zu begegnen. Und das tat er. Und dann schrieb er und redete auch darüber, ohne Geschichten zu verfälschen. „Verfälscht auf gar keinen Fall, “ hat er vor Jahren während eines Treffens im Zentrum von Bern gemeint, „verfälscht auf keinen Fall, wenn nötig aber verschleiert.“ Er konnte gut zuhören, genau hinsehen, bei Yassir Arafat und Jewgeni Primakow, bei Stanley Kubrick und Richard Burton und vielen mehr. Bei privaten Dingen war er stets sehr zurückhaltend. Nicht in EIN MORD ERSTER KLASSE: „Mein Stoff war mir, wie der Leser wohl merken wird, überaus gegenwärtig. Ich hasste englische Internate. Sie waren für mich widernatürliche Einrichtungen und sind es heute noch, vermutlich deshalb, weil ich meine Internatskarriere schon als Fünfjähriger begann.“ Und eines von denen, Sherbone, beschreibt er so: „Es war zu jener Zeit ländlich gewesen, kolonialistisch, chauvinistisch und repressiv. “ Das also waren, um in seinen Worten zu bleiben, die Komponenten: „Erbitterung über meine Schulzeit in Sherbone, fasziniertes Staunen über die Sitten in Eton,… der Ekel vor ihr, dazu ein Bestiarium furchteinflößender Erwachsener…“

John le Carré erinnerte sich Jahrzehnte später mehrmals „an die Dumpfigkeit dieser alten Steinmauern, die meine Kindheit eingrenzten und in mir den lebenslangen Drang weckten, gegen alles zu rebellieren, was meine Freiheit in irgendeiner Weise zu beschneiden drohte“. Sehr ein- und nachdrücklich ist die Geschichte der Mauern dieser Welt nachzulesen in DAS VERMÄCHTNIS DER SPIONE; nach dem Motto seines Lebens und seiner Agenten Smiley, Leamas und Guilham: „Wir haben uns nicht die Zähne an den Scheißdingern ausgebissen, damit ihr sie jetzt wieder hochzieht.“ Eine persönliche Bemerkung zum Ende dieser Zeilen in seiner Sprache: John le Carré is surely one of those writers who will be read in centuries from now.

Bildquelle: German Embassy London, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

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Tags: DER AUS DER KÄLTE KAMDER SPIONErinnerungJohn le CarréLebenswerk von le CarréLiteraturWürdigung
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