Prof. Dr. Heinz Josef Varain

Nachruf Prof. Dr. Heinz Josef Varain – Mit Prof. Dr. Varain verlässt ein Wohltäter Wilhelmsburg, leider für immer!

Heinz Josef Varain war einer meiner Professoren in Gießen. Ich hatte über 40 Jahre nichts mehr von ihm gehört, bis ich anlässlich einer Internet-Recherche zufällig auf diesen Nachruf stieß, den ihm Jugendliche, für die er sich engagiert hat, gewidmet haben. Er hat den folgenden Wortlaut:

Prof. Dr. Heinz Josef Varain verstarb im Alter von 86 Jahren.
Der Professor für Politikwissenschaften lehrte bis 1988 an der Uni Gießen, im Juli 2000 zog er nach Hamburg Eimsbüttel.
In Hamburg kaum angekommen las er von der sozialen Schieflage des Stadtteils Hamburg Wilhelmsburg.
Er lernte das Haus der Jugend Wilhelmsburg kennen, besuchte es regelmäßig und unterstützte die dortige Arbeit nachhaltig.
Er spendierte den Kids u. a. mobile Standboxbälle, diverse Boxhandschuhe, eine Mädchenreise nach Berlin, eine Parisfahrt, darüber hinaus unterstützte er die Märchentage, schaffte Sportgerät für die Psychomotorik an.
Der Professor half nicht nur finanziell, er sprach vor allem auch mit den Kindern und Jugendlichen, was ihm stets wichtig war.

Varain schwärmte bis zum Schluss von „den glücklichen Kinderaugen“, von Kindern, „denen ich ein wenig helfen konnte bei ihrem Weg in die Zukunft“.
„Selbst bin ich ein Konsummuffel“, sagte der Professor einmal. „So lange ich noch Geld für meine Zigarillos habe, gebe ich gern etwas ab und versuche einen Beitrag für Verbesserungen der Gesellschaft zu leisten“.
Varain war und ist mit Sicherheit ein Vorbild für uns alle.
Ohne große Worte half er, sein Motto war stets: „Tu Gutes und rede nicht darüber!“
Die Wilhelmsburger Kinder und Jugendlichen, das HdJ Team sagen ein herzliches Dankeschön für ganz viele schöne und gemeinsame Jahre.
In Gießen richtete der Professor übrigens die Stiftung „Anstoß“ ein, die dort jährlich Geld für soziale Projekte zur Verfügung stellt.

Ich erfuhr, dass er bereits vor geraumer Zeit gestorben ist. Ich lernte ihn Anfang 1970 kennen und arbeitete unter ihm als studentischer Tutor. Er war Sozialdemokrat durch und durch; hatte mit Jochen Steffen, dem ehemaligen SPD-Chef von Schleswig-Holstein, gemeinsam als Assistent an der Kieler Uni gearbeitet und blieb auch nach seinem Wechsel an die Uni Gießen freundschaftlich mit ihm verbunden. Sein Forschungs- und Lehrgebiet waren „Parteien und Gewerkschaften“.

Jetzt, wo ich an die Zeit zurückdenke, fällt mir wieder ein, dass wir am 14. Juni 1970 eine Wahl-Party in seinem Haus gefeiert haben. Es war mir ein unvergesslicher Tag: In NRW fand eine Landtagswahl statt, die von erheblicher bundespolitischer Bedeutung war: es ging um die Bestätigung, wenn nicht gar um den Fortbestand der sozial-liberalen Koalition in Bonn unter Willy Brandt. Die ebenfalls sozial-liberale Koalition in Düsseldorf unter Heinz Kühn behauptete sich trotz Verlusten. Es gab mithin Grund zum Feiern. (Dass diese Wahl auch für mich persönlich bedeutend werden sollte, ahnte ich damals noch nicht. Heinz Kühn und sein damaliger Bildungsminister Johannes Rau setzten sich für die Gründung eines Forschungsinstituts ein, das die sozialen Chancen von Arbeiterkindern erforschen sollte. Ab Ende der 70er Jahre arbeitete ich 23 Jahre lang in diesem Institut).

Wir kamen erst spät zur Party hinzu, da wir vorher noch den Sommernachtstraum von Shakespeare ansehen mussten. Schwiegervater hatte Karten für die Veranstaltung im Rahmen der Industriefestspiele im Wetzlarer Rosengarten besorgt. Wir konnten ihn nicht hängen lassen. Ich saß buchstäblich auf Kohlen. Nicht wegen der Party. Nein, am gleichen Abend fand das Viertelfinale der WM zwischen Deutschland und England statt. In den hinteren Reihen hörte jemand sich die Übertragung auf einem Transistorradio an. Ich bekam mit, dass England 2:0 führte, als die Aufführung endlich zu Ende war. Wir fuhren sofort nach Gießen und trafen die Partygäste bei bester Laune an. Die Wahl in NRW war knapp gewonnen worden; aber angesichts des Zwischenergebnisses in Mexiko? Und dann das Wundersame: Deutschland hatte das Spiel noch gedreht und 3:2 nach Verlängerung gewonnen. So wurde der Abend zu einem „Sommertraum“ ganz anderer Art. Jetzt konnte die Party richtig losgehen.

Und noch etwas erinnere ich: Ich nahm als studentischer Fachschaftsvertreter an den Institutskonferenzen teil; Varain war der Direktor des Instituts. Es ging um Studienreformen. Wir Studenten verlangten einen Grundkurs in Marxismus. Er war dagegen. Es gab heftige Kontoversen, aber wir setzten uns schließlich durch.
Das hielt ihn nicht davon ab, die Leitung des Kurses zu übernehmen. Es bedurfte eines Lehrberechtigten, damit der Kurs offiziell anerkannt wurde und die Studenten für die Teilnahme Scheine erhielten.

Unvergessen dann die Auftaktveranstaltung: 500 Studenten nahmen daran teil; sie fand wegen des Andrangs im Audimax statt. Das Eröffnungsreferat hielt Varain selbst: Über die „ Marxsche Methode der Politischen Ökonomie“. Er war alles andere als Marxist, aber er machte das großartig. Wir Studenten waren baff.

Es war üblich, dass man nach den Sitzungen noch gemeinsam ein Bier trinken ging. Varain war stets dabei; sog genüsslich an seiner Pfeife und nahm rege an den z.T. hitzigen Diskussionen teil.
Er engagierte sich auch damals schon in sozialen Projekten. So war er halt: wenn er gebraucht wurde, war er zu Stelle. Und wie der Nachruf zeigt, hat sich daran bis ins hohe Alter auch nichts geändert.

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Joke Frerichs, Dr. rer. pol.; Studium der Politikwissenschaft; Soziologie; Philosophie; Germanistik, lebt als freier Autor in Köln. Er schreibt Romane, Gedichte, Essays und Rezensionen.


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