Vor Jahr und Tag schuf Heiko Sakurai eine Karikatur, die jetzt aktueller denn je werden könnte. Sie zeigt den Altkanzler Gerhard Schröder auf dem Sockel stehend, seine Nachfolgerin Angela Merkel geht mit der Aktenmappe vorbei und Schröder ruft ihr nach: „Noch sind Sie Kanzlerin. Aber irgendwann is immer Ende!“
Das kann bald sein, je nachdem, wie die SPD sich auf dem Parteitag entscheidet oder welche Forderungen die Sozialdemokraten an ihren Koalitionspartner, die Union, richten. Und ob die Christdemokraten bereit sind zu Nachverhandlungen wie zum Beispiel über einen Mindestlohn von 12 Euro.
Heiko Sakura hat einen Traumberuf, könnte man meinen, er ist Karikaturist, täglich macht er das, was wir den zusätzlichen Leitartikel nennen. Der Journalist braucht für seinen Kommentar 60, 80 oder 120 Zeilen, Sakurai fasst seine Gedanken über ein Ereignis in Strichen zusammen. Oder wie es Manfred Fritz im Vorwort zu Sakurais wunderschöner Jahres-Bilanz formuliert, die „Game of Kanzleramt“: „Eine mitunter komplexe Geschichte mit wenigen Strichen einfangen.“ Der Journalist kann in seinem Leitartikel argumentieren, kann Pro und Contra gegeneinanderstellen, der Kommentar kann als Ergebnis ein „Sowohl-als-Auch“ haben, der Karikaturist dagegen hat nur einen Schuss und der muss sitzen.
Das ist die Kunst des Zeichners, der zuspitzen soll, auch überspitzen darf, dabei aber aufpassen sollte, dass ihm die Feder nicht abbricht. Manches ist auch eine Geschmacksfrage, ob ich dieses oder jenes Thema in eine Karikatur nehmen darf. Einer der Vorgänger von Heiko Sakurai, Klaus Pielert, hat immer mal wieder versucht, wenn es um das Thema Brüssel oder Belgien ging, das hübsche Denkmal des Männeken Pis in eine Karikatur zu nehmen. Vergeblich. Erst nach einem Personalwechsel wurde das Tabu gebrochen.
Es ist harte Arbeit
Eine gute Karikatur sieht leicht aus, wie ein Kinderspiel. Dann ist sie wirklich gekonnt. Nur steckt dahinter harte Arbeit. Ich habe viele Jahre als stellvertretender Chefredakteur der WAZ fast täglich mit den Karikaturisten zu tun gehabt, auch mit Heiko Sakurai. Wir haben in der Früh telefoniert, er hat Vorschläge gemacht, Skizzen geliefert, die mir mal gefielen, mal nicht, weil ich ein anderes Thema als Karikatur wollte. Wir haben diskutiert über den Aufmacher der Zeitung für den nächsten Tag. Wenn wir uns nicht einigen konnten, haben wir uns auf den Nachmittag vertagt. Will sagen: Die Karikatur fällt nicht vom Himmel, sie muss als Teil der Zeitung auch den Geschmack der Zeitungsmacher treffen. Verantwortlich ist in jedem Fall der Chefredakteur oder dessen Vertreter.
Der Karikaturist muss politisch gut informiert sein, historisch gebildet, er muss im Grunde alle Themen drauf haben, die in den Zeitungen, im Rundfunk und Fernsehen eine Rolle spielen. Das kann auch Sport sein, Wirtschaft, Kultur, gesellschaftliches Leben. Werfen wir einen Blick in Sakurais Cartoon-Sammlung, wohl die letzte mit Merkel als zentraler Figur. Es beginnt schon im Vorwort mit Ursula von der Leyens Wechsel nach Brüssel. Sie stürmt lachend weg von einem schrottreifen Panzer, ihren Stahlhelm wirft sie hinter sich, die Uniformjacke liegt hinter ihr im Gras. Aus einer Sprechblase liest man die Meldung eines Soldaten im Feldlager: „Herr General, da entfernt sich jemand unerlaubt von der Truppe.“ Die Antwort des Generals drückt alles aus: „Ich weiß. Freuen und laufen lassen.“ Ja, die Bundeswehr atmete erleichtert auf, als die Verteidigungsministerin ging. Das ist die Kunst, die Heiko Sakurai beherrscht, Kunst und Kommentar, das Thema von der Leyen in wenigen Strichen zusammengefasst und mit ein paar Worten unterlegt.
Jeden Tag zeichnet Sakurai, ein mehrfach preisgekrönter Zeichner, etwa drei Karikaturen, rund zehn bis zwölf Zeitungen sind seine Kundern, darunter die WAZ, der Kölner Stadtanzeiger und die Berliner Zeitung, aber auch der Leser des Bonner Generalanzeigers kann sich an den Karikaturen von Heiko Sakurai erfreuen. Der Karikaturist ist Journalist und Zeichner. Sakurai hat Politik und Geschichte in Münster studiert, er hat früh Asterix und Obelix gelesen und sich mit dieser Art der Kunst angefreundet, bis sie seine wurde und daraus hat er Zug um Zug die Kunst der Karikatur für sich entwickelt. Er hat eine eigene Kunst, einen eigenen besonderen Strich, Humor, Witz und Biss, was sich in Strichen und Sprechblasen wiederfindet. Der 48jährige verheiratete Mann, in Recklinghausen geboren, kennt sich aus in einem Metier, das seines ist seit über 20 Jahren. Er begann als professioneller Karikaturist, als Helmut Kohl im Wahlkampf 1998 seine letzten Runden drehte und der junge Gerhard Schröder nach vorn drängte. Also musste er umlernen, wie alle Zeichner umlernen müssen, wenn es einen Regierungswechsel gibt.
Von Kohl zu Schröder zu Merkel. Das Lieblingskind der Karikaturisten ist immer der Kanzler und die Kanzlerin. Man merkt es dem Zeichner an, wenn ein anderer Chef im Kanzleramt sitzt, er muss erst die Besonderheiten, den Charakter des Politikers wie im Schlaf kennen, dessen Art zu regieren und mit den Leuten umzugehen. Dann flutscht die Zeichnung, dann werden die Gesichtszüge klarer, die herunterhängende Lippe von Merkel, die kantige Form von Schröder. Sie die Mutti, er der Basta-Kanzler. Der Karikaturist ist nicht der Moralist, nicht der Scharfrichter, sondern irgendwo dazwischen. Oder- ich zitiere noch einmal Manfred Fritz aus dem Vorwtort des Jahres-Cartoon-Buches: „Seine Art, das ist für den in Köln wohnenden Künstler die sprichwörtlich rheinische. Nicht mit dem Hammer des Bierernsten geht er die Weltprobleme und deren Akteure an. Auch feiner Humor und die gekonnte Preisgabe an die Lächerlichkeit können Wirkungstreffer erzielen.“