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Zum Tod von Erhard Eppler – Sozialdemokrat, wertkonservativ, unbequem

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
20. Oktober 2019
Erhard Eppler

Er war 88 Jahre alt, bald 90, wie ihn der Sohn des großen SPD-Denkmals Willy Brandt, Peter, damals in der SPD-Zentrale in Berlin, dem Willy-Brandt-Haus, vorstellte. Es ging wieder mal um ein Buch des weisen alten Mannes in seinem schlohweißen Haar. „Links leben“, so der Titel. Das passte zu Erhard Eppler ein Leben lang, das jetzt mit 92 Jahren zu Ende ging. Er bewegte sich langsam in der Lobby der Parteizentrale, aber als er sprach, kam Bewegung in diesen Mann, da wirkte er wie ein Junger, voller Leidenschaft, wie man sie heute vergeblich sucht in jüngeren Politikern, frisch im Kopf, klar in der Sprache. Ja, mit den Jungen kam Eppler immer gut zu Recht, er verstand sie und sie hörten ihm gern zu. Er war, wie es ein Kollege beschrieb, seiner Zeit voraus, so etwas wie das Gewissen der SPD, aber nicht nur. Um nur einen Punkt herauszugreifen: Der Klimaschutz war schon sein Thema, als er Entwicklungsminister in den Kabinetten von Willy Brandt und Helmut Schmidt war, der Umweltschutz wurde quasi von ihm miterfunden, um die Grünen klein zu halten.

Lehrer, Politiker, Protestant, Sozialdemokrat, ein Denker, kein Opportunist, ein Mann, der wie Helmut Schmidt in jungen Jahren den Krieg miterlebte, wo er vieles zu hören bekam von Landsern, die an der Ostfront gedient hatten. Auch die Schrecken des Vernichtungskriegs der Nazis und der deutschen Wehrmacht in Polen wie in der Sowjetunion. Nein, ein Besserwisser war er nicht, obwohl er oft sehr früh vor anderen wusste oder ahnte, was passierte.

Wenn man über Erhard Eppler nachdenkt, fällt einem sofort die Nachdenklichkeit ein, mit der dieser Mann, der in Ulm geboren wurde,  als Gymnasialllehrer arbeitete, der vergeblich versuchte, Ministerpräsident von Baden-Württemberg zu werden, der dann Bundestagsabgeordneter wurde, Minister für Entwicklungshilfe in der ersten Großen Koalition unter Kurt-Georg Kiesinger, dann in den von SPD-Kanzlern geführten Kabinetten saß, auch, damit die Dritte Welt nicht weiter vernachlässigt wurde. Einer der führenden Vertreter der evangelischen Kirche, deren Kirchentagspräsident er war, er war Kopf der Friedensbewegung.  Ihn wird man vermissen, denn sie sind selten geworden die Politiker seines Schlages, unbequem, wenn man so will unbeugsam, einer wie er folgte nicht irgendeinem Ruf, um Karriere zu machen, Opportunisten waren andere. Eppler war ein Sozialdemokrat, der nie bereute, es gewesen zu sein,  auch wenn es ihm manchmal schwer gefallen sein mag. Wenn ich daran denke, wie die Kanalarbeiter-heute Seeheimer- in der SPD über ihn spotteten, Herbert Wehner nannte ihn einen Pietkong, und was Helmut Schmidt alles über Eppler gesagt hatte, lassen wir mal beiseite. Wertkonservativ war er, er konnte mit den Grünen, deren Themen er schon in den 70er Jahren besetzte, als es die Partei der Grünen noch gar nicht ab. Ewiges Wachstum war nicht seine Gedankenwelt.

Fröhlicher fünffacher Ur-Großvater

Aber er war ganz nebenbei auch noch ein Familienmensch, wie er damals in Berlin bei diesem wunderschönen Gespräch mit Peter Brandt einräumte, ein Familienmensch, ein fröhlicher, fünffacher Ur-Großvater. „Das ist ein tolltes Gefühl“, sagte er und lachte ins Publikum. Wenn der Name Eppler fällt, fällt sofort auch der Name von Helmut Schmidt. Man geht nicht zu weit, wenn man heute, am Tag nach dem Tode des großen alten Sozialdemokraten feststellt, dass die beiden nicht miteinander konnten. Von Helmut Schmidt wußte man, dass ihm einer wie Erhard Eppler auf die Nerven ging, Schmidt war zu sehr Machtpoltiiker, Realpolitiker, der mit den Großen der Welt versuchte, Kompromisse auszuloten. Für einen wie Eppler war der Hamburger Schmidt zu autoritär. Eppler gab seine Meinung nicht an der Garderobe des Kanzleramtes ab, wenn es darum ging, Fragen der Zeit und vor allem der Zukunft zu diskutieren. Ob ihn überhaupt Macht interessierte?

Das Buch „Links leben“ war keine Abrechnung mit Helmut Schmidt, auch wenn er selbst im hohen Alter nicht verschwieg, dass er als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht bereit war, sich dem Kanzler zu unterwerfern. Dass er mit diesem über Kreuz lag, ja und. Ohne Schmidt zu nahe zu treten, kann man betonen, das war doch gut so, dass es da jemanden gab, der Helmut Schmidt wiedersprach und als er es nicht mehr aushielt in diesem edlen Kreis der Bundesregierung, da trat er zurück vom Ministeramt. Und dieser Rücktritt lag nicht nur daran, dass der Kanzler dem Minister seinen Entwicklungs-Etat gekürzt hatte.

Er stand im Zentrum der Friedensfreunde, war Gegner der Kernenergie, stimmte gegen den Nato-Doppelbeschluss, weil er der Linie Schmidts nicht folgte, es ginge um die Wiederherstellung des militärischen Gleichgewichts. Das mit dem Gleichgewicht nahm er an jenem Abend der Buchvorstellung in Berlin auf. Dieses Gleichgewicht habe es doch schon mit den Interkontinental-Raketen gegeben, die jede der sowjetischen SS-Raketen hätten ausschalten, also vernichten können. Worum es in Wirklichkeit ging, stellte sich später heraus: die Sowjetunion sollte quasi totgerüstet werden, was ja auch gelang. Eppler räumte ein, dass ihm die Schwäche der UdSSR damals nicht bewusst gewesen sei. Im übrigen habe er an diese Strategie des atomaren Gleichgewichts nie geglaubt, weil weder der Westen noch der Osten auf den berüchtigten atomaren Knopf gedrückt hätten. Es wäre ja auch Selbstmord gewesen.

Der weise, alte Sozialdemokrat

An diesem Abend im Foyer der SPD-Zentrale verfolgten Hunderte ältere  und jüngere Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, Sympathisanten der Partei, Freunde von Eppler, eine lebhafte Debatte. Und man stellte sich vor, was wäre wohl aus dieser Partei geworden, wenn die beiden Kontrahenten, Schmidt und Eppler, jeder für sich ein Schwergewicht, zusammen Politik gemacht hätten? Man stelle sich das vor in einer Zeit, in der die SPD mit rund 15 Prozent in Umfragen um ihre Existenz kämpft. Und ein Kenner der SPD sagte damals, der Helmut hätte sich den Erhard quasi ans Revers stecken können, wenn er ihn hätte machen, mitmachen lassen.

Der weise Mann aus dem Südwesten zog an diesem Abend Bilanz: „Meine Partei und ich haben uns viel zugemutet.“ Will sagen, auch er habe der SPD einiges abverlangt. Denn einfach, bequem war dieser Erhard Eppler nie. Er selber bekannte, dass die 68er ihn gehasst hätten. Weil er Entwicklungshilfeminister gewesen sein, habe man ihn für einen Agenten des Kapitals zur Unterdrückung der Dritten Welt gehalten und entsprechend behandelt. Heute muss darüber lachen.  Eppler und ein Agent des Kapitals?! 

Willy Brandt stand er näher als Schmidt, er mochte den ersten SPD-Kanzler der Bundesrepublik, schätzte seine Versuche der Aussöhnung mit dem Osten, verehrte den Sozialdemokraten Brandt, der vieles aushalten musste, ehe er Friedensnobelpreisträger wurde. Mehr Demokratie wagen, das hätte auch von Eppler kommen können. Oder Brandts Jahrhundert-Satz: Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, nach innen und nach außen… Eppler ergänzte Brandts Satz damals mit dem Gedanken: Dazu gehöre eben auch, jeder müsse ein guter Nachbar sein- im Alltag, in der Stadt, im Dorf, an welchem Gartenzaun auch immer.

Für Schröders Agenda-Politik

Eppler propagierte den starken Staat, weil nur die Reichen sich einen schwachen Staat leisten könnten. Das gelte für die soziale wie die innere Sicherheit. Ich erinnere mich noch, wie dieser Erhard Eppler, der ewige Mahner in der SPD, während des 2. Kabinetts Schröder der Agenda 2010 des Kanzlers  nicht nur zustimmte, sondern auf dem Parteitag der SPD eine leidenschaftliche Rede für diese Politik hielt, die ja bei der Linken der Partei immer umstritten war und die die SPD fast zerrissen hat.  Eppler warf sich damals für Schröder -auch für dessen Einmischung in den Kosovo-Krieg wie für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr- in die Bresche, jawohl, wissend, wie unbeliebt er sich in Teilen der Gesellschaft damit machte. Heute wird abseits aller Kritik die Agenda-Politik als Grundstein für den lange anhaltenden Aufschwung der deutschen Wirtschaft und die niedrigen Arbeitslosenzaheln gesehen. Damals waren über fünf Millionen Menschen ohne Arbeit, die Quote wurde mehr als halbiert. Schon  vergessen?

Gemeinsinn, Solidarität sind Worte, die Eppler gern verwendete, weil ihm die Ellenbogen-Gesellschaft zuwider war, weil er das Miteinander vorzog. Er kritisierte die Neoliberalen, die Marktradikalen. Wer war eigentlich für die Finanzkrise verantwortlich, fragte der alte weise Mann früher mehfach. Wer hat Firmen in den Abgrund gefahren und dafür noch ein hübsches Sümmchen Euro bekommen, quasi als Boni für die vielen Mali? Europa war sein Thema. Er hat immer wieder Russland verteidigt. In einem Interview mit dem Blog-der-Republik erklärte Eppler: „Wir müssen versuchen, ein handlungsfähiges Europa aufzubauen und das Verhältnis zu Russland zu verbessern. Je schlechter unser Verhältnis zu Russland ist, desto rabiater wird Trump mit uns Schlitten fahren.“ Und mit Blick auf die Krim und die Sanktionen gegen Russland betonte der SPD-Politiker: „Formal war der Anschluss der Krim an die Russische Förderation nicht vom Völkerrecht gedeckt. Aber da auf der Krim, in Sewastopol die russische Schwarzmeerflotte liegt, weiß ich nicht, ob ich, wäre ich an Putins Stelle gewesen, hätte abwarten können, wie lange die neue, fanatisch antirussische Regierung der Ukraine den Pachtvertrag einhält.“ Übrigens hat der langjährige Außenminister Hans-Dietrich Genscher damals Eppler telefonisch gratuliert, nachdem Eppler für eine neue Russland-Poltiik eingetreten war.

Gunter Hofmann würdigte Eppler bei Zeit-Online: „Seiner Zeit voraus“. Und im Berliner Tagesspiegel schrieb Gerd Appenzeller: „Er war das Gewissen der SPD.“ Er wird fehlen.

Bildquelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F062774-0014 / Hoffmann, Harald / CC-BY-SA 3.0

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Tags: EpplerErhard EpplerNachruf auf Erhard EpplerSPD
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