Man kann die Vermieter- Enteignungs-Debatte nicht führen wie einen Dialog aus einer Serie auf Netflix: Ghettofaust und dann: Was geht ab, Alter? Antwort: Nicht viel. Ghettofaust. Wer das Instrument Enteignung in eine Debatte einführt, der muss auch bereit und unbedingten Willens sein, das Instrument anzupacken. Nur spielen wollen, geht nicht. Das wäre unredlich. Einer der Chefs der Berliner Enteignungskampagne, Rouzbeh Taheri, ist offenkundig unbedingten Willens. „Machen Sie noch fünf Jahre weiter, dann wird Enteignung ihre kleinste Sorge sein“, sagte Taheri laut „Berliner Zeitung“ zum Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Wohnen, Michael Zahn. Was er damit meinte, ist nicht klar. Aber Willen steckt in Taheri.
Enteignung beziehungsweise die Sozialisierung ist in Deutschland weiß Gott kein Fremdwort. Im Fernstraßenbau ist Enteignung möglich. Beim Flughafenausbau oder beim Ausbau von Bahnstrecken kann auf Enteignung zurückgegriffen werden. Der Abbau traditioneller Ressourcen (Braunkohle) für den Wirtschaftsbetrieb und wegen des Heizens wurde durch Enteignungen voran gebracht. Und im echten Krisenfall für die Republik würde noch ganz anderes enteignet werden – ich denke an Nahrungsmittelproduzenten. In den meisten Fällen hat bisher übrigens die Drohung mit der Enteignung ausgereicht, um eine Lösung durch Kauf und Entschädigung zu bewirken.
Und nun die Unternehmen, die wie „Heuschrecken“ (Franz Müntefering) über die Wohnungswirtschaft hergefallen sind und weiter herfallen, weil sichere fünf, sechs oder sieben Prozent Rendite auf den Umsatz winken. Die Deutsche Wohnen mit ihren 115 000 Wohnungen in Berlin gehört zu knapp 20 Prozent Blackrock, einem Fonds, auf den in Deutschland Friedrich Merz aufpasst und der norwegischen Zentralbank. Die hält einen beträchtlichen Teil des Staatsfonds. Darin steckt auch der Pensionsfonds des norwegischen Staates. Anders gesagt: Berliner Mieter der Deutsche Wohnen finanzieren Alterseinkünfte ehemaliger norwegischer Staatsdiener. Irgendwie irre.
Über 50 Prozent der Zahn- „Heuschrecke“ sind im Streubesitz. Sie gehören Kleinanlegern. Gehören unter Umständen den Opas und Omas, die früher den Konsum um die Ecke besaßen, und die ihre Überschüsse in Anteile steckten, weil sie keine gesetzliche Renten erhalten würden.
Im Ernstfall juristisch entscheiden
Was würde nun geschehen, wenn sich zum Beispiel die Berliner Stadtregierung entschlösse, die infrage kommenden, privaten Immobilien-Unternehmen zu enteignen? Das Land müsste zur Begründung nachweisen, dass es keine andere Möglichkeit gibt, angemessen Wohnraum für Tausende zu schaffen, als die privaten Immobilienunternehmen mit ihren tausenden Wohnungen zu sozialisieren. Über enteignen oder nicht enteignen wird also im Ernstfall juristisch entschieden.
Die Mieter in den Gebäuden dieser Unternehmen würden dann gewiss, wie Taheri erklärte, ruhiger schlafen können und weniger Angst vor der Zukunft haben. Das halte ich für ein wichtiges Argument. Kleinreden wird dieses Argument nur der, der keine Furcht vor Verarmung und Entwurzelung zu haben braucht; beziehungsweise der oder die, die meinen, sie würden zwei Mal leben. Soll es ja geben. Von sich aus würden die sogenannten „Heuschrecken“ ihr Eigentum nicht hergeben.
Sie müssten auf dem Weg über die Gerichte gezwungen werden – vier Jahre oder länger juristischer Streit auf einem für die Mieter gleichen Kostenniveau. Auch danach würden die Mieten nicht sinken, denn die neuen Eigentümer finden Kostenstrukturen vor, die sie nicht ignorieren können. Sozialisierung macht´s nicht unbedingt preiswerter. Wohnungsmodernisierung wegen des Klimaschutzes würde es auch dann geben müssen. Allerdings wäre es mit den sogenannten Luxussanierungen vorbei. Enteignung ist übrigens kein Wiederaufleben der DDR. Der entsprechende Artikel im Grundgesetz, der ist kein „Wurmfortsatz“, wie besonders Schlaue glauben und kein antiwestliches Element im GG, wie in der FAS zu lesen war. Das ist Quatsch. Der entsprechende Artikel kam ins GG, weil die Mütter und Väter des Grundgesetzes wussten, zu welchen Taten Unternehmensführer fähig waren, die ökonomisch zu groß geworden und politisch antidemokratisch waren. Von Thyssens Buch mit dem Titel „I payed Hitler“ führte der Weg eben zum entsprechenden Grundgesetz – Artikel.
Zum Zwecke der Vergesellschaftung
Und heute? Artikel 15 Grundgesetz – „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“ – ist so etwas wie die britische Flotte zu Zeiten der Kaiser, Zaren und Könige. Die sollte durch ihre pure Existenz als „Fleet in beeing“ maritime Abenteurer abschrecken.
Meine Einwände gegen die Taheris und die Wochen-End-Sozialisten a la Habeck lauten: Die Folgen einer Enteignung sind wahrscheinlich sehr teuer. Enteignung erreicht nicht das, was notwendig ist. Die grundlegende Bewegung in den großen Städten und Metropolen wird nicht beachtet. Ausreichender Wohnraum zu akzeptablen Preisen kann auch ohne Enteignung (Sozialisierung) geschaffen werden. Es gibt weltweit den Megatrend der Wanderung in die großen Städte und Metropolen. Dieser Trend schlägt keinen Bogen um die Bundesrepublik. Städte bis hin zur Größenordnung Bonns mit über 300 000 Einwohnern ziehen Jahr für Jahr gut ausgebildete und überwiegend gut verdienende Leute an. Berlin ist der massive Beleg dieses Trends. Es sind überwiegend Leute, die teure Kultur- und Bildungsinfrastrukturen fordern, die diese auch am intensivsten nutzen. Sie räumen gewachsene Viertel ab, verlocken Investoren, Wohnungen teuer zu erneuern. Darin leben dann die Trendsetter, die sich auch die kostspieligen klimaschützenden Lebensweisen leisten können: Alles in Güteklasse A. Nachfrage schafft sich das entsprechende Angebot. Da hilft keine Enteignung. Und was in den Cities investiert wird, dient zuerst den Interessen, Bedürfnissen, Erwartungen der Gutverdienenden.
Der Bonner Ökonom Moritz Schularick schreibt, 80 Prozent der Immobilien- Preissteigerungen gingen auf das Ansteigen der Bodenpreise zurück. Die restlichen 20 Prozent stecken in den Baukosten. Wir wissen, der Boden ist die Sache, die sich nicht vermehren lässt. Es hat also einen beispiellosen Anstieg der Preise für die Sache gegeben, die sich nicht vermehren lässt. Und zwar einen im Wesentlichen kreditfinanzierten Preisanstieg. Der Volkswirt und Publizist Thomas Fricke stellte fest, dass der Wert aller Immobilienkredite in der Bundesrepublik eine Größenordnung von 70 Prozent des jährlichen BIP erreicht habe. In den siebziger Jahren waren das nur 40 Prozent des BIP. Glaubt jemand ernsthaft, die Enteigneten würden ihre Kreditschulden mitnehmen, wenn ihr Immobilienbesitz in Staatshand wandert? Wer enteignet, muss aufpassen, dass er sich keinen enormen Schulden an den Hals hängt. Ist das auch allen klar?
Es wird verpachtet, nicht mehr verkauft
Was könnten Parlamente und Regierungen denn tun? Der erste Grundsatz lautet: Es wird nichts mehr verkauft, sondern nur noch verpachtet. Der zweite Grundsatz folg aus dem ersten: Es wird, wo möglich zurückgekauft. Der dritte Grundsatz lautet: Städte und Gemeinden müssen Geld in die Hand nehmen, um dort wo know how oft fehlt, also in den Abteilungen für Bau- und Bauplanungsrecht, Fachleute einzustellen. Auch außer-tariflich. Das ist grundlegende Bedingung. Manches funktioniert nämlich nicht, weil in den Städtern die Leute fehlen, die es deichseln könnten. Es grüßt hier: der schlanke Staat. Der vierte Grundsatz lautet: Städte und Gemeinden nutzen konsequent alle Möglichkeiten, um den Bestandsschutz für die Bevölkerung in gewachsenen Teilen der Kommune zu verbessern. Wo Bestands- und Milieuschutz an Hürden stoßen – etwa beim Schutz Einzelner vor Überforderung durch den Vermieter, muss der Schutz hochgezogen werden.
Studiert München: Dort wurde ein Verfahren entwickelt, um den Bodenwertzuwachs, der durch städtisches Handeln entstanden ist, weitgehend abzuschöpfen und damit Infrastruktur zu finanzieren. Vorhandene Regelungen ohne Zögern anwenden: Das Recht, ein Gebäude zu errichten erlischt, wenn ein Vorhaben nicht in einem bestimmten Zeitraum realisiert wurde. Dann fällt das Recht an die Kommune. Das Bau- und Entwicklungsrecht macht das möglich. Städte und Gemeinden müssten in ihre Satzungen Beschleunigungsverfahren einbauen, die helfen, rascher als bisher eine Bebauung zu erzwingen. Beschleunigungsverfahren, die also auch helfen, Baulücken rascher zu schließen; brach liegende Flächen einer Bebauung zuzuführen; Vorkaufsrechte schnell auszuüben.
Am Ende sind baureife Grundstücke nach den Möglichkeiten des Baurechts zu enteignen, wenn dort absolut nichts passiert.
Der Belegungsmix bei neuen Wohnungen muss durchgesetzt werden: ein Drittel freifinanziert, ein Drittel öffentlich gefördert, ein Drittel Eigentumswohnungen. Das sind neun Schneisen, die sich schlagen ließen – ebenso viele Anstöße wie das Tätigkeitswort „enteignen“ Buchstaben hat.
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