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Das braune Netz der Republik

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
19. Dezember 2019
Hitler auf der Nazischule und Nazi-Ordensburg Vogelsang

„NS-Verbrecher führten Polizei in NRW“.  So lautete der Titel einer Geschichte im „Bonner Generalanzeiger“, geschrieben von einem Redakteur der Deutschen Presse Agentur(DPA). Es war das Ergebnis einer Untersuchung von Historikern über die NS-Vergangenheit der ersten Chefs des Landeskriminalamtes. „Mit erschreckendem Befund“, wie in der Unterzeile zu lesen war. Das Ergebnis zeige ein bedrückendes Ergebnis, so LKA-Chef Hoever, Innenminister Reul (CDU)fand das Ergebnis umso erschreckender , als die Genannten in ihrem Amt teilweise  eine Seilschaft aus der NS-Zeit pflegten. Aus heutiger  Sicht hätten sie niemals mehr als Polizisten arbeiten dürfen.

Erschreckend ja, aber zu erwarten. Mich hat das nicht überrascht. Es hatten doch viele Nazis nach dem verlorenen Weltkrieg, von Nazi-Deutschland angezettelt, einfach weitergearbeitet. Weil sie, wie behauptet wurde, gebraucht wurden. Die Begründung lieferte ausgerechnet Konrad Adenauer, der sich selber vor den Nazis verstecken musste und unter ihnen gelitten hatte. „Man kann doch ein Auswärtiges Amt nicht aufbauen, wenn man nicht wenigstens zunächst an den leitenden Stellen Leute hat, die von der Geschichte von früher her etwas verstehen.“ Drum beschäftigte der erste Kanzler der Bundesrepublik auch einen wie  Globke, bestens vernetzt in der braunen Szene, er war schließlich Kommentator der Rassengesetze.

Und damit war eigentlich alles gesagt. Es herrschte ein großer Mangel an Leuten, die nicht mitgemacht hatten, die keine braune Weste hatten. Es gab einige, darunter den Gründer der WAZ, Erich Brost, der als Sozialdemokrat vor den Nazis fliehen musste und in London für die deutsche BBC arbeitete, wo er den späteren britischen Botschafter in Deutschland kennenlernte. So bekam er die Lizenz.

Die anderen, viele andere mit Nazi-Vergangenheit saßen überall, wie zahlreiche Studien belegt haben. Im Außenministerium saßen Nazis, im Innenministerium auch und natürlich auch im Justizministerium. Warum also sollten im Landeskriminalamt von NRW keine Chefs mit Nazi-Vergangenheit gesessen haben?

Furchtbare Juristen

Man muss nur mal das Buch des SZ-Autors Willi Winkler „Das braune Netz“ lesen, da erfährt der Leser, wie die Bundesrepublik von früheren Nazis zum Erfolg geführt wurde. Ober man werfe einen Blick in das Buch von Ingo Müller. Müller ist Jura-Professor und kennt diese wirklich nicht schöne Geschichte über die Justiz und ihre dort Beschäftigten. Titel seines Buchs: „Furchtbare Juristen“. Die unbewältigte Vergangenheit der deutschen Justiz. Sie werden es ahnen, auch der Name Filbinger kommt darin vor, der war von Rolf Hochhuth mit diesem nicht gerade ehrwürdigen Titel „ausgezeichnet“ worden. Furchtbarer Jurist. Filbinger wurde immerhin später baden-württembergischer Ministerpräsident. Der Leser erinnert sich an Sätze wie: Heute könne doch nicht Unrecht sein, was damals Recht war.

Unbewältigt war diese schlimme Vergangenheit, ja, sie wurde in den ersten Jahrzehnten gar nicht in Angriff genommen. Es passte doch vielen einstigen Nazis gut in den Kram, dass man angeblich überhaupt keine Zeit hatte für eine Bewältigung. Es musste angepackt werden, um die Trümmer zu beseitigen, um auf den Ruinen ein neues Deutschland aufzubauen. Wer hätte denn sonst noch zur Verfügung gestanden, wenn man die Millionen Nazis zunächst bestraft hätte? Und wer hätte diese Anklagen führen sollen, wollen? Von wegen Widerstandskämpfer, allein in der NSDASP waren ja Millionen Mitglieder. Als alles kaputt war, Millionen im Krieg gefallen, Millionen Juden ermordet und man die Täter hätte zur Rechenschaft ziehen können, nahmen sich führende Nazis wie Göring das Leben, Goebbels und Hitler hatten sich ja schon vorher umgebracht.  Plötzlich waren viele Mitläufer gewesen, sie beriefen sich auf einen Befehlsnotstand, man hatte ihnen befohlen, sie hatten gehorcht und getan, was die Nazi-Führung ihnen gesagt hatte.

Ich erwähne aus dem dpa-Bericht in der Zeitung nur den Fall des Oskar Wensky. Der alt als unbelastet, lese ich in der Zeitung, obwohl er in Fahndungslisten als Kriegsverbrecher gesucht worden war. Wensky war Mitglied der NSDAP und der SS, er soll die Verlegung der Sinti und Roma in den Niederlanden angeordnet haben, von dort wurden sie in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dieser Mann wurde später Honorarprofessor an der Uni Köln, erst acht Jahre nach seinem Tod wurden Ermittlungen eingeleitet.Zuvor hatte er sich als Widerstandskämpfer dargestellt. Das kennen wir auch von anderen. Scham oder gar Reue, keine Silbe, man wechselte das Hemd und war plötzlich Demokrat. Einer wie Speer machte richtig Karriere. Der Nazi im feinen Zwirn.

Ein einziger Skandal

Das Erstaunliche an diesen Studien über die Verwicklung der LKA-Chefs von NRW während der Nazi-Zeit ist doch, dass diese Erkenntnisse erst jetzt vorgelegt werden, 74 Jahre nach Ende des Dritten Reiches. Die Betroffenen sind alle tot. Sie waren Täter, nicht Opfer, wie einige von ihnen sich gern gegeben haben. Noch einmal zitiere ich aus dem Buch von Willy Winkler: „Nazis saßen im Bundestag, in den Länderparlamenten, in sämtlichen Behörden und Ministerien, in der Polizei und in  der Justiz, sie saßen in der Regierung und sie saßen vor Gericht, in manchen Fällen sogar über ihre ehemaligen Opfer. Die frühe Bundesrepublik war ein  einziger Skandal.“ Und weiter: „Eine Partei der ehemaligen NSDAP-Mitglieder hätte bis in die sechziger Jahre die größte Fraktion im Bundestag stellen können.“ Und ein kleiner Hinweis zum Ausgangspunkt der Geschichte: das Bundeskriminalamt wurde von einem CIA-Agenten geleitet, der sich schon in der Feindbekämpfung im Reichssicherheitshauptamt(RSHA) bewährt gehabt habe, schreibt Winkler und nennt den Namen: Paul Dickopf.

Erschreckend. Ich nehme dem Innenminister die Empörung gern ab, aber kann mir einen Hinweis nicht verkneifen, mit welcher Heuchelei und Doppelmoral wir den Untergang der DDR kommentiert und behandelt haben, welche Ressentiments wir den SED-Mitgliedern und ihren Mitläufern entgegenbrachten. Sieger und Besiegte halt, das macht den Unterschied aus. Außerdem hing das mit dem bösen Kommunismus zusammen, der ja nach 1945 zum größten Feind der Welt hochstilisiert wurde, obwohl die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg unter schwersten Verlusten den Alliierten die Drecksarbeit gegen die Nazis abgenommen und Hitler-Deutschland in die Knie gezwungen hatte. Womit ich nicht die DDR als Rechtsstaat verteidigen will, das Gegenteil bleibt richtig. Aber es gilt der Spruch: Wer mit dem Finger auf jemanden zeigt, muss wissen, dass drei Finger derselben Hand auf ihn zurückweisen.

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Tags: BundesrepublikLandeskriminalamt NRWNazis in staatlichen InstitutionenTäter in StaatsämternUmgang mit NazivergangenheitVergangenheitsbewältigungWurzeln des Rechtsstaats
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