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Nach der Pandemie gewaltige Investitionen – Gastbeitrag von Gustav Adolf Horn

Gastbeitrag Von Gastbeitrag
13. April 2021
Gustav Adolf Horn

Noch beherrscht die Corona-Krise das wirtschaftspolitische Geschehen. Es wird jedoch der Tag kommen,  an dem die Krise überwunden oder zumindest unter Kontrolle sein wird, und dann gilt es, sich rasch den Herausforderungen zu stellen, die sich bereits jetzt abzeichnen. Die Corona- Krise hat es grell und schmerzhaft ans Licht gebracht: Unser Land bedarf eines gewaltigen Modernisierungsschubs. Es wird die prägende Aufgabe der kommenden Bundesregierung sein, diesen auszulösen und zu gestalten.

Öffentliche Infrastruktur

Schon vor der Pandemie war offenkundig, dass unsere öffentliche Infrastruktur insbesondere auf  kommunaler Ebene in keinem guten Zustand war. Die Abschreibungen, also der Verschleiß, waren über Jahre größer als die Neuinvestitionen. Das hinterläßt  häßliche Spuren in der Verkehrsinfrastruktur, in den Schulen, in den Freizeiteinrichtungen. Vernachlässigt wurde zudem die konsequente Umstellung öffentlicher Angelegenheiten zuvorderst der Verwaltung, aber auch in den Schulen auf digitale Technologien. Zu diesen Versäumnissen gesellt sich der Druck, auf den immer stärker spürbaren Klimawandel zu reagieren, in dem Produktion und Konsumtion emissionsarm und nachhaltig gestaltet werden.

Digitalisierung im Bildungssystem

Das sind gewaltige Herausforderungen. Sie können nur mit einer massiven Investitionsoffensive von längerer Dauer bewältigt werden. Noch vor der Corona-Pandemie  hatten  das arbeitgebernahe IW und das gewerkschaftsnahe IMK einen Bedarf   von mehr als 450 Mrd. € errechnet. Dieser Betrag  dürfte sich durch die Corona-Krise nicht  vermindert haben. Diese Investitionen dienen der Modernisierung der Volkswirtschaft,  indem sie aufgelaufene Schäden an der öffentlichen Infrastruktur beseitigen, deren  Digitalisierung insbesondere im Bildungssystem und der öffentlichen Verwaltung  voranbringen sowie  ökologisch nachhaltige Mobilitäts- und Infrastrukturkonzepte fördern. Darüberhinaus bedarf es industriepolitischer Initiativen, die bestehenden Unternehmen den Umstieg auf die neuen Technologien erleichtern und zugleich innovative neue Unternehmen entstehen lassen.  Eine solche breit angelegte Modernisierungsoffensive  sollte der Sicherung und Mehrung künftigen Wohlstands dienen.   

Fehler der neoliberalen Ära

Es gibt allerdings zwei vorgelagerte Probleme, die gelöst werden müssen, bevor die Investitionswelle überhaupt losgetreten werden kann. Das Grundproblem ist, die öffentliche Hand ist derzeit nicht in der Lage, die mit dieser tiefgreifenden Modernisierung verbundenen Anforderungen hinreichend zu erfüllen. Die Rückdrängung der wirtschaftlichen Aktivität des Staates und der Vorrang privatwirtschaftlicher Aktivität in nahezu  allen Bereichen während der neoliberalen Ära haben die wirtschaftliche  Handlungsfähigkeit des Staates strukturell geschwächt. Die Schwäche zeigt sich auf dreierlei Weise. Es fehlt an Geld, es fehlt an kompetentem Personal und es fehlt an Handlungsmöglichkeiten.

Höhere Steuern und mehr Schulden

Die finanzielle Basis des Staates ist insgesamt, vor allem aber auf der kommunalen Ebene viel zu schwach, um die Investitionsanforderungen auch nur annähernd erfüllen zu können. Man kann sicherlich einen Teil der Steuereinnahmen innerhalb der Haushalte und zwischen den Gebietskörperschaften zu Gunsten von Investitionen und den Kommunen umschichten. Doch wäre es illusionär, sich hiervon eine hinreichende Lösung der Finanzprobleme zu erhoffen. Gleiches gilt für Steuererhöhungen. Zwar können die Wiederbelebung der Vermögenssteuer, eine Erhöhung der Erbschaftssteuer, die Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer oder die Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer durchaus zusätzliches Aufkommen generieren. Doch reicht auch dies, wenn diese Vorhaben überhaupt eine Mehrheit finden sollten, nicht aus und dürfte aus nachvollziehbaren verteilungspolitischen Gründen überwiegend dazu genutzt werden, um untere und mittlere Einkommen zu entlasten.  Damit bleibt als einzige realistische Möglichkeiten eine stärkere Verschuldung des Staates.

Breite politische Mehrheiten

Dies wäre gesamtwirtschaftlich vernünftig, da ja auch künftige Generationen von den Investitionen profitieren werden und zugleich ungeheure Kapitalmengen eine sichere Anlage suchen. Jedoch stehen diesem Vorgehen hohe institutionelle Hindernisse entgegen. In Deutschland ist dies die Schuldenbremse und auf europäischer Ebene der Fiskalpakt sowie der Vertrag von Maastricht. Beide Regularien müssten grundlegend reformiert werden, um die notwendigen finanziellen Spielräume für eine Investitionsoffensive zu schaffen. Dazu bedarf es breiter politischer Mehrheiten, die derzeit (noch) nicht erkennbar sind. 

Mangel an kompetentem Personal

Der Mangel an kompetentem Personal insbesondere auf lokaler Ebene verhindert, dass Investitionsprogramme zeitlich hinreichend schnell und sachgerecht umgesetzt werden können. Teilweise ist der Mangel rein quantitativ. Die Finanznot erzwang in vielen Kommunen einen Personalabbau. Gleichzeitig stiegen die  Anforderungen. Teilweise ist es auch ein Problem der Qualität. Niedrige Gehälter, schlechte Aufstiegschancen und verkrustete Strukturen und deutlich bessere Bedingungen in der Privatwirtschaft  hielten und halten viele gut Qualifizierte davon ab, eine Karriere im öffentlichen Dienst zu suchen.  Spürbar höhere Gehälter und flexiblere Karrierechancen sind eine Antwort auf diese Problematik. Zudem sollten die Kommunalverbände ihre Kräfte bündeln und mit überregionalen Planungs- und Beratungsagenturen spezialisierte Fertigkeiten auch jenen Kommunen zu Gute kommen lassen, die die Anforderungen ansonsten nicht würden bewältigen können. 

Jahrelange juristische Verfahren

Über die  vergangenen Jahrzehnte haben sich die politischen Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene spürbar verengt und die Realisierung von Investitionsvorhaben häufig zeitlich weit über das politisch und wirtschaftlich verantwortbare Maß hinaus gedehnt. Das Grundproblem besteht dabei darin, dass teilweise gut zu begründende Partizipationsmöglichkeiten de facto in rechtlichen Vetorechten mündeten, die teilweise jahrelange juristische Verfahren nach sich ziehen und damit jedes Vorhaben auf eine endlos lange Bank schieben. Das könnte die dringend benötigten Investitionen spürbar verzögern. Schließlich hat irgend jemand immer etwas gegen ein bestimmtes Projekt. Derzeit entscheiden vielfach Gerichte darüber, ob Bedenken gerechtfertigt sind oder nicht, obwohl es zumeist politische Bedenken sind, um die es wirklich geht.

Mehr Bürgerräte, weniger Verwaltungsgerichte

Daher sollten Beteiligungsrechte grundlegend reformiert werden. Sie sollten von der juristischen Ebene auf die politische Ebene gestellt werden, wo sie auch hingehören. Damit ist gemeint, dass es mehr Partizipation im Frühstadium einer politischen Entscheidung geben sollte. Wenn aber die politische Entscheidung gefallen ist, sollten die juristischen Einspruchsmöglichkeiten begrenzt werden. Zugespitzt formuliert: Wir brauchen mehr Bürgerräte, runde Tische etc.  und weniger Verwaltungsgerichte.

Institutionelle Reformen

Diese Überlegungen zeigen, einerseits benötigen wir dringend einen gewaltigen Investitionsschub, um unsere Volkswirtschaft grundlegend zu modernisieren und für die künftigen Herausforderungen zu wappnen. Andererseits besteht die reale Gefahr, dass dieser Schub in institutionellen Unzulänglichkeiten stecken bleibt. Daraus folgt, bevor man mit den Investitionen beginnt, müssen institutionelle Reformen vorgenommen werden, die es erst ermöglichen, dass sich der investive Schub in eine modernisierte Volkswirtschaft  übersetzt. 

Zur Person: Professor Gustav Adolf Horn(66) ist ein  deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Er war früher wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makro-Ökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Horn ist u.a. Mitglied des SPD-Parteivorstands, Vorsitzender des Wirtschafts-Forums der SPD und Mitglied des Willy-Brandt-Kreises.

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