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Eine Aufholjagd, die nie begann – Olaf Scholz gegen Friedrich Merz

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
22. Februar 2025
Schneckenrennen

Eigentlich können Olaf Scholz und Friedrich Merz gar nicht miteinander. Das mussten sie auch nicht in der Vergangenheit, weil sie nie zusammen in einer Regierung saßen. Und sie müssen auch künftig zumindest politisch keine Sympathien für einander gewinnen, weil sie auch in der neuen Regierung nichts miteinander zu tun haben werden. Der eine will Kanzler bleiben, der andere es werden, so hat es Scholz kürzlich gesagt und auf Fragen betont, dass er nicht unter einem Kanzler Merz Minister werde, was auch umgekehrt gilt und von Merz bestätigt wurde. Da waren die beiden, der Sozialdemokrat und der Christdemokrat, sich mal einig. Der eine, der Herausforderer der Union, hat den Amtsinhaber mal als „Klempner der Macht“ kritisiert, der andere hat dem Oppositionsführer vorgehalten, er rede „Tünkram“, also auf hochdeutsch Unsinn. „Ihre Kanzlerschaft dürfte am Sonntag beendet sein“, sagte Merz. Und er dürfte damit ziemlich richtig liegen. Auch wenn es der Kanzler offiziell zumindest nicht wahrhaben will. Er werde gewinnen, hat er mehrfach betont. Aber, das ist vorbei, Scholz geht nach einer sehr kurzen Amtszeit von gut drei Jahren in die Geschichte ein. Wie einst Ludwig Erhard und Kurt-Georg Kiesinger.

Noch Anfang Januar diesen Jahres überschrieb Stern-Kolumnist Nico Fried seinen „Blick aus Berlin“ mit der Überschrift: „Merz wird Kanzler-oder doch nicht?“ Ja, so ganz wollten die politischen Beobachter den Wahlumfragen nicht trauen, die seit Jahr und Tag die CDU bei rund 30 Prozent klar vorn sahen, während die SPD des Kanzlers bei rund 15 Prozent eingemauert schien. Und doch blieb ein Rest Ungewissheit. Weil man den überraschenden Ausgang der Wahl von 2021 nicht vergessen konnte. Monatelang, erinnerte sich Fried, habe niemand geglaubt, dass Olaf Scholz auch nur den Hauch einer Chance habe, Kanzler zu werden. Fast niemand, schrieb der Stern-Journalist Fried, genau genommen, habe es nur einen gegeben, der am 12. Mai 2021, als die SPD im ZDF-Politbarometer bei 14 Prozent stand und die Union bei 25, die Grünen bei 26, „unübersehbar auf Seite eins der „Zeit“ notierte: Olaf Scholz könnte Kanzler werden“. Peter Dausend hieß und heißt der Kollege, der diesen Spürsinn hatte oder soll ich sagen: den Mut? Wahnsinn, oder? so Fried weiter. Ja, Wahnsinn. Zu dem Zeitpunkt hatte ich den Glauben an Scholz´ Sieg noch nicht. Und es stimmt ja, was Fried weiter aufschrieb zu der Prognose, die genauso verrückt war, als wenn der überzeugte Saarländer Dausend prophezeit hätte, der Drittligist 1. FC Saarbrücken werde in zwei Jahren Champions-League spielen. Ich hätte als Fan der Schalker natürlich die Blauweißen als Vergleich gewählt.

Es waren andere Zeiten

Doch die Zeiten damals waren andere als heute. Die Union zankte sich auf offener Bühne, Bayerns CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder stichelte und stänkerte unentwegt gegen Armin Laschet, den Kanzlerkandidaten der Union, Söder hielt ihn für den falschen, er selber wäre es gern geworden. Dann passierte Laschet noch der Lacher im Flutgebiet der Ahr und aus war es mit der Autorität des CDU-Chefs aus Aachen, ein sympathischer Christdemokrat, keine Frage. Und die SPD, geschlossen wie nie aufgestellt vor allem mit Hilfe des einen Parteivorsitzenden, Norbert Walter-Borjans, der selber keine Ambitionen auf höhere Weihen hatte und der überraschend Wochen zuvor den Kampf um die SPD-Spitze gegen Olaf Scholz gewonnen hatte. Und der dann für Scholz als Kanzlerkandidaten der SPD eintrat, jenen Scholz, der eigentlich nie beliebt war in der SPD und der auf Parteitagen fast immer miserable Stimmenergebnisse erzielte. Aber Scholz trat dann besonnen auf wie einst Angela Merkel, in dessen Kabinett Scholz Bundesfinanzminister gewesen war. Möglich, dass er seine ruhige Art bei Merkel abgeschaut, sie kopiert hat. jedenfalls hatte er Erfolg damit auf der letzten Runde des Wahlkampfs.

Heute ist die Lage anders, Olaf Scholz war ein glückloser Kanzler, er hatte das große Pech, dass wenige Wochen nach seiner Wahl zum Kanzler Russlands Diktator Wladimir Putin die Ukraine überfallen ließ. Plötzlich war der Krieg zurück in Europa, niemand im Westen war darauf vorbereitet, man reagierte mit Sanktionen, die billigen Gas-Verträge mit Moskau wurden Makulatur, teure Energie musste im Nahen Osten eingekauft werden. Der Krieg warf fast alle Pläne des Kanzlers über den Haufen. Die Inflation tat ihr Übriges. Dazu der pausenlose Streit in der Ampel-Regierung, weil Grüne und FDP nicht zueinander passten. Vor allem die Liberalen um Christian Lindner waren nicht bereit, Kompromisse in der Regierung mitzutragen, sie legten sich oft quer und so wurde aus der Ampel der Angriffspunkt für die Opposition: die Ampel sei die schlechteste Regierung, die Deutschland je gehabt habe, polterte Söder, die Ampel müsse weg, forderte Merz, der sich früh in Stellung brachte als eine Art Schattenkanzler.

Olaf Scholz hielt damals bei Kriegsausbruch seine wohl wichtigste Rede, indem er von Zeitenwende sprach. Das war ein Treffer und nötigte allen großen Respekt ab. Scholz sicherte der Ukraine die Hilfe Deutschlands zu, erklärte, die Regierung werde deinen Sonderfonds für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro einrichten, Deutschland werde seinen Verteidigungsetat auf mindestens zwei Prozent erhöhen. Scholz wirkte entschlossen, diesen Eindruck konnte man gewinnen. Niemals hat Scholz in den Jahren danach auch nur ansatzweise eine solche Rede gehalten. Was nicht heißt, dass ihm und der Ampel nicht einiges gelungen sei, aber er hat die Erfolge auch nicht oder nur schlecht verkauft, er hat Führung vermissen lassen, er hat die Streithähne nie in die Schranken gewiesen, man hat oft nicht gemerkt, dass Scholz Mitglied der Sozialdemokratie war.

Eine Aufholjagd, die nie begann

Und doch: Mochten viele Journalisten und auch Parteifreunde der SPD den Kanzler abschreiben, Scholz selbst blieb sich treu. Ich trete an, um zu gewinnen. So seine Rede. Er musste dafür nicht die Vergangenheit bemühen, die hatten alle im Kopf. Heißt: Vorsicht. Wenn der Scholz seine Aufholjagd startet, dann… Aber nichts passierte. Scholz und die SPD verharren bis heute in allen Umfragen im Keller, rangieren auf Platz drei noch hinter der AfD, knapp vor den Grünen. Da half das übersteigerte Selbstbewusstsein des Kanzlers auch nicht. Und der im Stern zitierte Kollege muss auch nicht im Ruderboot den Atlantik überqueren, weil es die erste USA-Reise des Wahlsiegers Scholz nicht geben wird. Der Kollege hatte nämlich für den unwahrscheinlichen Wahlerfolg von Scholz betont, er wolle lieber im Ruderboot rüberfahren, „als acht Stunden lang in einem Flugzeug mit dem Prahlkanzler zu sitzen“. Schöne Geschichte, trotzdem.

Nein, es wird kein Wunder geschehen, hat Merz im letzten Aufeinandertreffen mit Scholz gesagt. Auch wenn der Kanzler unbeirrt weiter so tut, als habe er eine reelle Chance. Was soll er denn anderes sagen? Soll er etwa Tage vor der Wahl seine Niederlage einräumen, öffentlich im Fernsehen vor einem Millionen-Publikum. Ist schon okay, meine ich. Und muss selber darüber grinsen. Auch wenn es ja stimmt, dass nur genügend Menschen in den Wahllokalen ihr Kreuz am Sonntag bei der SPD machen müssen. Und es stimmt auch, dass sich viele erst dann entscheiden. Aber richtig ist auch, dass sich das Verhältnis in allen Umfragen nicht mehr ins Gegenteil verkehrt.

Friedrich Merz(69) bittet die Wählerinnen und Wähler um ein starkes Mandat. So wörtlich. Das fällt seit einiger Zeit auf, dass der CDU-Chef sich oft verbal zurücknimmt, man spürt, wie er sich kontrolliert, um nicht impulsiv zu wirken. Fast staatsmännisch kommt er daher, mit durchgedrücktem Rücken lacht der Zwei-Meter-Mann aus Brilon ins Publikum, selbstbewusst ist er, positiv gestimmt. Nur keine Fehler mehr machen auf den letzten Metern. Und dabei trotzdem dem Amtsinhaber ein wenig Respekt zollen. Mit einer starken Union will er den Politikwechsel einleiten, Deutschland nach vorn bringen, den Aufschwung besorgen. Merz wirkt immer wie ein Unternehmer-Freund, er ist Marktwirtschaftler, das Soziale war nie sein Herzens-Anliegen. Es scheint, als ob seine Freunde ihm das nicht verübeln. Wenn es der Wirtschaft gutgeht, geht es auch den Arbeitnehmern gut, so hat es Gerhard Schröder früher oft gesagt. Auf dieser Linie liegt auch Merz. Wenn Scholz die Arbeitnehmer entlasten will, die mit dem kleinen Geldbeutel und dafür die Reichen stärker besteuern will, setzt Merz anders an, die Reichen sollen ruhig mehr verdienen. Steuersenkung ist sein Ziel, auch wenn es zuerst und vor allem die trifft, die ohnehin genug haben.

Mit den Stimmen der AfD

Ist Merz verlässlich hinsichtlich der AfD, der Brandmauer? Hat er nicht erst kürzlich die Stimmen der AfD in Kauf genommen, um gegen die Regierung Scholz einen Antrag durch den Bundestag zu bekommen? Peinlich war das, vor allem, weil die AfD-Leute danach feixten, sich in den Armen lagen. Wird Merz notfalls sich mit den Stimmen der AfD zum Kanzler wählen lassen? Er hat mehrfach betont, das werde er nicht, der hat eine Garantie abgegeben, dass das nicht passieren werde. Ich glaube ihm, auch wenn  es da in der Vergangenheit mal die Sache mit dem Ehrenwort des Herrn Barschel in Kiel gab, das der dann anschließend nicht einhielt. Anders verhält es sich mit seinen Reden nach dem tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg. Da verlor er schnell den Überblick, redete sich in Rage, forderte etwas, von dem er wusste, dass es mit europäischem Recht niemals in Einklang zu bringen ist. Das ist Munition für die Ultra-Rechten, Herr Merz, da sind sie ganz nah bei der AfD und deren Sympathisanten. In einer Koalition werden Sie solche Politik nicht so schnell umsetzen können, wir sind hier nicht in Amerika.

Der Wahlkampf von Scholz, in dem der Kanzler versuchte, dem Herausforderer vorzuhalten, dass er  keine Regierungserfahrung habe, scheint nicht verfangen zu haben. In der Tat war Merz nie Minister, nie Ministerpräsident, anders als Scholz, der ja nicht nur zur Regierung Merkel gehörte, sondern Erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg war. Merz war Abgeordneter des Bundestages, des Europa-Parlaments, er war Fraktionschef der Union 2000, ein Amt, das er dann 2002 an Merkel verlor, als diese als CDU-Chefin dem CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber beim Frühstück in Wolfratshausen die Kanzlerkandidatur der Union antrug und der Schilderung des Ereignisses zufolge von Stoiber die Unterstützung der CSU erhalten habe, auch Fraktionschefin von CDU und CSU zu werden. Es sei dahin gestellt, ob die Geschichte sich so zugetragen hat, jedenfalls hat Merz seine Kandidatur für das Amt des Fraktionschefs, das er ja innehatte, zurückgezogen. Er habe gekniffen, wie das ein CDU-Mann mal erläuterte.

Schwarz mit Rot, Grün oder…

Trotz allen Streits im Wahlkampf und in den Jahren davor liegen Merz und Scholz in wichtigen Punkten nicht so weit auseinander. Das zeigte sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz, als Trump-Vize Vance sich in den deutschen Wahlkampf einmischte und im Grunde eine Art Wahlempfehlung für die rechtsradikale AfD abgab und dazu noch die angeblich mangelhafte Pressefreiheit in Deutschland kritisierte. Da hielten sie beide dagegen, Scholz und Merz und verbaten sich diese Art von Einmischung in deutsche Angelegenheiten. Überhaupt haben sie gegengehalten gegen Trump, der den ukrainischen Präsidenten Selenskyi als Diktator beschimpfte und Kiew die Schuld für den Krieg mit Russland gab.  Trump als Sprecher Putins, die neue Welt, Europa muss sich zusammenschließen, mit einer Stimme sprechen, eine europäische Verteidigung organisieren, weil der US-Präsident Trump nicht mehr an der Seite der Demokraten in Europa auftreten will, sondern für ihn nur noch der Dollar als Wert zählt. Da liegen sie beide nicht auseinander, der Amtsinhaber wie der wahrscheinliche Nachfolger. Und auch ein Dritter ist dabei, der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius, der einem neuen Kabinett eines Kanzlers Merz angehören könnte. Nur als Beispiel. Wenn es denn so kommt. Niemand weiß, ob es reicht für Schwarz-Rot? Und was ist mit Schwarz-Grün? Söder schließt es aus, aber Söder wird nicht Kanzler und Merz hat Schwarz-Grün als Möglichkeit genannt. Und was ist, wenn Merz wie einst Scholz einen dritten Partner braucht?

Am Ende dieses letzten Aufeinandertreffens des Kanzlers mit seinem Herausforderer im Wahlkampf wurde es fast versöhnlich. Scholz und Merz versicherten sich, zum jeweils anderen ins Flugzeug respektive ins Ruderboot zu steigen. Merz hat den Pilotenschein und ein Flugzeug, Scholz hält sich gelegentlich fit im Ruderboot. „Man muss einander schon vertrauen im Boot“, sagte Scholz. Ich denke, im Notfall kann Merz schwimmen.

Bildquelle: Pixabay

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