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Europa, Europa, Europa, sagt Joschka Fischer – Wenn das so einfach wäre

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
8. April 2025
Europa auf dem Stier

Den Westen gibt es nicht mehr. Trump hat uns diese Illusion genommen. Für ihn zählt nur noch: Make America great again. Only America. Wir können uns nicht mehr auf die USA verlassen. Es macht auch keinen Sinn, immer wieder die alte Geschichte zu erzählen, wie uns die Amerikaner gemeinsam mit den anderen Alliierten von der Nazi-Barbarei befreiten, uns den Marshall-Plan schenkten, der die Basis des deutschen Wirtschaftswundern wurde. Auch die schönen Geschichten vom ersten Kaugummi aus der Hand eines US-Soldaten oder das Stück Schokolade wirken heute naiv, ganz nett, aber sie dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen:  Wir müssen uns künftig selber helfen, uns selbst um alles kümmern, was unsere Sicherheit betrifft. Vergessen wir den Artikel 5 der Nato! Krempeln wir nicht nur die Ärmel hoch, sondern rüsten auf, damit Russlands Imperator Putin uns in Ruhe lässt. Frei nach dem alten Spruch: Wenn Du Frieden willst, rüste zum Krieg.

Müssen wir uns für Krieg rüsten, um Frieden zu sichern? Diese Frage stellte Caren Miosga Joschka Fischer in ihrer Sendung. Ausgerechnet Fischer, einer der Gründerväter der Grünen-Partei, die einst auch als Friedenspartei gestartet war, als Anti-Kriegs-Bewegung. Nun ist Fischer ja längst aus dem Schatten seiner Revoluzzer-Jahre getreten, er trägt Anzug statt Jeans und Turnschuhe, er prügelt sich nicht mehr wie in seinen jungen Jahren als Straßenkämpfer. Und dieser Joschka Fischer war im rot-grünen Kabinett des Sozialdemokraten Gerhard Schröder beteiligt als Außenminister am ersten Krieg unter deutscher Mitwirkung nach dem Zweiten Weltkrieg damals im Kosovo. Ein Parteifreund(?) warf ihm später deswegen einen Farbbeutel ans Ohr, sein Trommelfell wurde beschädigt. Es geschah auf einem Sonderparteitag der Grünen in Bielefeld. Fischer griff sehr hoch in seiner Begründung des Nato-Einsatzes der Bundeswehr: „Nie wieder Auschwitz“. Fischer warf dem Serben-Präsidenten Milosevic vor, einen Völkermord an den Kosovaren zu begehen. Der Auschwitz-Vergleich Fischers wurde heftig kritisiert.

Das war es mit dem Westen

Und ausgerechnet Fischer plädierte in der Miosga-Sendung für die Wehrpflicht, für Waffen, für europäische Streitkräfte mit deutscher Beteiligung, für europäische Rüstung. Weil sich Deutschland auf die USA  nicht mehr verlassen könne und im Osten ein „imperiales Russland“ drohe, müssten Deutschland und Europa „abschreckungsfähig“ werden. Der Alt-Grüne räumte ein, dass er jemals öffentlich im Fernsehen derartige Forderungen aufstellen würde, das hätte er sich auch nicht träumen lassen. Aber die Zeiten sind andere als damals. „Ich denke, die Wahl von Donald Trump lässt die These realistisch erscheinen, dass es das war mit dem Westen“, so der einstige Chef-Diplomat, der seine amerikanische Amtskollegin Madeleine Albright sehr schätzte. Sie war die erste Frau in diesem Amt in den USA. Ihr Vater war ein tschechoslowakischer Diplomat, später Professor in Amerika. Die Familie floh zehn Tage nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Prag 1939 über Warschau nach London. Erst in den 90er Jahren erfuhr Frau Albright, dass drei der Großeltern im Holocaust ermordet wurden.

Europa müsse zur Kenntnis nehmen, erklärte Joschka Fischer, dass es „im entscheidenden Moment“ nur noch auf die eigene Stärke vertrauen könne. Nur gemeinsam habe die europäische Staatengemeinschaf eine Chance, betonte der Grüne und warnte: Sollte es Europa nicht schaffen, werden sich die anderen nicht kümmern. Aber wer ist denn Europa? Ein loses Bündnis von 27 Staaten, einen Staat Europa gibt es nicht.  Der Gedanke einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft mag ja vernünftig sein, ja geboten, aber dass die 27 Staaten der EU  gemeinsam und auf Dauer gegen den Kriegsverbrecher Putin handeln, ja rüsten, eine gemeinsame Streitmacht mit einer europäischen Armee aufstellen, erscheint mir illusorisch. Man denke nur an Ungarns Orban, der stets eigene Wege geht und lieber Freundschaft mit Putin sucht. Der europäischen Kasse bedienen sich die Einzelstaaten gern, auch Ungarn. Nein, die nationalen Beharrungskräfte sind zu stark ausgeprägt und verhindern eine notwendige Einigung. Man denke auch daran, wie in den 50er Jahren eine europäische Verteidigungsgemeinschaft namens EVG am Nein der französischen Nationalversammlung scheiterte. Heute warnt Irlands Vizepräsident Simon Harris Brüssel, die US-Digitalkonzerne mit Abgaben zu belegen. Man darf vermuten, dass dabei auch der Punkt eine entscheidende Rolle spielt, dass die Konzerne wie Apple und Facebook ihren europäischen Hauptsitz in Dublin haben.

Richtig ist, dass jeder einzelne europäische Staat keine Chance hat, sich  gegen Russland oder  China zu behaupten. Aber eine europäische Wertegemeinschaft(Demokratie, freie Wahlen, Meinungs- und Pressefreiheit, unabhängige Justiz) mit Großbritannien wäre eine Macht in der Welt, die nicht so einfach bedroht werden könnte von einem wie Putin, weil sie militärisch so stark wäre, dass sie Putin abschrecken würde, die zudem  wirtschaftlich eine Rolle spielen würde im Wettbewerb mit Indien, China und auch mit Amerika. Statt nationaler Kraftanstrengungen um militärische Aufrüstung wäre da nicht ein neues gemeinsames europäisches Handeln nötig? „Die Mut erfordernde Dringlichkeit der Aufgaben Europas ist eine Chance. Das geht über militärische Sicherheit hinaus.“ (SZ-Leserbrief)

Wir stehen vor der Notwendigkeit, in anderen, neuen Dimensionen zu denken. Das tut der alte Joschka Fischer, der einräumt, dass ein Plädoyer für die Aktivierung der Wehrpflicht aus der Mund eines 77jährigen(Fischer wird am 12. April 77 Jahre) natürlich grenzwertig ist. Und doch müsse dieser Schritt gegangen werden, auch wenn klar ist, dass die Wieder-Aktivierung der Wehrpflicht so einfach nicht ist. Den Bürger in Uniform gibt es nicht mehr, da muss wohl erst politische Unterrichtung erfolgen, Information und Werbung für die Bundeswehr, die berufliche Laufbahnen anbieten muss, um attraktiver zu werden für junge Männer und Frauen(eine Grundgesetzänderung wäre nötig), es fehlt an Kreiswehrersatzämtern, an Unteroffizieren, die ausbilden, an Kasernen, an Waffen jeder Art. Geld wäre ja da, weil der alte Bundestag noch die halbe Billion Euro beschlossen hat, es könnten sogar noch mehr Euros werden.

Friedensmission mit deutschen Soldaten

„Perspektivisch ja“, antwortete Fischer auf die Frage der Moderatorin Miosga nach der Notwendigkeit einer europäischen Armee. Der erste Schritt müsse national in Angriff genommen werden, dann müssten gemeinsame Rüstungsinitiativen der europäischen Staaten folgen. Sollte es zu einer Friedensmission in der Ukraine kommen, wäre Fischer für eine deutsche Beteiligung, also kein Freikaufen durch Schecks des Außenamts, um an frühere Praktiken deutscher Außenminister zu erinnern. Fischer wörtlich: „Wenn unsere europäischen Partner dazu bereit sind, sollten wir nicht abseits stehen“. Grundsätzlich sollte alles getan werden, um die Souveränität der Ukraine zu bewahren, ergänzte der Alt-Grüne.

Gedient hat Fischer damals nicht, aber nicht weil er den Dienst an der Waffe verweigert hätte, sondern aus gesundheitlichen Gründen. „Schlechte Augen“ habe ihm der Arzt bei der Untersuchung zur Wehrerfassung bescheinigt, was die Zuschauer der Miosga-Sendung mit einem kräftigen Lachen begleiteten. Worauf Fischer einräumte, mit besseren Augen  hätte er damals den Wehrdienst verweigert. Und wie würde er sich heute entscheiden, wollte die Journalistin wissen. Wenn er 18 Jahre alt wäre? Es falle ihm schwer, diese Zeitreise anzutreten, meinte Fischer. Aus seiner Sicht sei es von großer Bedeutung, dass jeder einzelne sich heute frage, ob es ihm wert sei, einen Beitrag zur Verteidigung des Landes zu leisten. Für sich selbst beteuerte er: „Mir wäre es das heute wert.“

Ich selber habe auch nicht gedient, aber nicht, weil ich verweigert hätte, sondern weil ich nicht eingezogen worden bin. Tauglich war(Grad 2), zugegeben ein Jahr Studium in Berlin, wo man damals nicht zur Bundeswehr musste, aber danach war ich im Westen, studierte in Bochum und München. Einen Einberufungsbescheid erhielt ich nicht. In einer privaten Runde haben wir über die Bundeswehr vor einiger Zeit diskutiert, auch darüber, ob wir heute die Wehrpflicht leisten würden. Ich habe die Frage bejaht, obwohl ich in meinem Alter(Jahrgang 1941) nicht mehr dienen müsste. Lieber rot als tot? Fragte jemand. „Niemals“, habe ich betont. „Unsere Freiheit aufgeben, die offene Gesellschaft, niemals.“ Verteidigung der Bundesrepublik? „Auf jeden Fall. Bei aller Kritik an diesen oder jenen Zuständen hier im Lande: diese Republik ist die beste, die wir je hatten. Sie ist es wert, verteidigt zu werden. Was nicht heißt, dass dieses Deutschland nicht noch verbesserungsfähig ist.“

Eine gewisse Geschmeidigkeit

Wie mit einem wie Trump umgehen? Wollte Miosga wissen.  Denn diese Frage muss sich ja wohl Friedrich Merz stellen, wenn er zum Bundeskanzler gewählt wird. Dem US-Präsidenten schmeicheln, ihm von der gemeinsamen Nachkriegsgeschichte erzählen, Amerika bewundern, sich vor Trump verbeugen? Was, wenn Trump wieder provoziert, wie er den ukrainischen Präsidenten Selenskyj quasi attackiert und ihn des Weißen Hauses verwiesen hatte? Oder wenn er den deutschen Kanzler in die Reihe der europäischen Abzocker stellt, der Schmarotzer, wie er es schon mal in einer Rede getan hatte? Fischer, der früher auch schon ausgerastet war im Bundestag nach Ende einer Debatte und er dem Bundestagspräsidenten Richard Stücklen(CSU) zugerufen hatte: Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein A…“ , riet bei Miosga zur Gelassenheit und Merz solle auf die eigene Stärke vertrauen.

Es komme, so Fischer, auf drei Dinge an: „Europa, Europa, Europa. “   Auch solle Deutschland alles unterlassen, um die Bande zu den USA nicht weiter zu zerstören. Friedrich Merz wünschte der Grüne-obwohl Merz und Söder seine Grünen derart schlecht gemacht hatten im Wahlkampf- alles Gute für seine Verhandlungen mit Trump. Um seine Reise nach Washington beneide er ihn nicht. Angesprochen auf Tipps für Merz mit dem sehr eigenwilligen US-Präsidenten meinte Fischer: „Trump ist ein sehr spezifischer Charakter“, der Wert auf Schmeicheleien und Lob des eigenen Egos lege. „Das alles wird Merz berücksichtigen“, so Fischer. Ob es darum gehe, unterwürfig zu sein? Eher gehe es um „eine gewisse Geschmeidigkeit“ im Umgang mit Trump, die er auch niemandem vorwerfen würde, meinte Fischer. Ob sie etwas nütze, wisse man vorher jedoch nie, räumte er ein.

0b Friedrich Merz Golf spielt? Auf dem grünen Rasen sollen ja schon viele Deals geschlossen worden sein. Vielleicht ist auch etwas anderes wichtig, was einer wie Trump nicht kennt und diesen überraschen könnte: Haltung. Und natürlich müssen die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, der CSU und der SPD erst abgeschlossen und Merz zum Kanzler der Bundesrepublik gewählt worden sein. So selbstverständlich erscheint mir das jedenfalls nach den langen Wochen der Gespräche und dem Streit in der Union wegen des gebrochenes Wahlversprechens(Einhalten der Schuldenbremse) von Merz  nicht zu sein. Auf Markus Söder sollte sich Merz nicht verlassen.

 

Bildquelle: Wikipedia, J. C. Andrä: “Griechische Heldensagen für die Jugend bearbeitet”. Berlin: Verlag von Neufeld & Henius, 1902

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