Ist es nicht fast immer so, dass der Verlag, der die Erinnerungen eines großen Politikers oder einer einst mächtigen Politikerin herausgibt, kräftig auf die Werbetrommel haut, damit das Werk von der „Öffentlichkeit mit Spannung erwartet wird“. Aber ob es dann wirklich spannend ist, Neues enthält, was die Leser in Staunen versetzt? Wie jetzt, da Angela Merkels Memoiren erscheinen. Im „Deutschlandfunk“ ist dazu zu lesen: „Mit vielen Details, aber ohne Zündstoff“. „Mit viel Getöse erscheinen die Memoiren“. Vor allem aus ihrer Jugend- und Studienzeit in Ostdeutschland gibt sie interessante Details preis“. Sagt der Merkel-Biograf Ralph Bollmann. Wie sie über ihre Rolle als Frau und als Ostdeutsche schreibe, das seien Highlights der Erinnerungen der Ex-Kanzlerin, aber vieles spare sie aber auch aus. Vorwürfe in großen Politik-Fragen weise sie zurück, findet Bollmann. Die SZ urteilt: „Die Sphinx bleibt sich treu.“
Ich muss zugeben, dass ich das Buch weder gelesen noch es in Händen gehabt habe, um vielleicht den Text des Buch-Covers zu studieren. Ich habe bisher nur über das Buch gelesen, über die Alt-Kanzlerin, die 16 Jahre die Bundesrepublik regiert hatte und die der einstige Groß-Kanzler Helmut Kohl mal als sein „Mädchen“ bezeichnet hatte. Vielleicht meinte er damit, dass er quasi der Erfinder, also der Entdecker der Politikerin gewesen sei. Das Beste zu dem Memoiren-Werk fand ich in der Karikatur des Meister-Zeichners Klaus Stuttmann, abgedruckt im Bonner „Generalanzeiger“. Stuttmann lässt den einstigen Kontrahenten von Merkel, Friedrich Merz, in einer Sprechblase sagen: „Okay, dass die Merkel vermutlich lauter Mist über mich schreibt, egal, vergessen!“ In einer zweiten Sprechblase sagt dann der Millionär Merz: „Aber dass sie sich damit auch noch dumm und dämlich verdient, ist unerträglich.“ Der neben Merz stehende CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann plädiert deshalb dafür: „Vielleicht erhöhen wir ja jetzt die Reichensteuer.“
Verkauft in 30 Ländern
„Freiheit“ heißt das Buch mit 736 Seiten. Und weiter: „Erinnerungen 1954-2021.“ Es ist seit heute im Buchhandel erhältlich in über 30 Ländern dieser Welt. Der Preis beträgt 42 Euro. Der Verlag Kiepenheuer&Witsch bringt das Werk heraus und hat sich, was üblich ist in der Branche, nicht zu den Verdienstmöglichkeiten der Autorin geäußert. Das tat der „Münchner Merkur“ unter Bezug auf die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Diese FAS habe schon Anfang des Jahres berichtet, „dass für das Buch eine Vorschusssumme im zweistelligen Millionenbereich geflossen ist.“ Bei dieser Höhe könnte sich, so lese ich weiter im Merkur, das Honorar für die Altkanzlerin zwischen zehn und 99 Millionen Euro bewegen. Der Merkur zitiert dafür t-online.
Viel Geld gewiss. Aber Merkel war ja mal laut Medien die „mächtigste Frau der Welt“, die mit allen genauso mächtigen Politikern der Erde zu tun hatte, sowohl mit Putin, wie mit Trump, mit Kohl, Bush usw. Sie wurde ja nicht von ungefähr erste Kanzlerin dieser von Männern beherrschten Bundesrepublik. Sie musste schon das Zeug dafür haben, diese Männer zu bändigen oder sie auszutricksen. Man denke nur daran, wie sie Friedrich Merz Anfang der 2000er Jahre düpierte und der sich aus Angst vor einem Machtkampf mit der CDU-Chefin in die Büsche schlug. Und so war Merkel dann Chefin der CDU-Partei und der Bundestagsfraktion, die mächtigste Frau in der Union. In ihren Memoiren beschreibt sie dann, so lese ich in den großen Zeitungen, in denen Vorberichte über Inhalte der Memoiren zu finden sind, dass Merz tief getroffen gewesen sei. Das Problem sei eben gewesen, dass sie beide an die Macht wollten. Nur einer kann gewinnen, das gilt auch in der Politik. Und in diesem Fall hatte Merkel zusammen mit Edmund Stoiber, dem CSU-Mächtigen damals, alles für sich vorbereitet. Sie hatte ja Stoiber auch die Kanzlerkandidatur beim Frühstück angetragen.
Eine Frau ohne Skandale
An anderer Stelle äußert sie sich zum Bruch der Ampel-Koalition. Gefragt nach den Gründen, Hintergründen, Motiven, fällt nur das eine Wort: „Männer:“ Ja, das kann damit zusammenhängen mit dem Testosteron oder Adrenalin. Sie kennt sie ja aus all den Jahren. Ich erinnere mich noch gut an die Wendezeit, das Ende der DDR, die Anfänge der Politikerinnen und Politiker aus dem Osten im rheinischen Bonn. Merkel fiel vor allem auf durch ihre Bescheidenheit, Zurückhaltung, ihre unauffällige Kleidung. Kaum jemand beachtete sie zuerst, es dauerte Jahre, bis sie in der CDU „Wer“ war. Auch als Kanzlerin behielt sie das eher Unauffällige bei, sie gehörte nie zu irgendeiner Champagner-Runde. Ich kenne keinen Skandal der Angela Merkel, keine Geschichte mit Geld oder Flugzeug. Sie blieb stets am Boden, vielleicht war das ja das eigentliche Kennzeichen dieser Frau, die von sich auch behauptet, sie sei nicht als Kanzlerin auf die Welt gekommen. Wie auch. Die ersten 35 Jahre verbrachte sie in der DDR, ein Staat, den es seit 1990 nicht mehr gibt.
Angela Merkel, Pfarrers Tochter, Physikerin, verheiratet mit einem Professor Sauer, den die Öffentlichkeit selten zu sehen bekam. Sie nahm damals Gerhard Schröder das Kanzleramt ab, dem sie sich als Oppositionschefin in den Weg gestellt hatte, als sie zum Beispiel des SPD-Kanzlers Nein zum Irak-Krieg der US-Regierung Bush mit einem Gastbeitrag in der Washington Post konterte: „Herr Schröder spricht nicht für alle Deutschen.“ Ein starkes Stück, es hat ihr nicht geschadet. Sie hat dem Altkanzler Kohl einst die Tür zum endgültigen Abschied aus der Politik gewiesen, in dem sie in der FAZ-Kohls Leib- und Magenblatt- erklärte, die Ära Kohls sei nun beendet. Aus. Es hat ihr nicht geschadet. Die Journalisten kommentierten Merkels Weg über Jahre etwa so: Sie werde nie Kanzlerin, weil aus der DDR, ohne Hausmacht, evangelisch, geschieden, keine Kinder. Sie hat uns eines Besseren belehrt. Horst Seehofer, der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident, stellte sie einst öffentlich beim CSU-Parteitag wegen ihrer Flüchtlingspolitik zur Rede. Merkel regierte trotzdem weiter und wurde wegen ihres Leitspruchs „Wir schaffen das“ weltweit für ihre Menschlichkeit gewürdigt.
Flüchtlingen den Weg geebnet
Sie hatte Zehntausenden von Flüchtlingen aus Ungarn kommend den Weg in die Bundesrepublik geebnet. Ein Problem, für dessen Lösung sie kein Konzept hatte. Aber hätte sie die Grenze schließen sollen, bewacht von bewaffneten Grenzpolizisten, die die armen Menschen mit Maschinenpistolen zurückgewiesen hätten? Nein, sie hat bei weitem nicht alles richtig gemacht, sie hat auf Sicht regiert, auf Halten, wie man im Fußball sagt, nichts riskiert, der Reformstau, den wir heute beklagen, ist ein Ergebnis ihrer Politik. Auch wenn sie diese Kritik von sich weist, ihre Regierungsjahre haben die Misere auf der Schiene, der Straße, bei den Brücken, der Digitalisierung, beim Wohnungsbau mit verursacht, sind verantwortlich dafür, dass die Bundeswehr heruntergewirtschaftet wurde. Das alles ist wahr und doch war sie eine Politikerin, die das Ansehen Deutschlands in der Welt gemehrt hat. Sie kennen mich! Lautete lange ihr Wahlspruch. Deshalb wählten die Leute sie.
Dass das Buch quasi weltweit verkauft wird, das ist schon ein Anspruch. Aber dafür haben sich Verlag und Autorin auch einiges einfallen lassen. So wird der frühere US-Präsident Barack Obama, der mit Merkel gut konnte-man mochte sich und sprach von echter Freundschaft- das Buch am 2. Dezember in Washington vorstellen. Besser geht es wirklich nicht. Es werden Auftritte von Merkel in Paris, Barcelona, Mailand, Amsterdam folgen. In Deutschland wird das Buch am Dienstag, 26. November, präsentiert, also heute. Von Anne Will, die einst die Sonntag-Abend-Talkshow über Jahre präsentierte. Im Deutschen Theater in Berlin. Ein Blick hinter die Kulissen der Macht werde freigegeben, heißt es. Wer Merkel kennt, weiß, dass sie sich bedeckt halten wird, wie sie das immer tat in ihrem politischen Leben.
Bildquelle: Wikipedia, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0
Das beste Beispiel für: Je dünner das Konzept desto dicker das Papier“