Der Giftanschlag auf den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny ruft beinahe einheitliche sehr harsche Reaktionen durch deutsche Politiker hervor. Dabei hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel(CDU) die harte Linie eigentlich vorgegeben: Klare Verurteilung dieses feigen Attentats und unmissverständliche Aufforderung an den Kreml, an Präsident Putin, sich zum Anschlag zu äußern. Die Welt erwarte eine Erklärung der russischen Führung. Andere warfen Putin direkt vor, für das Attentat verantwortlich zu sein, da die Verwendung des Nervenkampfstoffs Nowitschow mutmaßlich auf militärische oder geheimdienstliche Quellen verweise. Beweise für Putins Schuld, direkt oder indirekt, gab es und gibt es nicht, es sei denn, die deutsche Politik hat sie, verweigert aber genauere Angaben. Russland hat bisher eine Verwicklung in den Giftanschlag auf Nawalny zurückgewiesen. Nawalny wird in der Berliner Charité behandelt, sein Zustand gilt immer noch als kritisch.
Außenminister Heiko Maas reihte sich ein in die Kritiker Putins und forderte Aufklärung in den nächsten Tagen. Sollte es keine geben, müsse Deutschland in den nächsten Tagen mit seinen Partnern über eine Antwort beraten, so der SPD-Minister in der „Bild am Sonntag“. Es gebe viele Indizien dafür, dass der russische Staat hinter dem Giftanschlag stecke. Wenn sich der Kreml nicht an der Aufklärung des Verbrechens beteilige, wäre das ein weiteres Indiz für die Tatbeteiligung des Staates. Mit Nebelkerzen und Verschleierungen will sich Maas nicht zufriedengeben, sondern das wäre dann für ihn der Beleg, dass der russische Staat etwas zu verheimlichen habe. Man wundert sich über den Ton des Außenamtschefs, der bisher in seinem Amt eher blass geblieben ist. Gerade auch in der Russland-Politik hat Maas keine Zeichen gesetzt. Mehrfach wurde er auf ein großes SPD-Vorbild hingewiesen, auf Willy Brandt und dessen Ostpolitik Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre. Wandel durch Annäherung, hieß damals die Zauberformel, die von Brandts engstem Berater Egon Bahr miterfunden wurde. Brandt wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Der Kalte Krieg scheint wieder da
Auch die Union haut kräftig auf Russland drauf, als gelte es ein Wettrennen zu gewinnen, der Kalte Krieg scheint wieder eröffnet zu sein. Verteidigungsministerin und Noch-CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, die sonst kaum aufgefallen ist, warf Russland aggressive Politik vor. Blog-der-Republik-Autor und Leser Jochen Luhmann findet die Wortmeldung der Ministerin „verstörend. Sie greift da weit über ihren Zuständigkeitsbereich hinaus und nutzt das zu einer Martialität, die mich fragen lässt: Cui bono? Sie ist im Amt eine „lame duck“, warum das? Um später etwas zu werden, wo man mit solchen Worten sich ausweisen muss?“ Kramp-Karrenbauer forderte in der konservativen Zeitung „Rheinische Post“ ein geschlossenes Vorgehen von EU und Nato gegenüber Russland, damit der Kreml dazu gebracht werde, die Tat vollständig aufzuklären und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Sie erwähnte aber nicht nur den Fall Nawalny, sondern auch die Debatte über Aufrüstung und Vertragsverletzungen durch Russland, Nachrichten, dass Russland gezielt den Luftraum der baltischen Staaten verletze, sie erwähnte, dass Schweden über russische U-Boote nahe der schwedischen Inseln geklagt habe. Wörtlich fügte sie hinzu:“ Wir kennen das gewaltsame Vorgehen Russlands in der Ukraine“: Dass das Regime Putin seine Kritiker im In- und Ausland ausschalte, sei bekannt und sei durch den Fall Nawalny jetzt bestätigt worden.
Indizien, Vermutungen, keine Beweise. Der Mordanschlag könnte auch von Gegnern der Nord Stream 2 Pipeline, die im Bau ist und nur noch 150 Kilometer Röhren bis zum Ende gelegt werden müssen. Da gibt es viele Gegner, darunter die Amerikaner, die gern selber ihr durch Fracking gewonnenes Gas an die Deutschen und andere Europäer verkaufen wollen. Polen ist dagegen, die Ukraine auch. Es ist also manches denkbar, zumal Experten darauf hingewiesen haben, dass das Nervengas zwar in der Sowjetunion einst hergestellt wurde, das aber durchaus durch Geldgeber in andere Hände geraten sein könne. Der Blog-der-Republik hat Putin nicht freigesprochen von jeder Schuld, aber Fragen gestellt, weil nichts bewiesen sei. Die ewige Dämonisierung des Kreml-Herrschers bringt uns nicht weiter. Und: Putin wird gebraucht, ohne ihn keine Lösung in Syrien, keine in Libyen.
Nord Stream2 (NS2) wird seit einiger Zeit infrage gestellt, obwohl die Kanzlerin sich stets dafür ausgesprochen hat, die Pipeline zu Ende zu bauen. Dagegen hatte, wie berichtet, der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, im Rennen um den CDU-Vorsitz ziemlich hinten, Putin wegen des Anschlags auf Nawalny heftig angegriffen und dafür plädiert, den Weiterbau der Pipeline zu stoppen. Überhaupt will der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Putin die Geschäfte mindestens erschweren, am liebsten würde er sie ganz beenden. Andere Politiker, darunter aus der Grünen-Partei Katrin Göring-Eckardt, forderten wie Röttgen ein Ende, oder mindestens ein Moratorium des Pipeline-Baus. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger dagegen warf im Zusammenhang mit den guten Geschäften der deutschen Wirtschaft mit Russland ein, man müsse darauf achten, sich nicht selbst ins Knie zu schießen.
Die Pipeline ist politisch
Jochen Luhmann zitierte in einer Mail an den Blog-der-Republik einen Insider, der ihn gefragt habe: „In der gegenwärtigen Diskussion um ein NS2-Verbot oder Moratorium vermisse ich eine Aussage über die Rechtsgrundlage derartiger Schritte, zumindest, was Deutschland betrifft. Da alle Genehmigungen der deutschen Stellen(Bergamt Stralsund, BA für Seeschifffahrt und Hydrographie) vorliegen und diese m.E. nicht aus politischen Gründen widerrufen werden können, ist mir rätselhaft, was sich die Politiker, die derzeit das Wort führen, eigentlich vorstellen. Oder geht es jenen gar nicht um die Sache, sondern nur um Profilierung?“ Dazu müsse man noch wissen, erklärt Jochen Luhmann, dass a) die Schädigung nicht im Schwerpunkt Russland trifft, sondern die mitfinanzierenden Unternehmen in DEU, NL und AU. Die haben Schadenersatzansprüche dann gegen die Buundesrepublik b) NS2 nur Teil eines (ausgebauten Pipelinesystems ist, an Land geht es weiter mit EUGAL et al. Wenn NS2 nicht fertiggebaut wird, sind die funktionslos.“
Wer immer daran gezweifelt haben sollte, dass eine Pipeline mit Russland nicht politisch sei, der weiß es spätestens seit dem Fall Nawalny. Und wer die Geschichte im „Tagesspiegel am Sonntag“ liest über Gerhard Schröder und dessen Tätigkeiten für russische Öl- und Gasfirmen, der wähnt sich entweder im Wahlkampf oder er glaubt, da würden alte Rechnungen beglichen. Das eigentlich angesehene und liberale Berliner Blatt zitiert den Fraktions-Vize der Unionsfraktion im Bundestag, Johann Wadephul, mit den Worten, Schröder müsse „umgehend seine Ämter und Positionen in Russland aufgeben.“ Da darf man sich schon wundern, Wadephul taucht sonst so gut wie nie auf in den Medien, aber jetzt mit Russland und gegen Schröder und Putin. Und dieser CDU-Vize greift dann noch in den moralischen Kasten. „Wenn Herr Schröder noch politischen Anstand und Wertmaßstäbe besitzt, dann verbietet sich für ihn eine weitere Zusammenarbeit mit Unternehmen und Institutionen, die von einer solchen Regierung abhängig sind“. Wadephul, der Mann, der über Anstand und Werte entscheidet. Schröder, heißt es da weiter, arbeite für Rosneft, Nord Stream 2 und auch die Nord Stream AG.
600000 Dollar für den Altkanzler
Auf der Seite 2 setzt der Tagesspiegel dann seine Geschichte über Schröder/Putin fort mit der Überschrift: Ein Freund, ein guter Freund. Da darf natürlich der Hinweis auf das viele Geld, das Schröder bekommt, nicht fehlen. Eine Neiddebatte macht sich immer gut. Allein von Rosneft, so steht da zu lesen, bekomme der SPD-Altkanzler 600000 Dollar im Jahr, hinzu kämen die Bezüge für die anderen beiden Posten. Die Autorin vergisst nicht zu erwähnen, dass „der deutsche Staat dem Altkanzler ein Ruhegehalt“ zahle. Schröder hat sich bisher zum Fall Nawalny nicht geäußert, was dem Berliner Blatt nicht gefällt. Die Story wird nochmals moralisch und zitiert den außenpolitischen Sprecher der Grünen, Omid Nouripour. „Die Frage, ob Gerhard Schröder noch in den Spiegel schauen kann, ist seine Angelegenheit.“ Viel problematischer findet der Grüne die unklare Position der Sozialdemokraten und wirft dem SPD-Vorsitzenden, gemeint wohl Norbert Walter-Borjans, vor, er habe davor gewarnt, in der jetzigen Situation über neue Sanktionen gegen Russland zu sprechen. Wofür es gute Gründe gibt, meine ich, weil ich schon die bestehenden Sanktionen wegen der Krim-Einvernahme durch Russland für falsch gehalten habe und für falsch halte. Sie haben noch nie etwas gebracht.
Bildquelle: Wikipedia, Gerd Fahrenhorst / CC BY SA 4.0