Es ist die Frage, was an diesem Abend in der Bonner Bundeskunsthalle von den vielen Zuschauern mehr Beifall und Aufmerksamkeit erhält: die Musik der Interpreten aus vielen Ländern dieser Erde oder die politischen Standpunkte, für die einige der Musiker stehen. Die venezolanische Pianistin Gabriela Montero erhält im Rahmen eines Festkonzerts den mit 10000 Euro dotierten internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion. Und für diese Frau, die am Klavier die Zuhörer mit ihren Improvisationen in ihren Bann zieht, wenn sie ihre Finger über das Klavier rauschen lässt oder in sich versunken der eigenen Musik zu lauschen scheint, für diese Frau ist die politische Äußerung eine Selbstverständlichkeit. Sie steht auf der Bühne und klagt das Regime in ihrer Heimat Venezuela an, jene Männer, für die die Menschenrechte nichts zählen, die der eigenen Bevölkerung die Arbeit, die Nahrung, die medizinische Versorgung verweigern, die das ölreiche Land an den Rand des Ruins gebracht haben, und die selber mit ihren Privatjets mal eben in die Karibik oder nach Miami fliegen, um sich zu amüsieren. Den Tränen nah betont sie in ihrer Abschlusserklärung, dass sie nicht schweigen, sondern weiter das Regime und ihre Untaten anklagen werde. Das Publikum erhebt sich und erweist ihr die Ehre und den rauschenden Beifall.
Ein Beethovenpreis, erfunden natürlich in der Stadt Bonn mit tatkräftiger Hilfe eines Kölner Sponsors, kann, braucht die politische Begleitmusik. Beethoven, in Bonn geboren, hat in seiner Musik das Streben nach Menschlichkeit ins Zentrum seines Wirkens gerückt, so hat es der Bonner Generalanzeiger beschrieben und hinzugefügt, bei Beethoven schwinge viel vom Geist der Menschenrechte mit. Ja, Freiheit war zu Zeiten des großen Künstlers keine Selbstverständlichkeit und die Freiheit der Meinung schon gar nicht. Dass die sogenannte Beethoven Academy diesen Preis vor ein paar Jahren ins Leben gerufen hat, ist ein Segen. Wann kann der Zuschauer an einem Abend Künstler aus so vielen und unterschiedlichen Ländern erleben, wann kann er armenische und griechische Künstler auf der Bühne erleben, die ein türkisches Stück spielen? Dazu muss man nicht vieles erklären, in Zeiten wie diesen ist ein solcher Auftritt eine Genugtuung.
Nicht in meinem Namen
Wer denkt bei Katja Epstein schon an Brecht und Kästner, deren Stücke sie in der Vergangenheit zum Klingen gebracht hat. Ich muss erst meine Vorurteile ablegen, um sie nicht mit Songs wie griechischer Wein oder einem Schunkellied in Verbindung zu bringen. Pardon. Dabei war die Sängerin schon in den 70er Jahren eine sehr engagierte politische Zeitgenossin, die sich für Willy Brandt und dessen Friedens- und Entspannungspolitik einsetzte, die gegen den Golfkrieg zu Felde zog. An diesem Abend zu Ehren von Gabriela Montero wartet Katja Epstein mit einem Gedicht von Bodo Wartke auf „Nicht in meinem Namen“. Es ist still, nichts rührt sich in dem großen und gefüllten Saal, als Epstein vorträgt: „Wenn ich Gott wär von irgendeiner traditionsreichen populären Weltreligion, dann hätte ich was zu sagen, das geht euch alle an. ..Wenn ihr tausend Jahre alte Kulturen vernichtet und auf den Trümmern eure protzigen Paläste errichtet und behauptet, ihr machtet euch stark für die Schwachen und Armen, wenn von selbsternannten Dienern Gottes auf Erden Kinder mißbraucht und mißhandelt werden, dann geschieht das Ganze gewiss nicht in meinem Namen. Wenn ihr … eure Frauen verachtet und unterdrückt aufgrund eurer „Werte“, eurer ach so tugendsamen, nach denen man als Frau nicht widersprechen darf, sondern eingesperrt wird und versklavt, dann handelt ihr damit nicht in meinem Namen. Wenn eure Tochter das dann nicht mehr still ertragen, sondern selbstbestimmt leben will, … und sie von euch erniedrigt, geschlagen, entführt , verstoßen oder sogar ermordet wird , dann handelt ihr damit nicht in meinem Namen.“ Und wenn ihr Homosexuelle zusammenschlagt, wenn ihr Andersgläubige massakriert, und wenn ihr wieder mal hemmungslos Blut vergießt, indem ihr wahllos unschuldige Menschen erschießt,…“ Das geht dann so weiter in dem Gedicht. „Ihr seid weder Märtyrer noch ehrbare Rächer, ihr seid einfach nur gottlose Schwerverbrecher.. Und wenn ihr zerstört, was ich erschuf, dann will ich nicht , dass ihr euch auf mich beruft. Denn ihr handelt nicht in meinem Namen!“ Das Gedicht endet mit der Zeile: „Es wird Zeit, dass euch einer standhält, eurem Wahn, diesem grausamen. Denn ihr handelt nicht in meinem Namen. Shalom, Inschallah, Amen.“
Kampf gegen Unterdrückung
Gabriele Montero steht für einen Kampf gegen die Unterdrückung, aber sie beläßt es nicht bei mündlichen Protesten und Anklagen, sie hilft jungen Musikern, die den Weg aus Venezuela nach Europa gefunden haben, auch mit ihrer finanziellen Hilfe. Der venezolanische Tenor Luis Magallanes ist darunter sowie junge Künstlerinnen und Künstler aus dem bedrängten Land, aus dem inzwischen mehr Menschen ins Ausland fliehen als Syrer aus ihrer vom Krieg zerschundenen Heimat.
Der erste Beethoven-Preisträger aus dem Jahre 2015 ist mit seinem blinden Vater in der Bundeskunsthalle: Aeham Ahmad, weltberühmt geworden als Pianist, der in den Trümmern des syrischen Lagers Yarmouk spielte, später haben die Terroristen des IS sein Klavier in Brandt gesetzt. Aeham Ahmad ist als erster nach Deutschland gekommen, inzwischen ist seine Familie hier, man lebt in Hessen. Der Vater war ein in Syrien bekannter Lautenbauer. Aber es ist alles zerstört, das Land, das wir 2010 besucht haben, ein blühendes Land, liegt völlig zerstört am Boden, auch weil der Diktator Assad es so will und weil die Großmächte sich eingemischt haben und sich nicht einigen können. Millionen haben das Land verlassen, der unmenschliche Assad verteidigt seine Herrschaft mit all seinen Mitteln, einschließlich Giftgas und Bombenabwürfen auf die eigene Bevölkerung. Aeham Ahmad spielt am Klavier und begleitet seinen blinden Vater auf der Violine. An anderer Stelle hat er betont, dass die Mehrheit der Syrer den Krieg nicht will. Seine Erfahrungen aus dem Bürgerkriegsland hat Aeham Ahmad in einem zum Beststeller gewordenen Buch veröffentlicht: „Und die Vögel werden singen“
Völkerverständigung
Völkerverständigung-das Thema begleitet den ganzen Abend und es fasziniert den Zuschauer und Zuhörer. Er erlebt die mit 87 Jahren älteste Klavierschülerin der Bonner Pianistin Susanne Kessel, es ist die Pianistin Margot Nikita.Sie stammt aus Buffalo(USA) und begann mit vier Jahren Klavier zu spielen, sie studierte in Manhattan und trat in Boston und New York auf wie später an den Opernhäusern in Bonn und Aachen. 2006 ging sie in den Ruhestand, was für sie bedeutete, ihr Klavierstudium an der Musikschule in Bonn wieder aufzunehmen. Sie nimmt auch an den Klaviermeisterkursen in Münster teil und tritt bei Schülerkonzerten wie Hauskonzerten auf. Musik, auch dies wird an diesem Abend mehrfach betont, soll nicht nur für eine Elite da sein, sondern soll für viel mehr Bürgerinnen und Bürger da sein.
Die in Bonn aufgewachsene Pianistin Luisa Imorde und die ägyptische Pianistin Myriam Farid führen mit dem palästinensischen Violinisten Yamen Saadi ein Werk des Israelis Paul Ben-Haim auf. Dieser Paul Ben-Haim, wie er sich heute nennt, hieß früher Paul Frankenburger, wurde in München 1897 geboren , war Kapellmeister in Augsburg, 1933 emigrierte er aus Deutschland und lebte seitdem als Komponist und Dirigent in Tel Aviv, wo er 1984 starb. Nicht vergessen darf man die Sängerin Jocelyn Smith, die eine Hommage an Aretha Franklin hinreißend präsentierte und dabei begleitet wurde von Kai Schumacher am Klavier.
Schirmherr der Veranstaltung ist im übrigen der letztjährige Beethoven-Preisträger Wolfgang Niedecken, bestens bekannt ist der Chef der Kölschrock-Band BAP auch für seinen Kampf gegen Rechts, gegen Rassismus und Fremdenhass. Der 67jährige hat vor Jahren ein Konzert gegeben, das bundesweit Schlagzeilen machte. Titel: „Arsch huh, Zäng ussenander.“ Er wie die Künstler des Abends engagieren sich seit Jahren für die Menschenrechte. Man darf daran erinnern, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet wurde, also vor 70 Jahren. Dass dieser Kampf für die Menschenrechte noch nicht gewonnen ist, sondern fortgesetzt werden muss, ist auch wahr. Es sei eine Sisyphus-Arbeit, hieß es mehrfach. Der Hauptsponsor des Beethoven-Preises betonte, man werde nicht locker lassen. Daran ließen auch die Veranstalter keinen Zweifel aufkommen. Der Beethoven-Preis ist eine Werbung für die Bundesstadt Bonn, die immer noch unter dem Verlust des politischen Betriebs leidet, für die Geburtsstadt Beethovens, für die Stadt als Standort der UN, für die kleine, aber sehr internationale Stadt Bonn mit ihren vielen ausländischen Studenten.