Nach Jahrzehnten größter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Stabilität herrscht seit einiger Zeit in deutschen Landen ein schier unkalkulierbares Durcheinander und Wirrwarr, das nicht wenige Bürgerinnen und Bürger aufregt und beunruhigt. Viele befürchten gar, dass dies alles im Chaos enden könnte.
Flüchtlingszustrom mit Folgen
Im September 2015 hatte die Bundeskanzlerin aus humanitären Erwägungen heraus die deutschen Grenzen nicht geschlossen. Viele hunderttausend Flüchtlinge strömten ins Land und baten hier um Asyl. Nach der kurzen Phase der spontanen Willkommenskultur, mit der die Migranten hierzulande – auch am Hauptbahnhof in München – begrüßt wurden, veränderte sich die Stimmung in unserer Republik. Mehr und mehr wurde klar, dass Angela Merkel ihr Versprechen „Wir schaffen das“ nicht realisieren konnte. Das zuständig Bundesamt für Migranten und Flüchtlinge (BAMF) war einfach überfordert – ebenso wie viele Städte und Gemeinden sowie manche freiwillige Helfer. Die Erfassung der Migranten und Entscheidung über deren Asylanträge machten viel größere Schwierigkeiten als zunächst gedacht. Es war einfach nicht zu schaffen, diesen riesigen Zustrom zu kanalisieren. Dass einige Migranten hierzulande nicht den subsidiären Schutz suchten, sondern mit kriminellen Absichten einreisten, wurde mehr und mehr deutlich – vor allem mit dem Attentat am Berliner Breitscheidplatz, den Übergriffen auf dem Kölner Domplatz, den Morden und Gewaltdelikten.
Versagen von Politik und Verwaltung
Die Beunruhigung der Menschen hat enorm zugenommen. Der Hinweis auf bessere Zahlen in der gesamten Kriminalstatistik hilft nicht; denn es kommt nicht darauf an, was ist, sondern wie es wirkt. Nach den Vorgängen in der BAMF-Stelle in Bremen ist das Vertrauen in Bundesbehörden tief erschüttert. Der neue Präsident Sommer, von Minister Seehofer eingesetzt, wird eine Herkulesarbeit zu erledigen haben, um zigtausend bislang nicht erledigte Asylanträge zu entscheiden. Die Verwaltungsrichter sind mit Klagen von jenen, denen nicht Asyl gewährt wurde, mehr als überlastet. Manche Verfahren dauern gar mehrere Jahre. Die Abschiebungen derer, die nicht schutzbedürftig sind, sind schwierig, kostenaufwändig und in der Mehrzahl nicht möglich: Es fehlen Ausweise, die meisten Länder zeigen sich zur Aufnahme abgelehnter Asylbewerber nicht bereit. Es fehlt an Personal und Transportmöglichkeiten, um die Abschiebungen erfolgreich durchzuführen. Zudem ist die Abschiebepraxis der Bundesländer recht unterschiedlich. Und oft genug machen Menschen vor Ort Front gegen Migranten, die vielfach seit langem in diesem Dorf oder jener Stadt leben und arbeiten und nun abgeschoben werden sollen. Einige finden gar ein Kirchenasyl – zumindest für ein paar Tage.
Gewiss ist in den letzten zwei Jahren einiges in der Migrantenpolitik geschehen, passiert ist indessen nur wenig. Eine Flut wie im September 2015 sollte und hat es auch nicht wieder gegeben. Das EU-Türkeiabkommen wirkt, über die Balkan-Route kommen derzeit nur noch wenige in Richtung Europa. Der Druck aus Afrika bleibt groß, viele Migranten treiben auf Schiffen im Mittelmeer dahin; Italien, Malta und andere schließen ihre Häfen. Die Zahl der Opfer, die in den Fluten ertrinken, wächst, während sich das christliche Abendland abzuschotten versucht.
Ultimaten der CSU
Mit größter Entschlossenheit agiert die CSU mit dem Minister Seehofer und dem Ministerpräsidenten Söder in der Migrationspolitik. In Berlin fliegen die Fetzen, seit Horst Seehofer seinen Masterplan angekündigt hat, ihn indessen noch nicht präsentieren konnte. Der Druck auf die Schwesterpartei und insbesondere auf die Bundeskanzlerin ist immens: Es wird mit Kreuth II, also mit der Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft im Bundestag und mit der deutschlandweiten Expansion der bayerischen Regionalpartei gedroht. Merkel strebt eine EU-Lösung des Migrationsproblems an. Die CSU-Granden haben ihr dafür noch ein paar Tage Zeit eingeräumt – bis zum nächsten EU-Gipfel an diesem Wochenende.
Verweigerung der Europäer
Die Aussichten auf eine solche europäische Lösung sind jedoch nicht gerade vielversprechend; in der Runde der 16 Europäer, bei der die Visegrad-Staaten und andere der Einladung des EU-Kommissionspräsidenten nicht folgten, räumten die Staats- und Regierungschefs ein, dass eine europäische Lösung des Asylproblems am besten wäre. Sie – allen voran der italienische Regierungschef Conte und der französische Präsident Macron – folgten damit im Prinzip den Intentionen von Angela Merkel. Jedoch weigern sich die meisten Staaten mit Außengrenzen grundsätzlich, weitere Flüchtlinge aufzunehmen.
Schnell einig waren sich die 16 Chefs auf dem Brüsseler Flüchtlingsgipfel darin, die EU-Außengrenzen verstärkt schützen und möglichst Flüchtlingszentren außerhalb der EU zu errichten, in denen Migranten registriert werden und ihren Asylantrag stellen könnten, in die auch abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden sollten. Letzteres würde allerdings gegen EU- und internationales Recht verstoßen, so ließ es die EU-Kommission schon kurz nach dem jüngsten Treffen der 16 EU-Partner verlauten.
Seehofers Masterplan: Eine Blackbox
Das Ultimatum, das die CSU der Bundeskanzlerin stellte, läuft bis Anfang Juli. Wenn Merkel bis dahin keine europäische Lösung liefert, will ihr Innenminister die nationalen Maßnahmen durchsetzen. Immerhin – so Seehofer – sei er mit seinem Ressort für die innere Sicherheit zuständig. Ob Angela Merkel dies so hinnehmen oder von der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin gegen ihren forschen Minister Gebrauch machen wird, ihn sogar entlassen wird, darüber wird derzeit in der Bundeshauptstadt sowie vor allem auch in München spekuliert. Die CDU-Granden im Präsidium und Bundesvorstand ihrer Partei werden am Sonntag, den 1. Juli, also nach dem EU-Gipfel beraten, wie es weitergehen soll, was zu tun sein wird und wie man sich gegenüber der CSU verhalten soll. Auch die CSU-Führung will dann endgültig entscheiden.
CDU und CSU im Sinkflug?
Niemand vermag exakt voraussagen, was nach dem 1. Juli in Gang kommen wird: Entlassung von Seehofer, Vertrauensfrage von Merkel, Neuformation der Regierungskoalition mit einem Ausstieg der CSU und einem Einstieg der Grünen zur CDU und SPD. Nicht zuletzt wird gar über Neuwahlen nach der Sommerpause spekuliert. Die aktuellen Umfragen verheißen nichts Gutes für die Union: Die CDU/ CSU ist bundesweit angesichts des offen ausgetragenen Zwistes auf gerade noch rund 30 % abgerutscht, die SPD verharrt unter der 20 %-Marke. Dagegen können die AfD auf 16 %, aber auch die Grünen auf 14 % und die FDP auf 8 % etwas zulegen. Bundesweit kämen derzeit die CDU wohl auf 24 % und die CSU auf 6 %. Bis zu einer möglichen Neuwahl und nach einer Trennung der Schwesterparteien könnten sich weitere Wähler mit Grauen von den Streitparteien der Union noch abwenden.
Auch die Landtagswahl im Freistaat Bayern wirft lange Schatten voraus. Die CSU, die partout die absolute Mehrheit am 14. Oktober erreichen will, blickt mit Bangen auf die aktuellen demoskopischen Befunde, die eher unter denn über 40 % liegen. Der lautstarke Ministerpräsident Söder kommt bei seinen Südstaatlern mit seiner Politik „Bavaria first“ keineswegs so gut an, wie es sich seine Parteistrategen vorgestellt haben. Das Ansehen und die Kompetenz von Angela Merkel werden im Freistaat sogar höher geschätzt als die von Söder. Die Umfragen zur Landtagswahl weisen derzeit für die CSU zwischen 38 bis 40 % aus, für die Grünen 12 bis 14 %; SPD und AfD liegen mit rund 13 % gleichauf, während die FDP mit etwa 5 % um den Einzug in den bayerischen Landtag kämpfen muss.
Chaos nach dem 1. Juli ?
Das Berliner Tohuwabohu droht im Chaos zu enden. Die Taktiker in den Unionsparteien verspielen viel Vertrauen im Volk, zerdeppern das „Familienporzellan“ und könnten am Ende vor einem Scherbenhaufen stehen. Eine Lösung der Migrantenprobleme ist rein national nicht zu finden. Würde jedes Land in Europa allein handeln und eine Art von „beggar my neighbour“ – Politik betreiben, wäre es mit dem Europa ohne Grenzen, möglicherweise auch mit der EU endgültig vorbei. Die AfD wird davon profitieren: Sie muss nur dem Treiben zusehen und kann sich über den Zulauf frustrierter Wähler freuen. CDU und CSU müssen solche Kollateralschäden vermeiden. Noch gibt es dafür eine Chance. Sonst könnte auch aus Angst vor dem Tode der Selbstmord geschehen. In einigen europäischen Nachbarländern existieren die Schwesterparteien der Union längst nicht mehr – weder in Italien noch in Frankreich.
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