Der frühere Regionalpräsident von Katalonien, Carles Puigdemont, ist vorerst auf freiem Fuß. Gegen Kaution aus der Auslieferungshaft in Neumünster entlassen, lädt er in Berlin zur Pressekonferenz und harrt in der deutschen Hauptstadt auch der Dinge, die in seinem Verfahren folgen.
Nach der aufgeheizten Stimmung, die seine Festnahme in Schleswig-Holstein unter Anhängern und Widersachern bewirkte, bringt das zuständige Oberlandesgericht eine wohltuende Nüchternheit in den Fall. Gerichte sind nicht Handlanger der Politik. Das ist eine Gewissheit, die auch von jenen zu schätzen ist, die Puigdemonts populistische Politik für falsch halten.
Abspaltung und Kleinstaaterei haben sich oft genug und schmerzvoll als Irrwege erwiesen. Der jugoslawische Zerfall mündete in die schlimmsten Kriege und Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die eilige Anerkennung der slowenischen Unabhängigkeitserklärung, die eine Kettenreaktion auslöste, bleibt als Fehlleistung des damaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher in schlechter Erinnerung.
Das katalanische Unabhängigkeitsreferendum, das Puigdemont dem spanischen Recht zuwider durchgepeitscht hat, fand international keinerlei Anerkennung. Er war letztlich eine Provokation der Zentralregierung in Madrid, eine Aufforderung zu Verhandlungen über mehr Autonomie. Doch Mariano Rajoy, Chef der konservativen spanischen Minderheitsregierung, verweigerte jeden Dialog. Er setzte allein auf Staatsgewalt und Justiz, und konnte doch nicht verhindern, dass die Separatisten bei den Wahlen zum Regionalparlament in Barcelona eine Mehrheit erzielten.
Wenn es nach Rajoy ginge, sollten ihm Staatsanwälte und Richter das Problem der unzufriedenen und aufbegehrenden Katalanen vom Hals schaffen. Zahlreiche Regionalpolitiker sitzen in Untersuchungshaft, eine Regierungsbildung kommt nicht voran. In dieser Situation wirkt die Entscheidung des Oberlandesgerichts aus dem deutschen Norden wie ein mahnender Fingerzeig: Für politische Auseinandersetzungen sind Richter nicht zuständig. Sie urteilen unabhängig nach Recht und Gesetz. Und, worüber sich europäische Regierungen wie etwa in Budapest und Warschau zunehmend hinwegsetzen: Das Prinzip der Gewaltenteilung ist konstitutiv für die Demokratie.
Von Gerichtsseite sind daher keine politischen Gefälligkeiten zu erwarten. Vielleicht bringt diese Einsicht den spanischen Regierungschef zur Vernunft. Drei Vorwürfe erhebt die spanische Justiz gegen den 55-jährigen Puigdemont und viele seiner Mitstreiter: Rebellion, Ungehorsam und Untreue. Allein der letzte, die Veruntreuung von Staatsgeldern, wird von der deutschen Justiz aufgrund des Europäischen Haftbefehls noch daraufhin geprüft, ob er eine Auslieferung an Madrid rechtfertigt.
Falls das so ist, bindet die Entscheidung die spanische Justiz. Sie muss den Vorwurf der Rebellion fallen lassen. Ob Madrid unter diesen Umständen das Auslieferungsbegehren überhaupt aufrecht hält, ist fraglich. Eine Verurteilung wegen Untreue wäre nicht der erhoffte Triumph über den katalanischen Politiker, und alle weiteren Verfahren gegen seine Mitstreiter würden fragwürdig.
Die Entscheidung des schleswig-holsteinischen Gerichts im Fall Puigdemont zeigt: Die gemeinsamen juristischen Grundlagen in der Europäischen Union sind wirkungsvoller als gedacht.
Bildquelle: By Convergència Democràtica de Catalunya (Carles Puigdemont), CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons