Juristen als Bundeskanzler – das ist in der Geschichte der Bundesrepublik keine Seltenheit. Auch der jetzige Bundeskanzler Friedrich Merz ist, wie schon sein Vorgänger Olaf Scholz, Volljurist. Beide sind erfahrene Rechtsanwälte und beide drücken sich nicht klar aus, zumindest, wenn man ihre Äußerungen während der Kanzlerzeit in den Blick nimmt. Olaf Scholz wurde als Kanzler Comic-Sprache und fehlender Klartext vorgeworfen. Friedrich Merz steckt gerade in einer „Stadtbild“-Diskussion fest, die er losgetreten hat und die ebenso Klartext vermissen lässt und damit deutungsoffen auch für rechte Hetze und Vorurteile ist.
Das ist erstaunlich, denn von Juristen erwarten wir etwas anderes, nämlich wohl gewählte und klare Worte. Sie kennen schließlich die Bedeutung von Sprache, das Auslegen und die gezielte Verwendung von Begriffen ist ihr Geschäft. Darauf bereitet sie ein langes Studium vor, das Rechtsreferendariat verleiht den praktischen Schliff. Scholz und Merz haben sogar beide als Rechtsanwälte gearbeitet, sie sind also in der rechtlichen Praxis erfahren.
Dennoch sprechen diese Juristenkanzler anders. Scholz und Merz sind gute Beispiele dafür, wie man viel Mühe in nebulöse Rhetorik legen kann. Das mag bisweilen politiktaktisch sinnvoll sein, für Bürgerinnen und Bürger ist es aber offensichtlich unbefriedigend und eine Zumutung, denn sie erfahren nicht, was Sache ist, sondern müssen selbst interpretieren. An der „Stadtbild“-Diskussion ist zu sehen, dass sie dabei zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Während der Juristenausbildung hieß es: Wer das Problem nicht in klaren Worten beschreiben kann, hat es nicht verstanden. Und in der juristischen Praxis ist man noch strenger: bereits die Verwendung des Wortes „beziehungsweise“ in einer Anklageschrift kann man – als unentschieden-nebulöse Beschreibung – kritisch sehen, es gibt nur „oder“ / „und“. Kanzler Merz hat bislang keine klaren Worte in der „Stadtbild“-Diskussion gefunden. Stattdessen: rhetorische Fußnoten in Form von Ergänzungen und nachgeschobene Klarstellungen.
Natürlich dürfen auch Juristenkanzler sprechen, wie sie wollen. Wer allerdings das Handwerk der Klarheit gelernt hat, kann auch gezielt unklar sein. Wenn man es also mit einem Juristen oder einer Juristin als Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin zu tun hat, dann liegt es sehr nahe, dass deutungsoffenes und nebulöses Sprechverhalten kein Versehen, sondern Taktik ist. Unklare Sprache wird so zum Machtinstrument. Wer unklar spricht, hält Optionen offen – rhetorisch wie politisch. Ihre Sprache ist dann nicht Ausdruck von Schwäche oder Hilflosigkeit, sondern ein Werkzeug der Macht. Wohlgesetzte Mehrdeutigkeit schafft politische Spielräume.
Unklare Kanzlersprache scheint im Trend zu liegen. Damit wird Taktik über klare Haltung gestellt. Das ist bedenklich. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass Willy Brandt – trotz der damaligen Probleme, die ich hier nicht minder gering einschätzen möchte – so geredet hat, aber der war ja auch kein Jurist.
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