Lieber rot als tot, empörten sich die Gegner der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Sie waren gegen das Amt Blank, dem Vorläufer des Verteidigungsministeriums, sie waren gegen eine Wehrpflicht, gegen eine Bundeswehr. Das fand alles in den 50er Jahren statt, der 2. Weltkrieg war erst ein paar Jahre vorbei. Nie wieder Krieg! So der Ruf der Gegner. Dabei war die Bundeswehr von Anfang an eine Verteidigungsarmee im Kalten Krieg, geschaffen, damit es gar nicht erst zum Krieg kommt. Der Russe, so hieß das damals, stand ja quasi vor der Tür, in Ostberlin und überhaupt in der DDR. Bonn(der Name stand einst für die Bundesrepublik) sollte, musste seinen Beitrag in diesem Kalten Krieg leisten, käme es zu einer globalen Konfrontation, deren Grenze mitten durch die beiden Teile Deutschlands verlief. Ich erspare mir die Debatte über möglichen Atomeinsatz.
Ich dachte eigentlich, das hätten wir hinter uns. Das mit dem „lieber rot als tot“. Als könnte Fremdherrschaft eine Option sein! Im Fernsehen hörte ich vor Monaten einen jungen Mann, der selbstbewusst sein Nein zum Dienst formulierte: Er werde diesen Staat nicht verteidigen. Mir kam das so vor, als sehe er keinen Sinn darin, notfalls für diesen Staat-wir können das auch gern Gemeinschaft nennen- zu dienen. Mir ist der Staat, in dem ich lebe, etwas wert, den zu verteidigen ich sinnvoll finde. Um auch das klarzustellen: Ich bin Jahrgang 1941, habe nicht gedient, war aber tauglich, bin aber durch den Rost gefallen. Und mir ist bewusst, dass der eine oder andere mir vorhält: Typisch der Alte, muss selbst nicht mehr ran, fordert aber, dass die Jüngeren an die Front sollen.
Letzteres fordere ich bestimmt nicht, weil ich hoffe, dass es gar nicht zum Krieg kommt. Ich bin gegen jeden Krieg, weil Krieg immer tödlich ist, zerstört, Hass fördert und Gräben vertieft, wo doch Gemeinschaft gefragt ist, Zusammenleben und Verständigung erforderlich wären. Aber die Sicherheitslage in Europa ist so, wie sie ist. Und Russlands Putin hat den Krieg gegen die Ukraine angefangen, lässt Bomben und Raketen auf das Nachbarland fallen, hat seine Soldaten ukrainische Frauen vergewaltigen, töten und Kinder entführen lassen. Tag und Nacht werden Dörfer und Städte in der Ukraine bombardiert, wird die Infrastruktur des Landes angegriffen, um den Gegner, der einst ein Bruder und Freund war, zu schwächen, damit er aufgibt und sich Russland unterwirft. Weil Präsident Putin es nicht länger erträgt, dass die einst angeblich so glorreiche Sowjetunion von Leuten wie Präsident Jelzin aufgelöst und Jahre später von US-Präsident Obama als „nur noch eine Regionalmacht“ verspottet wurde.
Friedenspartei SPD
Die SPD, die ja auch eine Friedenspartei ist, hat sich am Anfang schwer getan mit der Wiederbewaffnung. Aber später, mit dem Godesberger Programm, hat die Sozialdemokratie die Wehrpflicht und das damit einhergehende Recht auf Kriegsdienstverweigerung akzeptiert, beides wurde zur DNA der SPD. Große Sozialdemokraten wie Helmut Schmidt und Georg Leber wurden Bundesminister der Verteidigung, auch Hans Apel, Finanzminister im Kabinett von Schmidt, übernahm auf Jahre die Führung der Hardthöhe. Später, als der einstige Juso-Chef Gerhard Schröder zum Bundeskanzler aufstieg, wurde einer der Brandt-Enkel, Rudolf Scharping Verteidigungsminister. Dann musste Peter Struck, Fraktionschef der SPD, ungedient, das nicht leichte Amt des Wehrressorts übernehmen, weil Scharping von Schröder entlassen wurde. Struck war ein beliebter Verteidigungsminister, weil er sich um das Wohl und Wehr der Soldaten kümmerte. Nur kurz durfte Christine Lambrecht in die Chefrolle des Ministeriums im Berliner Bendlerblock schlüpfen, ehe sie Platz für den heutigen Minister der Verteidigung, Boris Pistorius, machen musste. Ich erwähne die Namen der SPD-Ministerin und der SPD-Minister nur, um aufzuzeigen, dass die Sozialdemokratie Verteidigung kann, wie es neudeutsch heißt.
Dass die SPD aber längst mit dem Thema fremdelt, ist nicht von der Hand zu weisen. Mir ist es schleierhaft, dass die Genossinnen und Genossen auch nicht bereit zu sein scheinen, dem Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu folgen. Steinmeier ist ein alter Sozialdemokrat, war unter dem Kanzler Schröder dessen wichtiger Berater, später Kanzlerkandidat, Außenminister im Kabinett von Angela Merkel. Seine Parteizugehörigkeit ruht während seiner Präsidentschaft. Steinmeier hat für ein soziales Jahr plädiert, auch prominente Grüne wie mehrere Landesverbände sind für ein verpflichtendes soziales Jahr für alle. Man würde mit einem solchen Vorschlag das Thema Wehrgerechtigkeit umschiffen können.
Die Haltung der SPD ist unklar. Frei nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Damit schwächt sie aber ihren eigenen Verteidigungsminister Boris Pistorius. Und sie riskiert in einem immer wichtiger werdenden politischen Bereich, nämlich der äußerten Sicherheit, ihre Kompetenz zu verlieren. Glaubt wirklich ein Lars Klingbeil, immerhin Parteichef und Bundesfinanzminister, dass man damit in der EU oder der Nato bestehen kann? Die Wehrpflicht ist angesichts der veränderten Sicherheitslage ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Weil sie unentschieden ist und auch der SPD-Chef nicht über die nötige Autorität und den Mumm verfügt, hat man sich dem Votum der Jusos unterworfen. Das war erbärmlich, weil feige und völlig unpolitisch. Die SPD und ihre Führung beugen sich auch bei diesem Thema einer Minderheit. Es war schon immer ein Fehlschluss der Partei, zu glauben, sie könnte mit der Unterstützung von vielen Minderheiten eine Mehrheit erreichen. Sie ist früher damit gescheitert, sie wird auch jetzt damit scheitern. Die Addition von Minderheiten mag rechnerisch reichen, politisch und gesellschaftlich führt das ins Leere und auf die Oppositionsbänke.
Man kann, wenn man naiv ist, all die Gefahren ignorieren. Man kann einfach weghören, wenn jemand darauf hinweist, dass die USA unter Trump nicht mehr ein verlässlicher Partner sind, uns also militärisch nicht beistehen werden, wenn Putin angreifen sollte. Eher macht Trump einen Deal mit dem russischen Präsidenten. Man kann alles negieren, was in China passiert, es ist ja so weit weg. Und der Streit über das Stadtbild von Friedrich Merz gefällt manchem Demonstranten lieber, man kann dem Kanzler eins auswischen. Dabei brauchen wir ein starkes Deutschland in einem starken Europa, das in der Lage sein muss, sich und uns alle zu verteidigen. Die Debatte läuft.
Abschreckung hat stets gewirkt
Dabei hat Abschreckung immer gewirkt. Selbst ein Willy Brandt, der Kanzler mit dem Friedensnobelpreis und wirklich kein kalter Krieger, hat an einer solchen Politik festgehalten. Natürlich hat er auch immer wieder Signale des Friedens gesendet, nachgefragt, wie es mit der Friedensfähigkeit des starken Nachbarn aussieht. Aber diese Balance trug den Ansatz in sich: man ging vom Schlimmsten aus, damit das Schlimmste nicht passiert. Dazu gehörte eine starke Armee, eine Wehrpflicht. Und das gilt noch heute. Alle Experten warnen davor, dass es so, wie es ist, nicht bleiben darf. Und wenn bis 2027 die gesetzten Ziele beim freiwilligen Wehrdienst klar verfehlt werden, dann greift die allgemeine Wehrpflicht für Männer. Dabei ist klar, dass der Wehrdienst verweigert werden kann, man kann Zivildienst leisten.
Man mag zur Auffassung kommen, dass eine Wehrpflicht oder mindestens die Wiederaufnahme der Musterung in den Augen der Betroffenen als ungerecht empfunden wird. Sicher ist aber eins: dass der Krieg ungerecht ist. Man schaue jeden Abend die Nachrichten und Korrespondentenberichte über den Krieg in der Ukraine, man schaue sich die Bilder des Schreckens an. Das ist die Realität und keine Träumerei. Zumindest solange es einen Diktator im Kreml gibt, mächtig und militärisch gesinnt, seit Jahr und Tag auf Expansionskurs und deswegen auch kriegsbereit, der seine Soldaten in die Schlacht wirft, koste es was es wolle, der sogar Soldaten aus Nordkorea anwirbt und sie an die Front schickt. Die baltischen Staaten und Polen sind die engeren, die nächsten Nachbarn des Präsidenten Putin. Sie sorgen sich zu Recht, weil sie eine Ausweitung des Krieges fürchten. Sie schütteln mit dem Kopf ober der Debatten in der SPD und wundern sich. Denn nicht nur für sie ist klar, dass auch ein Deutschland in Gefahr geraten kann, das in seiner jetzigen Lage kaum verteidigungsfähig ist.
Es ist fahrlässig, jetzt weiter abzuwarten, ob sich genügend Freiwillige melden. Es gehen Jahre verloren, um den dringend notwendigen Aufbau der Bundeswehr voranzutreiben. Experten haben errechnet, dass Russland 2029 militärisch bereit sei. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel warnt: „Die nächsten drei Jahre sind die gefährlichsten.“ Seit 2024 versucht Pistorius, einen neuen Wehrdienst einzurichten. Weit gekommen ist er nicht. „Dabei kämpft man am besten dafür“, schreibt Gustav Seibt in der SZ, „überhaupt nicht in den Kampf ziehen zu müssen.“ Das kann doch nicht so schwer sein.
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