Eins muss man der designierten SPD-Vorsitzenden Bärbel Bas(57) lassen: Mumm hat die Frau aus Duisburg. Kaum im Amt als Bundesministerin für Arbeit und Soziales greift sie ein heikles Thema auf, vor dem sich alle ihre bisherigen Amtskollegen gedrückt hatten: Bas will, dass auch die Beamten, Selbständigen und Abgeordneten Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen. Und sofort hatte sie die üblichen Verdächtigen gegen sich, die Beamten-Verbände. Und der frischgebackene Koalitionspartner, die CDU und die CSU, gingen gleich auf Distanz. Es sind halt in der Mehrzahl ihre Wählerinnen und Wähler, die will man nicht vergraulen. Ich kenne das aus Jahrzehnten. Immer, wenn es um Reformen der Rente ging, trauten sich die jeweils zuständigen Bundesminister nicht an ein solches Heiligtum der Staatsdiener ran. Beamten sollten einen Beitrag leisten, so vor 40 Jahren Norbert Blüm in einem Interview, man wollte hier etwas kürzen und da, aber die grundsätzliche Sache mit „d e m“ Beitrag stand auf dem Index. Nun also Bärbel Bas. Zwar werde eine Kommission ausarbeiten, welche Reformen es bei der Rente geben soll, aber in dem oben erwähnten Punkt sei sie „nicht flexibel“.
Die Frau aus dem Ruhrgebiet blickt auf einen Werdegang zurück, der früher klassisch SPD war: Aufstieg durch Bildung. So hatte es die Ruhr-SPD immer gefordert, die Kinder von Arbeitern sollten auch das Abitur machen und studieren können. Oder wie es eben bei den Kumpel hieß: Unsere Kinder sollen es mal besser haben, sollen mehr verdienen, im Anzug rumlaufen und nicht im Blaumann. So war das in den 60er Jahren. Es war das Motto der SPD, das vor allem die Handschrift von Willy Brandt trug. Die Partei hatte einen riesigen Zulauf, Gegen Ende der 70er Jahre zählte die SPD eine Million Mitglieder, heute sind es nur noch 360000.
Aufstieg durch Bildung. Beispiel Bärbel Bas: Geboren am 3. Mai 1968 in Walsum, was heute zu Duisburg gehört, als Tochter eines Busfahrers und einer Hausfrau. Man wohnt bescheiden, das Kinderzimmer ist zu klein zum Spielen, also spielt Bärbel auf der Straße Fußball, fährt Rollschuh. Das Kind geht zur Hauptschule, die sie 1984 mit der Fachoberschulreife abschließt. Sie will technische Zeichnerin werden, bekommt aber nur Absagen, 80 insgesamt. „Niemand hat mich genommen“, hat sie später mal der „Zeit“ erzählt. „Es hieß in den Absagen, es gebe keine Toiletten für Frauen.“ Also lernt sie an der Berufsfachschule für Technik im benachbarten Dinslaken das Schweißen. Danach schließt sie eine Ausbildung als Bürogehilfin der Duisburger Verkehrsgesellschaft ab.
Damit nicht genug, die junge Frau ist ehrgeizig und fleißig. Also absolviert sie in der Betriebskrankenkasse noch eine Ausbildung zur Sozialversicherungsangestellten, wird nach einer weiteren Fortbildung Krankenkassenwirtin, stellvertretendes Vorstandsmitglied der BKK EVS und schließt ein Abendstudium zur Personalmanagement-Ökonomin an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie ab. Sie wird später Mitglied des Betriebsrates und Arbeitnehmervertreterin im DVG-Aufsichtsrat. 1988 tritt sie der SPD bei.
Man braucht, wenn man von unten kommt, einen langen Atem. Meist fehlt das Geld zu Hause für größere Sprünge. Bei Bärbel Bas zu Hause ist das Geld knapp. Aber das kennt man im Revier, man arbeitet nicht zu knapp, macht Überstunden, Arbeiten, die in der Wohnung oder im Haus anfallen, erledigt man selbst. Die meisten Arbeiter sind handwerklich begabt, man kann fast alles selbst machen. Und man hilft sich gegenseitig, übern Zaun, hieß das damals, wenn der Nachbar mal eben mit anpackte.
Ihr Aufstieg in der SPD
In der SPD beginnt Bärbel wie im Beruf von ganz unten, im Juso-Unterbezirksvorstand Duisburg, wird deren Vorsitzende. Später wird sie Mitglied im Regionalvorstand Niederrhein, Mitglied im Sprecherkreis der Ruhr-SPD. Sie wird Mitglied im Rat der Stadt Duisburg, 2009 geht es nach Berlin, Bärbel Bas gewinnt mit 42,2 vh der Erststimmen das Direktmandat im Wahlkreis Duisburg I. Die Parlamentarische Linke der SPD wählt sie zur Schatzmeisterin, sie wird Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion. 2021 verteidigt sie ihr Bundestagsmandat mit 40,3 vh der Stimmen. Olaf Scholz wird Bundeskanzler. Und Bärbel Bas wird Bundestagspräsidentin, damit rückt sie im Protokoll der Bundesrepublik auf Platz 2 hinter dem Bundespräsidenten aber noch vor den Kanzler. Darauf ist sie stolz, dass sie die erste Duisburgerin ist, die in ein so hohes Staatsamt gewählt worden war.
Die Frau hat es zu was gebracht, sagt man im Revier. Und das als Frau, wird auch gern angefügt. Mit Respekt. Da muss man sich nichts Negatives bei denken. Und aus einer großen Familie mit wenig Geld, mit drei Brüdern und zwei Schwestern. Politik ist damals in ihrer Familie kein Thema. Als sie der SPD beitritt, habe man das mit Eltern „hitzig diskutiert“. Die Familie lebt in einfachen Verhältnissen. Dem „Spiegel“ verriet sie einst: „Wenn die Schuhe kaputt waren, musste ich mit meiner Mutter und meinen fünf Geschwistern zum Sozialamt. Da haben wir die Schuhe einem Sachbearbeiter gezeigt, und der hat entschieden, ob es neue gibt oder nicht.“
Wer so etwas erlebt und durchlebt hat, kennt die Verhältnisse, weiß, wie knapp und eng es damals und auch heute in bestimmten Kreisen zugeht, wo man nicht mit dem Geld rumwerfen kann oder sich mal eben ein neues E-Auto kaufen kann. Oder nach Malle düsen. Eine wie sie weiß, wie schwer es für manche Familien ist, über die Runden zu kommen. Bärbel Bas gilt als bodenständig, geradlinig, ehrlich. Die Frau hat in jungen Jahren Fußball gespielt, sie ist Fan des MSV Duisburg, eines Klubs, der zu den Gründerzeiten der Bundesliga zu den Spitzenclubs in Deutschland gehörte. Man frage mal die älteren Bayern, wie oft sie gegen die Zebras verloren haben. Gerade ist der MSV aus der 4.Liga in die dritte Liga aufgestiegen.
15 Jahre war Bärbel Bas mit dem SPD-Politiker Siegfried Ambrosius liiert, fünf Jahre verheiratet, 2020 starb ihr Mann an einer Infektion. Das Paar hat keine Kinder.
Passionierte Motorradfahrerin
Die Frau ist passionierte Motorradfahrerin, dass sie eine Harley fährt, las ich irgendwo, bestätigt wurde es nicht, ist auch egal. Die Frau wirkt in dem politisch oft überjazzten Berlin so ungemein natürlich. Als Bundestagspräsidentin hat sie sich über alle Fraktionen viel Respekt und Sympathien erworben. Sie wirkt ausgleichend, die Dame, die gern Currywurst isst mit Pommes und Mayo, also klassisch, und die gern Horrorromane liest und Rock- und Punk-Musik zu ihren musikalischen Favoriten zählt.
Sie hat eine angenehme Ausstrahlung, ruhig, aber auch fest. Am Ende der letzten Legislaturperiode, die auch begleitet war von heftigen Auseinandersetzungen, von vielen üblen Zwischenrufen seitens der populistischen und vielfach rechtsextremistischen AfD, ergriff sie als Bundestagspräsidentin noch einmal das Wort und mahnte sie in der letzten Sitzung vor der Wahl im Februar: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird bei allen Herausforderungen an Ihnen liegen, wieder aufeinander zuzugehen und Brücken zu bauen, auch über Fraktionsgrenzen hinweg.“ Kollegialität sei entscheidend für eine erfolgreiche parlamentarische Arbeit. Da ist es fast natürlich, dass Bärbel Bas, die wusste, dass sie ihr Amt als Präsidentin des Bundestags verlieren werde, später an führender Stelle den Koalitionsvertrag mit ver- oder aushandelt. Vermitteln ist eine ihrer Stärken.
Als Bundesministerin für Arbeit wird sie konfrontiert mit den Problemen des Ruhrgebiets, mit den Sorgen der Stahlindustrie, die ja in Duisburg immer noch zu Hause ist. Der Betriebsratsvorsitzende der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann, Marco Gasse, kommentierte hoch erfreut: „Mit Bärbel hat das Kabinett eine starke Stimme für die Stahlindustrie bekommen. Bärbel kennt die Situation der Arbeitnehmer und so soll der Stahl nicht nur Thema im Arbeitsministerium sein, sondern in der ganzen Bundesregierung.“
Sprache der Arbeitnehmer
Und dann wird sie ja im Juni zur Parteivorsitzenden der SPD, neben Lars Klingbeil- gewählt, Saskia Esken hat verzichtet, die Jagd auf sie war unschön. unfair. Mit Bärbel Bas bekommt die angeschlagene Sozialdemokratie eine handfeste Vorsitzende, die die Sprache der Arbeitnehmer spricht, die die Menschen versteht. Dass sie eine Linke sein soll, ist im Grunde gleichgültig. Sie muss die SPD nach vorn bringen, die SPD als Partei, die sich zunächst um alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kümmert, die also, die jeden Morgen zur Arbeit gehen oder fahren, die dafür sorgen, dass der Laden am Laufen gehalten wird. Dass ordentlich verdient wird und am Ende genügend übrig bleibt, dass die Sozialpolitik nicht zu kurz kommt. Auch dafür ist Bärbel Bas gerade die richtige Ministerin.
Sie muss die Nähe zu den Menschen suchen, auf Augenhöhe mit ihnen reden, damit sie ihr vertrauen und der SPD und der gesamten Regierung. Wie hat sie noch gesagt: „Wir müssen uns als gemeinsame Regierung verstehen und uns wechselseitig den Erfolg gönnen. Wenn wir den anderen etwas neiden, haben wir schon verloren. Die Menschen wollen keinen Dauer-Zoff auf offener Bühne. Die SPD sollte nicht versuchen, Ideen der Union auszubremsen, nur weil sie von der Union sind. Und umgekehrt ist das genauso“. Recht hat sie.
Die AfD ist stark geworden im Ruhrgebiet, vor allem die SPD hat viele Stimmen an die Rechte verloren, in Gelsenkirchen wurde die Partei bei den Zweistimmen die Erste. Gelsenkirchen, das Armenhaus im Revier, das unter dem Strukturwandel und den Altschulden leidet. Mit dem Altschuldenfonds könnte es hier eine Besserung geben, es könnte wieder richtige Kommunalpolitik gemacht werden, wenn diese Belastung wegfiele. Darauf setzt Bärbel Bas: „Viele Bürger haben das Gefühl, für mich ändert sich nichts, alles wird eher noch schlechter.“ Das 500-Milliarden-Paket für die Sanierung der Infrastruktur, Straßen, Brücken, Schulen, die Bahn, Gebäude, ein Aufschwung der Wirtschaft und damit eine Änderung der Stimmung, dass es besser werde, aufwärts gehe auch in Gelsenkirchen, Duisburg, Bochum und so weiter. Da ist sie gefragt, gefordert, die ganze Koalition, weil davon der Erfolg der Regierung abhängt, aber auch das Schicksal der SPD, deren Führung sie ab Ende Juni mit übernehmen soll, wenn sie gewählt ist.
Verbotsverfahren gegen die AfD
Die Frau hat Mumm. Im letzten Oktober hat sie gesagt, angesprochen auf ein Verbots-Verfahren gegen die AfD: „Dann muss man dieses scharfe Schwert ziehen“. Gemeint ein Verbotsverfahren seitens des Bundestages beantragen, wenn die Beweise für eine rechtsextremistische Partei vorlägen, das Gutachten des Verfassungsschutzes, das die Belege liefern soll, dass es sich bei der AfD um eine verfassungsfeindliche Partei handelt, um eine Partei, die „aktiv kämpferisch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgeht, dann werde der „Bundestag einen solchen Verbotsantrag beschließen“. Die Demokratie sei herausgefordert, sagte sie gegenüber der „taz“.
Man darf gespannt sein, wie der Bundeskanzler mit ihr auskommt, ob er die gerade Sprache der Frau aus dem Ruhrgebiet versteht. Man darf gespannt sein, ob das Paar an der Spitze der SPD harmoniert. Und typisch Berlin, dass man jetzt schon, da die Frau gerade Ministerin geworden ist, aber noch nicht zur Vorsitzenden der SPD gewählt ist, spekuliert, wer denn Kanzlerkandidat(in) der SPD in vier Jahren wird. Natürlich kann es eine Frau werden, natürlich kann sie Bärbel Bas heißen. Ihr traut man nahezu alles zu, auch den Wiederaufstieg der alten und stolzen Arbeiterpartei SPD.
Bildquelle: Sven Teschke, CC BY-SA 3.0 de