Als ich die Nachricht vom Tod von Klaus Kinkel im Radio hörte, war ich ein wenig erschrocken. Klaus Kinkel tot, das kann doch nicht sein, der war doch nie krank, zumindest nicht für die Außenwelt, fast ein Kerl von einem Baum, ein Familienmensch, zur rechten Zeit lustig, gerade aus und trocken konnte er sein, konnte über sich und andere lachen. Er wurde nur 82 Jahre alt.
Kinkel hatte so gar nichts von der Attitüde vieler seiner Kollegen, die sich selbst gern im Spiegel anschauten und dafür sorgten, dass andere das hohe Lied auf einen anstimmten. Nein, das hatte der Klaus Kinkel nicht, er hatte diesen Hang zur Eitelkeit nicht nötig. Der Mann war beliebt. Wer ihn erlebt hat in Hintergrundgesprächen, war angetan von seiner Offenheit und Direktheit. Er war ein Beamter und doch wurde er fast alles, was einer werden kann in der politischen Arena: BND-Chef, Büroleiter von Hans-Dietrich Genscher, dessen Nachfolger als Bundesaußenminister und FDP-Chef. Kinkel war alles andere als ein Parteimensch, liberal war er, was aber nicht hieß, dass er seine Meinung mit dem Erhalt des Parteibuchs in der Garderobe des Thomas-Dehler-Hauses abgegeben hätte.
Man denke nur mal daran, wie Kinkel Nachfolger von Genscher wurde. Er war eigentlich gar nicht im Gespräch, 1992. Das war Irmgard Adam-Schwaetzer. Auf sie hatte sich der Vorstand der FDP festgelegt, was nicht allen passte. Frau Schwaetzer, wie sie längst wieder heißt nach der Scheidung, war zuvor Staatsministerin im Auswärtigen Amt gewesen, davor Generalsekretärin der Partei, also ordentlich qualifiziert, wenn Sie so wollen hochgedient. Sie war Wohnungsbauministerin, als es zum Schwur kam irgendwo im Langen Eugen, dem Hochhaus am Rhein. Plötzlich gab es Gerüchte, wie das immer so war, wenn die Journalistenschar vor den Türen von Fraktionssälen herumlungerte. Es gebe einen Gegenkandidaten, Klaus Kinkel. Gut, den kannte jeder, aber Außenminister? Der konnte mit Genscher gut, Genscher mochte ihn, alles richtig, aber selber auf den Chefsessel? Und kann passierte die Sensation: Klaus Kinkel hatte gewonnen, Irmgard Adam-Schwaetzer, war die Unterlegene. Ihr Mann war ein gewisser Udo Philipp, TV-Journalist. Er lungerte wie wir alle vor der Tür des Saals. Und als die Nachricht bekannt gegeben wurde, stellte er nur fest: „Dann bleiben wir Wohnungsbauministerin.“ Wörtlich, so war es, ich stand neben ihm. Selten habe ich so gelacht über einen Kollegen, über den man sich eigentlich nicht wundern musste. Ein Beispiel: Bei der Groß-Demo im Bonner Hofgarten gegen den Nato-Doppelbeschluß Anfang der 80er Jahre ritt der TV-Mann Philipp hoch zu Ross, um sich einen Überblick über die Demo zu verschaffen. Bodenhaftung sieht anders aus.
Natürlich war das Thema Kinkel-Adam-Schwaetzer auch am nächsten Morgen das große Thema in allen Medien. In der BILD-Zeitung las man, wie die unterlegene Liberale ihren „Parteifreund“ Jürgen Möllemann mit: „Du intrigantes Schwein!“ beschimpft habe. Und wollte damit klarstellen, dass der umstrittene FDP-Mann aus NRW, der Jahre später bei einem Fallschirmabsprung ums Leben kam oder sich selbiges nahm, derjenige gewesen sein soll, der für die Wahl von Klaus Kinkel gesorgt habe. Dabei war Kinkel alles anders als ein Freund von Möllemann. Wenn der überhaupt Freunde gehabt hat in seiner Partei?! Aber so wurde Kinkel Nachfolger des berühmten Genscher, ohne je dessen Größe oder besser Raffinesse zu erreichen.
Kinkel war ein Energiebündel, sportlich. Er joggte, spielte Tennis, u.a mit Wolfgang Schäuble, bis dieser durch ein Attentat gelähmt wurde. Der Mann war ein Staatsdiener, ein überall geachteter Zeitgenosse, weil er offen war für Gespräche und kein Karrierist. Ein fröhlicher Politiker, der eigentlich keiner war. Der Witze machte über Helmut Kohl, dem er diente, über die FDP, deren Vorsitzender er wurde, dabei war er erst wenige Jahre zuvor der Partei beigetreten. Er galt als Sympathieträger der Liberalen, auch wegen seiner Nähe zu Genscher, der ihn jahrelang gefördert hat. Ein sonniger Schwabe, wie er trefflich beschrieben wird, mit einer Kodderschnauze ausgestattet, die aber nur den erschreckte, der es nicht gewohnt war. Der Vater war ein Westfale, seine Mutter eine Schwäbin, er wuchs in Hechingen auf, in Baden-Württemberg, was man heraushörte, wenn er das wollte. Diplomatie war eigentlich nicht sein Geschäft. Wenn ihn jemand ärgerte, ließ er im Hintergrund schon mal den Satz los, dem würde er am liebsten das Kreuz brechen. Wie gesagt, das darf man nicht wörtlich nehmen. Klaus Kinkel war ein ausgesprochen friedlicher Mensch.
BND-Chef war er, Staatssekretär im Justizministerium und damit Wachhund eines Justizministers, dessen Nachfolger er wurde. Wenn man so will, musste er FDP-Chef werden, es gab niemanden, der es sonst hätte machen sollen. Aber das war kein Amt für ihn. Und als die FDP dann Wahl auf Wahl verlor, wurde die Distanz immer größer, wuchs die Kritik an Kinkel, nach zwei Jahren war es vorbei mit dem Parteiamt. Wobei er hier in guter Gesellschaft war, man denke nur an den FDP-Chef Martin Bangemann, den kaum noch jemand kennt. Kinkel war fast im preußischen Sinne ein Staatsdiener, der sich dann halt in die Pflicht nehmen ließ.
Eine seiner wirklichen Tragödien war der Tod einer Tochter, die im Alter von 20 Jahren bei einem Verkehrsunfall verunglückte. Den Familienmenschen Klaus Kinkel hat das schwer getroffen. Welcher Vater verstünde das nicht!?
Es passt zu ihm und seiner Bescheidenheit, dass die Beerdigung in aller Stille stattfindet. Mit ihm geht ein deutscher Patriot, ein Europäer, ein sympathischer Mensch.