„Überall wo wir hinsehen“ sagte der britische Journalist Paul Mason, würden die Menschen “mit Angriffen auf die Repräsentation, auf die demokratischen Institutionen konfrontiert“. Ob Mason mit seinen Worten in der FAS vom Sonntag dabei an Sozialdemokraten gedacht hat, ist zu bezweifeln. Aber das gibt es auch.
Ein namhafter Sozialdemokrat, Repräsentant einer demokratischen europäischen Institution greift die Repräsentantin eines deutschen, auf demokratischen Wahlen gründenden Verfassungsorgans so an, dass ein radikaler Bruch entsteht. Er schrieb, er werde Ursula von der Leyen „unter keinen Umständen“ seine Stimme geben, wenn die sich im europäischen Parlament als Kandidatin für die Kommissions-Präsidentschaft stelle. Unter keinen Umständen. Er hätte auch schreiben können: Egal was noch passiert.
Geschrieben hat das der Europaabgeordnete der SPD Dietmar Köster, ein beurlaubter Professor.
Man kann das auch auf seiner Homepage (veröffentlicht am 4. Juli) nachlesen. Köster begründet seine kompromisslos ablehnende Haltung wie folgt: „Auch politisch ist sie untragbar, denn eine Entscheidung für sie ist eine Bedrohung für das Europa des Friedens und der Abrüstung. Sie steht für eine neue Aufrüstungsrunde konventioneller und atomarer Waffen. Sie sieht tatenlos zu, wenn der INF-Vertrag, der die Stationierung von landgestützten atomaren Mittelstreckenraketen verbietet, aufgekündigt wird. Geld, das für dringende Investitionen beim Klimaschutz und für den Aufbau einer Sozialunion gebraucht wird, wird bei Frau von der Leyen in die Aufrüstung fließen. Das Parlament darf seine Selbstachtung nicht verlieren und muss sie verhindern. Meine Stimme wird sie unter keinen Umständen bekommen.“
Ursula von der Leyen sei eine „Bedrohung für das Europa des Friedens und der Abrüstung.
Ihr Name stehe für eine neue Aufrüstungsrunde konventioneller und atomarer Waffen.
Sie habe tatenlos der Aufkündigung des INF- Vertrages über ein Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen zugeschaut.
Dringend benötigtes Geld für Klimaschutz und die europäische Sozialunion wolle von der Leyen in die Aufrüstung stecken.
Das europäische Parlament müsse sie verhindern.
Für nichts von dem, was Köster behauptet gibt es einen Beweis. Mehr als Appelle an die INF- Vertragsstaaten USA und Russische Föderation gab es nicht, denn mehr Einfluss hatten Staaten wie Deutschland nicht. Man könnte von der Leyen vorwerfen, dass sie anlässlich der Nato- Beratungen über eine Antwort auf neue Raketen der russischen Föderation erklärte, sie würde nichts ausschließen. Mir ist nicht bekannt, dass die Minister Scholz oder Heil, Giffey oder Maas aufgestanden wären, um der Bundeskanzlerin zu sagen: Frau Bundeskanzlerin, mit einer Kriegstreiberin wie Frau von der Leyen wollen wir nichts zu tun haben, sie ist untragbar. Bitte entlassen sie diese Frau. Und zur Begründung hätten sie darauf verwiesen, dass die Ausgaben der Steuerzahler für die Bundeswehr von 42,25 Milliarden € 2019 auf 43, 85 € 2022 steigen sollen. Es ist auch nicht bekannt, dass Ministerin Schulze vorgetragen hätte, Frau von der Leyen beeinträchtige den Klimaschutz massiv. Und Minister Heil hat offenkundig auch nicht zu Protokoll gegeben, dass die Sozialunion mit Frau von der Leyen nichts Richtiges werden könne. Die Thesen des Professors sind, wie man es dreht und wendet, auch auf die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder gemünzt, die mit Frau von der Leyen zusammen hocken und deren Verhalten zuschauen.
Ich hatte geglaubt, schroffe und unnachgiebige Ablehnung beschränke sich in der SPD auf Antisemiten, Rassisten, erklärte Feinde der Demokratie. Ich habe mich geirrt. Was Köster praktiziert, ist Attacke auf Repräsentation und demokratische Institutionen. Es ist wie ein Rückfall in die Zeit des kalten Krieges. Damals hieß es: Freiheit oder Sozialismus. Nun sagt jemand: Sozialunion und Klimaschutz oder von der Leyen und Kriegsgefahr in Europa.
Ich hatte gehofft, dass solche, die derartiges von sich geben, in der SPD nichts zu sagen haben. Das war Illusion. Es lässt sich mit Blick auf den Professor Köster nur raten: Ist er dumm? Oder hat ihn eine Krankheit getroffen, deren Heilung weder privat noch von der sozialen Krankenversicherung übernommen wird. Sie heißt „Pressegeilheit“. Und gegen die ist bekanntlich kein Kraut gewachsen. Mason formulierte es etwas anders: „In meinen trostlosesten Momenten befürchte ich, dass wir die Kraft zur Aufklärung verlieren könnten.“
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