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Home Politik

Eine deutsch-italienische Travestie

Paul Hugo Suding Von Paul Hugo Suding
3. August 2022
Karambologae

Wenn zur Zeit von italienischer Politik die Rede ist, werden Worte wie Chaos, Krawall, Zirkus, Irrlichtern benutzt, auch von deutschen Journalisten. Selbst für politisch gut Informierte Deutsche ist die Vielfalt offenbar zu groß, um einigermaßen die Vorgänge vor Ort nachvollziehen zu können.

Um einen Zugang zu eröffnen will ich einmal versuchen, die Strukturen, Positionen und Aktionen der italienischen Politik in einem phantasierten deutschen Setting darzustellen. Der Versuch strapaziert auch mein Vorstellungsvermögen. Es kommt dabei eine Travestie heraus. Hoffe daher, dass sie den Leser immerhin zum Schmunzeln bringt.

Stellen wir uns mal vor:

Ein „breites Einvernehmen“ von Parteien hätte Horst Köhler (ehemals Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds, IWF) dabei unterstützt, das Land als Kanzler mit Ministern aus jeder Partei plus parteilosen „Technikern“ durch die Auswirkungen globaler Krisen zu führen und innere Reformen durchzuziehen. Mangels Hausmacht hätte Köhler darauf bestanden, dass die wesentlichen Teile dieser Koalition ihm bei jeder Gesetzesvorlage das Vertrauen aussprächen. Als dies von einzelnen die Regierung stützenden Parteien ausblieb, wäre er, obwohl er ein Misstrauensvotum überstanden hätte, zurückgetreten.

Die SPD wäre noch so ungefähr wie sie derzeit ist, 15 bis 25% Präferenzen bei Wahlumfragen, mit vielen Köpfen, Regionalfürsten, Austritten zur „Mitte“ und nach links, Wiedervereinigungen unter verschiedene Namen:  Olivenstrauch, Margeritenblüte u.a.m. Jetzt hieße sie einfach „Demokratische Partei“. Stefan Weil hätte als vorübergehender Parteichef die Konflikte beruhigt und den Parteivorsitz an Heiko Maas abgegeben, der die breite Koalition unter Köhler unterstützte.

Die CDU wäre vor Jahrzehnten unter der Korruption in sich zusammengefallen.  Ein Bau- und Medienmogul namens B. hätte in den 1990ern eine Partei „Auf geht’s Deutschland“ gegründet und die Reste eingesammelt. (Eine vergleichbare Figur wie B.  in Italien in seiner Geschäftstüchtigkeit, Verschlagenheit, Lebensfreude bis hin zu Lustbarkeit sucht man in Deutschland vergebens:  A.C. Springer passt eher als H. Burda, ist aber nicht mehr unter uns. Unter den Historischen käme Hugenberg infrage, dem aber vermutlich das Lustvolle fehlte.)  Die fiktive Person B. wäre mehrfach in rechtsgerichteten Koalitionen Kanzler gewesen, mit unten beschriebenen „Erste Liga“ und „Brüder Deutschlands“ und sogar in einer mit den Postfaschisten gemeinsamen Partei „Volk der Freiheit“. „Auf geht’s Deutschland – B. Präsident“ steht derzeit in Sonntagsfragen bei ca.8%.  Von B. eingesetzter Vizepräsident und Sprecher wäre Elmar Brok.

FJ Strauß hätte vor Jahren die CSU zu einer separatistischen Bayernpartei gemacht, die Söder jetzt wieder zu einer nationalistischen anti-migrantischen Bundespartei geformt hätte, unter dem Namen „Erste Liga – Söder Kanzler“.  Sie würde unter sinkenden Umfragewerten leiden, läge jetzt bei ca. 15% nach bis zu 34% zur Zeit der Europawahlen 2019.

Peer Steinbrück hätte sich von der SPD getrennt und mit Getreuen die Partei „Es lebe Deutschland“ gegründet und die rot-grüne Regierung gestürzt.  Nachdem er mit parlamentarischer Mehrheit vorher Kanzler gewesen, aber nach einem verlorenen Alleingang zu einem Verfassungsänderungs-referendum zurückgetreten wäre, hätte er sich nicht aus der Politik zurückgezogen, sondern mit ätzenden Sprüchen über Gegner die Auseinandersetzung bereichert.  Nur wenige Wähler (2 bis 3%) würden das gut finden.

Die Linke wäre in noch kleinere Parteien zerfallen.  Einige hätten sich zu einer Wahl-Liste zusammengetan mit ehemaligen bekannten Bundestaatsanwälten und Sitze im Parlament gehalten. Diese Liste unter dem Namen „Freie und Gleiche“ käme in Wahlumfragen auf 3 bis 4%. Der Präsident einer dieser Parteien namens „Artikel 1“  („…. ist eine demokratische, auf Arbeit gegründete Republik“), Fabio de Masi, hätte während der Legislaturperiode in drei Regierungen so erfolgreich als Gesundheitsminister agiert, dass er nach Umfragen dauerhaft zu den am meisten geschätzten Politikern des Landes gehörte.

Die Bündnisgrünen, die aus Friedensbewegten, Umweltgruppen, Politsystem-Gegnern und anderen bestünden, hätten erst eine kürzere Geschichte. Innerparteilicher Demokratiekonflikte, Finanzierungsfragen, Neuorientierung zwischen Fundis und Realos wären noch an der Tagesordnung, oft gefolgt von Parteiaustritten.  Nach dem Konflikt zwischen Parteiführung und Minister über Schwer-Waffenlieferungen an die Ukraine und Köhlers Programm des Zurückschneidens von Hartz IV, Mindestlohn und Investitionsprogrammen, hätte Minister Hofreiter seinen Austritt erklärt und eine pro-Köhler Partei mit dem Namen „Gemeinsam für die Zukunft“ gegründet, in die ihm etwa ein Drittel der Mandatstragenden gefolgt wären.  Geschäftsführer Kellner hätte unter der Ägide von Cohn-Bendit hingegen mit der Partei die basisdemokratische Parteilinie weiterverfolgt. Von der Mehrheit bei den letzten Parlamentswahlen wäre die Partei auf unter 15% und Platz 4 gefallen.

Die post-faschistischen „Nationaldemokraten“ (NPD) wären nie verboten worden oder wie die DNVP und DP untergegangen, sondern   hätten sich institutionell konstruktiv entwickelt, unter anderem den Parlamentspräsidenten oder Minister gestellt. Statt der AFD hätten sie eine Partei „Brüder Deutschlands“ zuerst unter Gauland aufgebaut, sich von den Rechtsradikalen und Identitären erfolgreich abgegrenzt, und wären dann unter Frauke Petry gewachsen.  Die Partei hieße jetzt „Petry Kanzlerin – Brüder und Schwestern Deutschlands“ und hätte – in Opposition zur Köhler-Regierung – steigende Popularität in Umfragen mit bis zu 25% gewonnen.

Die Ex-Republikaner und andere Rechte hätten die DExit-Partei mit dem Ziel des EU-Austritts gegründet, noch ohne Mandate, aber mit 2 bis 3% Zustimmung in Wahlumfragen.

Die FDP hätte sich von dem Auf und Ab der 1990er nie erholt. Sie wäre in kleine Gruppen auseinandergefallen, die in anderen Gruppen wie bei Steinbrücks „Es lebe Deutschland“ andockten. Graf Lambsdorff hätte eine Partei „Aktion“ gegründet und sich mit der europafreundlichen „Mehr Europa“ von Rita Süssmuth verbündet, die mittlerweile auf über 5% der Wählergunst käme.

Es gäbe noch eine kleine grüne/proeuropäische Partei. Diese wäre im Bundestag nicht als solche vertreten, würde aber zum Zweck der Wahl ein Bündnis mit dem überkommenen Teil der Linken eingehen.

Länderpräsidenten oder Bürgermeister wie Kretschmer, Ramelow, Günther, Palmer würden neue Parteien planen oder schon gegründet haben, wie z.B. die Partei „Lasst uns verändern!“.

B., Söder und Petry bildeten immer wieder eine sogenannte Mitte-Rechts-Gemeinschaft. Im Zuge des von ihnen betriebenen Rücktritts Köhlers würden sie sich zusammenzufinden für gemeinsame Listen für die anstehenden Neuwahlen und eine Koalition. B.  verlöre dabei wichtige köhlerloyale Persönlichkeiten seiner Partei. Die internen Kämpfe um die Kanzlerkandidatur begännen.

Lambsdorff, Steinbrück, Hofreiter und andere würden sich positionieren, um die von B.  verlassenen Wähler in der „Mitte“ zu anzusprechen, zu kooperieren und PolitikerInnen zum Eintritt in ihre Parteien zu bewegen.

SPD und die verbliebenen basisdemokratische Bündnisgrünen kündigten ihre strategische Zusammenarbeit auf und suchten jeweils das Gespräch mit linken Kleingruppen, um so auch mit den Elementen von „Freie und Gleiche“ eine strategische Partnerschaft zu bilden.   

Seit den letzten Wahlen hätten knapp 30% der Abgeordneten diejenigen Fraktionen verlassen, für die sie jeweils gewählt wurden. Jeweils die knappe Hälfte, also ca. 13 und 14% der Mandatstragenden wäre einem Anführer in eine neue Partei gefolgt oder zu einer gemischten Gruppe ohne einheitliche Linie gewechselt. Der Rest, etwa 3% aller Abgeordneten hätte schlicht die Partei gewechselt. Für die nächsten Wahlen wäre per Referendum eine massive Verkleinerung des Parlaments durchgesetzt worden.

Noch zum Verständnis: Italien ist kein Bundesstaat. Das Oberhaus, der Senat, wird ganz ähnlich zusammengesetzt wie das größere Abgeordneten Unterhaus. Das Wahlrecht sieht teils Mehrheits-, teils Verhältniswahl vor, für beide Häuser, mit niedrigeren Prozent-Hürden (Sperrklauseln), aber Anreizen für Wahlzusammenschlüsse. Eine Parteigründung kann in kürzester Zeit erfolgen.  Eine ähnliche Travestie könnte man zwischen italienischer und deutscher Medienlandschaft versuchen. Eine solche Persiflage wäre aufschlussreich, zumindest illustrativ, auch für den Einfluss der gesellschaftlichen Machtgruppen. Vielleicht etwas für ein andermal.

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Tags: DemokratieItalienParteienkriseParteienlandschaftPopulismusRegierungskrise
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