Selten so gelacht – kein Vorwurf bleibt denen erspart, die es wagen, zum Thema Mietwucher das Wort „Enteignung“ auch nur auszusprechen. Besonders tut sich dabei der FDP-Vorsitzende Lindner hervor, der unmittelbar den Sozialismus à la DDR heraufziehen, dafür aber die Freiheit von dannen ziehen sieht. In dem Vorsitzenden der Grünen, Habeck, vermutet er einen besonders gefährlichen Gegner des Kapitalismus, weil der mal ins Grundgesetz geblickt hat und es wagte, daran zu erinnern, dass dort Enteignung nicht ausgeschlossen ist. Und deshalb fordert er flugs die Reinigung und Streichung von derartigem Teufelszeug aus der Verfassung.
So viel zum Respekt eines Marktradikalen „Liberalen“ vor den Müttern und Vätern des Grundgesetzes, die damals bei seiner Niederschrift noch in bester Erinnerung hatten, wie harmonisch der Hitlerstaat und das Großkapital miteinander auskamen. Nicht Profit ist nach der Verfassung aber das allein bestimmende Ziel des Wirtschaftens, auch „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“, so heißt es in Artikel 14, und Artikel 15 GG „ermächtigt“ zur Enteignung als „letztes Mittel“, wenn nur so das Wohl der Allgemeinheit erreichbar ist. Im Übrigen sei Enteignung nur zulässig, „wenn sie eine Entschädigungsregelung enthält“.
Lindner macht, ebenso wie die Empörung, die aus dem Unternehmerbereich über die Enteignungsdebatte schallt, klar, wie notwendig es ist, an den Wortlaut des Grundgesetzes zu erinnern. Es ist seit 70 Jahren, mit Beschluss des Parlamentarischen Rates am 8. Mai 1949, und nach der unmittelbaren Erfahrung des Zivilisationsbruchs der Deutschen, auch Grundlage dafür, dass Deutsche wieder in den Kreis der aufgeklärten demokratischen Nationen aufgenommen wurden.
Ob es gelingt, dass Vertrauen zu rechtfertigen, dass Deutschland in Europa gewonnen hat, wird wohl auch daran abzulesen sein, ob das Land siebzig Jahre nach den Verbrechen des Nazistaates die geschriebene und die gelebte Verfassung in Übereinstimmung halten kann.
Nicht nur der FDP-Vorsitzende ist es, der sich die „Entrümpelung“ des Grundgesetzes wünscht, auch die AfD, größte Oppositionsfraktion im Bundestag, würde gern eher heute als morgen Grundgesetz und die demokratische Verfassung des Landes hinter sich bringen. Kein Wunder, dass die demokratischen Parteien von ihr als „Systemparteien“ verachtet werden.
Auch in dieser Debatte ist von den Sozialdemokraten nichts anderes als FDP-Rethorik zu hören. Es geht aber um mehr, als um den dümmlichen Hinweis, dass Enteignung keine Wohnung baut. Wohl wahr, aber sie schützt möglicherweise Mieter vor einer unbezahlbaren Miete. So könnte die SPD vielleicht doch, statt als mutlos und ziellos zu reagieren, sich vor den anstehenden Wahlen aufraffen und sich daran erinnern, was ihr das Grundgesetz auferlegt zum Thema „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Oder wie die Verfassung des Landes Berlin dazu ihren Bürgern verheißt: Das Recht auf angemessenen Wohnraum.
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