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Home Politik

Europa, die Gier und die USA, Teil III

Dieter Puchta Von Dieter Puchta
11. August 2014

Das Versagen der Politik

Die Politik hat zu lange nicht erkannt, dass das, was für die Mikroökonomie die einzelwirtschaftliche Gier für die Makroökonomie die gesamtwirtschaftliche Einkommens – und Vermögensverteilung ist. Es klingt wie eine Ironie der Geschichte, dass sich die Vermögensverteilung in Deutschland gerade zu Zeiten der Rot – Grünen Koalition unter Gerhard Schröder besonders stark zu Ungunsten der Ärmeren entwickelt hat.

Bevor dieses Thema vertieft wird, will ich auf einen gravierenden Fehler der Politik in Deutschland, der jetzt auch noch auf fatale Weise auf ganz Europa übertragen wird, eingehen, der sich erst in der Zukunft (wieder) sehr negativ auswirken wird. Wie schon häufiger in der Wirtschaftsgeschichte hat sich die Politik erneut zur Einführung einer realwirtschaftlichen Wachstumsbremse in Form der sog. Schuldenbremse hinreißen lassen. Aber auch dieses Mal kann man wie stets in der Wirtschaftsgeschichte davon ausgehen, dass diese spätestens bei einer der nächsten großen Unterauslastungskrisen zurückgenommen wird.

Der Unsinn der Schuldenbremse

Feste Schuldenbremsen sind Unsinn, denn die Geldgeschichte lehrt uns: es kommt immer auf die jeweiligen konkreten Umstände an. Wie unsinnig es ist, Schulden prinzipiell als falsch und schlecht anzusehen, erkennt man sofort an mehreren Beispielen.

Einzelwirtschaftlich verschulden sich viele Haushalte sinnvollerweise z.B. für den Bau eine Hauses. Makroökonomisch wissen wir spätestens seit Keynes, dass zur Vermeidung der Liquiditätsfalle staatliche Schulden für eine gewisse Zeit unumgänglich sind. Und um das Schuldenthema geldwirtschaftlich zu verstehen, genügt ein kleiner Blick in eine Bilanz.

In einer Bilanz stehen immer auf der rechten Seite das Eigenkapital und die Schulden, die i.d.R. erheblich höher sind als das Eigenkapital. Auf der linken Seite steht das gesamte Vermögen. Da eine Bilanz immer ausgeglichen ist, entspricht die Höhe der gesamten Schulden immer der Höhe des gesamten Vermögens (in diesem Sinne kann man Eigenkapital als Schulden gegenüber dem Kapitalgeber interpretieren).

Da wir alle Vermögen haben wollen (oder sogar müssen), braucht man – bilanzlogisch – auch gleich hohe Schulden. Ohne Schulden kein Vermögen und ohne Vermögen keine Schulden. So einfach ist das. Da es in der Ökonomie immer um Verteilungsfragen geht, lautet die entscheidende Frage: Wer trägt diese Schulden und wem gehört das Vermögen?

Der Kern des Problems: Die ungleiche Verteilung des Vermögens

Spätestens an dieser Stelle muss man untersuchen, wie sich die Vermögensverteilung in Deutschland entwickelt hat.

Die Ungleichheit in der Einkommens – und Vermögensverteilung hat in den letzten 20 Jahren dramatisch zugenommen. Diese Entwicklung ist nicht nur unter Gerechtigkeitsaspekten kritisch zu sehen, sondern vor allem auch, weil dies eine der Hauptursachen der geringen Binnennachfrage und damit der Finanz – und Wirtschaftskrisen der 90er Jahre war und derjenigen unserer Tage ist.

In Deutschland ist die Einkommensungleichheit seit 1990 stärker gewachsen als in den meisten anderen OECD – Ländern. Mit durchschnittlich 57.300 EUR verdienten die obersten 10 Prozent der deutschen Einkommensbezieher im Jahr 2008 etwa achtmal so viel wie die untersten 10 Prozent (7.400 EUR). In den 1990er Jahren lag das Verhältnis noch bei 6 zu 1, der aktuelle OECD – Durchschnitt ist 9 zu 1. Zum Vergleich: USA 15 zu 1, UK 12 zu 1, Japan 10 zu 1.

An dieser Stelle sei wieder einmal ein kleiner wirtschaftsgeschichtlicher Vergleich gestattet. Im Jahre 1694 erhielt William Paterson, der Direktor der größten Bank der Welt, ein Jahresgehalt von 2000 Pfund und sein Pförtner verdiente 25 Pfund. Er bekam also ungefähr den Faktor 80. Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, verdiente pro Jahr rund 300 Mal so viel wie seine Pförtner. Hier erkennt man, wie sich die Maßstäbe verschoben haben.

Die realen Bruttomonatslöhne vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer sind in 2011 um ein Prozent gegenüber 2010 gestiegen; das reale Lohnplus blieb damit unter dem Produktivitätsfortschritt von 1,6 Prozent in 2011. Die Unternehmens – und Vermögenseinkommen legen hingegen in 2010 um 10,5 Prozent und in 2011 um 1,5 Prozent zu. Bereits vor der Wirtschaftskrise (2006) lag der Anteil der Nettoinvestitionen in Deutschland bei 3,3% und damit bei weniger als der Hälfte des entsprechenden Wertes in den USA und in der restlichen Eurozone. Dieses Niveau hat sich mit gerade einmal 3 Prozent im Jahr 2011 gehalten. Deutschland liegt somit im OECD – Vergleich weit hinten. Eine Tabelle für die Verteilung des individuellen Nettovermögens liegt leider nur für die Jahre 2002 – 2007 vor.

Tabelle 3: Verteilung des individuellen Nettovermögens (Personen in privaten Haushalten im Alter ab 17 Jahren) (Quelle: SOEP; Berechnungen des DIW Berlin 2009)

 

Verteilungskennwerte20022007
Ärmste10%–1,2–1,6
10–20%0,00,0
20–30%0,00,0
30–40%0,40,4
40–50%1,31,2
50–60%2,82,8
60–70%7,06,0
70–80%11,811,1
80–90%19,019,0
Reichste10%57,961,1

Die weltweit zunehmende Verschuldung des privaten und öffentlichen Sektors und die daraus resultierenden Vermögens – und Kreditblasen sind zu wesentlichen Teilen Folge der wachsenden Ungleichheit und Vermögenskonzentration. Der freie Markt generiert nicht genügend Endnachfrage oder anders herum: die Produktionsmenge wächst aufgrund der ungleichen Verteilung schneller als die kaufkräftige Nachfrage. Deshalb wird die Binnennachfrage durch (vom Inland kreditfinanzierte) Auslandsnachfrage ersetzt.

Die Exportfalle

Deutschland befindet sich weiterhin in großer Abhängigkeit von der Auslandsnachfrage. Dies ist kein Problem für ein Einzelunternehmen, also die Mikroökonomie. Für die Makroökonomie ist das leider völlig konträr.

Insgesamt haben im Jahr 2007 über 9,6 Mio. Erwerbstätige in Deutschland direkt oder indirekt ausschließlich für den Export produziert, davon am meisten in den unternehmensbezogenen Dienstleistungen mit über 1,8 Mio. Personen. Im Kraftfahrzeugbau, für den hinsichtlich des Produktionswerts die Exporte eine überragende Bedeutung haben, hängen mehr als 500.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Export ab. Dauerhafte Exportüberschüsse sind jedoch eine wesentliche reale Ursache für die Stabilitätsprobleme innerhalb der EU. Sie bedingen in einem einheitlichen Währungsraum zwangsläufig Fiskaltransfers.

Die Abhängigkeit von der Auslandsnachfrage wird durch die Krisen zunehmend riskanter, da es in Zukunft zu einer stärkeren Abschwächung des privaten Konsums in Ländern wie den USA, Spanien oder Großbritannien kommen wird. Die europaweite Austeritäts-Politik wird Deutschlands Exportpotentiale in der Euro – Zone verschlechtern und zugleich die Abhängigkeit von der Nachfrage aus Asien und den USA weiter erhöhen. Die Nachteile dieser Abhängigkeit bekam Deutschland schon einmal während der Finanzkrise 2008 – 2009 zu spüren, als der Export dramatisch einbrach und maßgebliche Ursache für die Rezession gewesen war.

Deutschland weist im internationalen Vergleich insbesondere seit dem Ende des Vereinigungsbooms eine ausgesprochen schwache Investitionsdynamik auf. Die volkswirtschaftliche Gesamtersparnis übertrifft seit 2002 in hohem Maße die Nettoinvestitionen. Zu den Folgen gehören das Ausweichen ins Ausland mangels inländischer Anlagemöglichkeiten und Investitionen in risikoreiche Anlagen, was zu einem Mitauslöser der Finanzkrise wurde.

Die Nettoinvestitionsquote der Unternehmen lag im Jahr 2009 bei 1,9 Prozent – im Jahr 1991 betrug sie 10 Prozent. Damit ist Deutschland zu einem „Niedriginvestitionsland“ geworden. Die öffentlichen Investitionen wurden so stark heruntergefahren, dass sie nicht einmal den Ersatzbedarf decken, d. h. in vielen Teilen unseres Landes wird die Substanz bereits aufgezehrt. Fiskalpolitische Restriktionen wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie die Schuldenbremse haben die Finanzierung öffentlicher (und darunter insbesondere kommunaler) Investitionen trotz großer Bedarfe erschwert.

Die fast stagnierende Binnennachfrage (insbesondere der private Konsum und die Staatsnachfrage) im vergangenen „verlorenen Jahrzehnt“ (Peter Bofinger) beruht zu einem großen Teil auf stagnierenden Reallöhnen und damit auf der Umverteilung zugunsten von Gewinn – und Vermögenseinkommen. Dadurch wurden Investitionen gehemmt, da es durch diese Politik eine Tendenz zur Unterauslastung der Kapazitäten gab. Damit gehört Deutschland zu den Schlusslichtern bei Investitionen und Wachstum im OECD – Vergleich und schuldenfinanzierte staatliche Investitionstätigkeiten werden aufgrund von Schuldenbremse und EU – Defizitkriterien künftig schwieriger.

In allen weltwirtschaftlichen Systemkrisen zu allen Zeiten und in allen Ländern der Welt war stets ein extremes Auseinanderdriften der Schulden- und Vermögensverteilung die zentrale Krisenursache. Wenn es die Politik nicht schafft, dass die Vermögensverteilung als „einigermaßen gerecht“ empfunden wird, kann es keine Stabilität der Systeme geben.

Die USA als Hauptnutznießer des derzeitigen Systems

Die Politik hat auch in Fragen der internationalen Verteilungsgerechtigkeit wenig geleistet. Die weltweite Ungleichheit hat in den letzten Jahrzehnten nicht ab – sondern zugenommen. Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass die USA auf Kosten des Rests der Welt schon seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse leben. Die USA haben die größte private Verschuldung, die höchste Staatsverschuldung und das größte außenwirtschaftliche Defizit aller Industrienationen. Dieses sog. Tripple – Defizit hätte nach Adam Riese schon längst dazu führen müssen, dass der Dollar gegenüber den meisten Währungen, also auch gegenüber dem Euro, erheblich an Wert hätte verlieren müssen. Dass dies nicht geschieht liegt daran, dass die USA so viel Geld drucken können wie sie möchten und mit diesem gedruckten Geld ihre Auslandsschulden begleichen. Dieses Währungsprivileg besitzt keine andere Nation der Welt. Auch an dieser Stelle sind ein paar geschichtliche Kenntnisse kein Nachteil.

Während der 2. Weltkrieg völkerrechtlich zwischen 1945 und 1990 endete – je nachdem welches Land man betrachtet – wurde der Weltwirtschaftskrieg leider seit 1945 bis heute nicht beendet. Auf der Konferenz von Bretton Woods 1944 wurde der Plan zur Schaffung einer internationalen Clearing Union mit einer supranationalen Verrechnungseinheit vorgestellt ( Keynes – Plan ). Mit diesem Plan sollten die internationalen Leistungs- und Zahlungsbilanzausgleiche bilanziert und alle Länder gezwungen werden, ihre Defizit – und Überschusspositionen in ihren außenwirtschaftlichen Beziehungen auszugleichen. Darüber hinaus sollte die internationale Verrechnungseinheit dafür sorgen, dass die Weltwirtschaft nicht mehr nur von einer nationalen Währung – dem Dollar – und damit der Geldpolitik der USA abhängig ist.

Die USA sorgten jedoch dafür, dass dieser Bancor – Plan abgelehnt und statt dessen der amerikanische White – Plan angenommen wurde, wodurch der Dollar als internationale Leitwährung bis zum heutigen Tage Gültigkeit behielt. Wenn die internationale Politik nicht für eine gerechte internationale Leitwährung sorgt, können sich die USA als einziges Land der Welt weiterhin dauerhaft zu Lasten des Rests der Welt Haushaltsdefizite in allen Bereichen leisten. Dadurch wird sich die internationale Einkommens- und Vermögensverteilung weiterhin ungleich entwickeln und immer wieder die Ursache von neuen Krisen sein. Dies endlich in den Griff zu bekommen, müßte eine der Hauptaufgaben der europäischen Geld – und Wirtschaftspolitik sein.

 

Weiterlesen Teil IV

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