Katharina Reiche hatte einen überraschenden Start. Sie lobte den scheidenden Robert Habeck über den grünen Klee für seine Leistung, als Russland die Ukraine überfiel und innerhalb kurzer Zeit die Gasquellen Russlands absehbar versiegten. Höchstleistung war eines der Worte, die öffentlich fielen.
Mancher Beobachter rieb sich die Augen. Sollte hier etwa eine CDU-Ministerin nicht nur das Haus übernehmen, sondern auch die Politik fortsetzen? Zumindest bei Markus Söder werden die Alarmglocken geläutet haben. Hatte Reiche doch in ein paar Minuten das ganze Habeck-Bashing abgeräumt.
Reiche selbst wird vielleicht über die Resonanz auf ihre Verabschiedung überrascht gewesen sein, was nicht verwunderlich ist – ihre politische Aktivität liegt ja einige Jahre zurück. Sie war nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag 2015 als Hauptgeschäftsführerin des Verbandes kommunaler Unternehmen tätig. Am 1. Januar 2020 wurde sie dann Vorsitzende der Geschäftsführung der E.ON-Tochtergesellschaft Westenergie. Sie kennt also sowohl die Welt der Stadtwerke als auch die der privaten Energiekonzerne.
Jedenfalls war es ihr offenbar wichtig, in den ersten Statements inhaltlicher Art andere Akzente zu setzen, als Habecksche Politik fortzusetzen.
Auf dem Ludwig-Erhard-Forum am Tegernsee kündigte sie an, dass Deutschland Gaskraftwerke in der Größenordnung von 20 Gigawatt braucht, die nun sehr schnell gebaut werden müssen. Das wollte auch Habeck – allerdings nur 10,5 Gigawatt und am besten solche, die später auch Wasserstoff verarbeiten können. Davon hat Reiche nichts verlauten lassen. Die ehemalige Managerin ist dem fossilen Brennstoff Erdgas offensichtlich sehr positiv aufgeschlossen. Das passt zu all denen in Union und SPD, denen die Abkehr vom Erdgas ein Dorn im Auge war. Manche träumen immer noch von günstigem russischem Gas.
Doch zurück zu Reiche. Sie behauptet nun, die Größenordnung von 20 Gigawatt sei notwendig, um etwaige Dunkelflauten zu überbrücken. Und sie fühlt natürlich keinerlei Probleme damit, dass ihrer ehemaligen Branche nun deutlich größere Versorgungsaufträge winken. Sie verweist darauf, dass zukünftig CO₂ abgeschieden und gespeichert werden soll – eine technische Herausforderung, die für die Erreichung der vereinbarten Klimaschutzziele aber unabwendbar ist.
Doch auch in der weiteren Kommunikation schwenkt Reiche auf die Grünen-Hasser-Kommunikation ein. In einem Gespräch mit Table Media kündigte sie an, sie wolle das Verbot von Heizungsanlagen, die vor 1991 eingebaut wurden, aufheben. Das „brächte Ruhe in den Markt“. Interessantes Detail: Die letzte Merkel-Koalition aus CDU/SPD selbst hatte dieses Verbot erlassen. Warum sie nun über 30 Jahre alte Heizungsanlagen weiterarbeiten lassen will, versteht unter den Experten niemand – es sei denn, man setzt sich die Brille eines Energieversorgers auf. Diese Unternehmen machen sich Sorgen über den Wert ihrer Gasnetze. Sollten immer weniger Konsumenten Erdgas abnehmen, werden die Entgelte für die Verbleibenden teurer und treiben dadurch weitere Kunden in die alternativen Wärmeversorgungen. Aus dieser Sicht scheint es sinnvoll, so viele wie möglich Heizungsanlagen im Bestand halten zu können, die Gas verbrauchen.
Gut in dieses Erklärungsmuster passt auch Reiches Ankündigung, dass „der Zwang zur Wärmepumpe“ beendet werden soll. Experten weisen allerdings darauf hin, dass es keinen Zwang zur Wärmepumpe gibt. Im Gebäudeenergiegesetz ist formuliert, dass neu verbaute Heizungen zu 65 % mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen – das ist durch eine Vielzahl von Technologien erreichbar, z. B. auch mit hybriden Lösungen.
Warum Reiche diesen BILD-Zeitung-Jargon benutzt? Warum bringt sie Unruhe in den Wärmepumpenmarkt, der sich gerade erst stabilisiert hat? Der Bundesverband Wärmepumpe meldet gerade gestiegene Absätze, man rechnet mit 220.000 installierten Anlagen am Jahresende. Da diese meist strombetriebenen Anlagen durch private Photovoltaikanlagen versorgt werden, sind sie nicht im Fokus der Energieversorger. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte, dass Reiche es als Fachfrau besser wissen müsse. Die Rheinische Post unterstellt ihr gar Propaganda. Selbst ihr früherer Arbeitgeber, der VKU, schreibt gemeinsam mit anderen Verbänden: „Die im Koalitionsvertrag enthaltenen Formulierungen zur Abschaffung des sogenannten Heizungsgesetzes sorgen für erhebliche Verunsicherung und Zurückhaltung im Markt.“ Das scheint Reiche nicht gelesen zu haben, denn sie vermittelt gerade genau das Gegenteil. Die Frage lautet nun: Alles nur Anfängerfehler, Missinterpretation oder doch ernst gemeinte Politik? Kritiker der neuen Energiepolitik schauen nun flehentlich auf die SPD.
Warum schweigt die SPD?
Dass sich Grüne und Klimaschützer kritisch mit den Äußerungen der neuen Gutenberg-Gefährtin auseinandersetzen, ist selbstredend. In Berlin fragt man sich allerdings, warum sich die SPD in keiner Weise äußert. Will sie so tun, als seien sie an der Ampel-Gesetzgebung nicht beteiligt gewesen? Das Gebäudeenergiegesetz war ein gemeinsames Projekt von Habeck und Ex-Bauministerin Gleiwitz.
Offensichtlich sieht die Klingbeil-Truppe keinen Zuspruch beim Thema Klimaschutz. Sie hat ja auch nichts für Experten wie Robin Mesarosch getan, um wieder in den Bundestag einzuziehen. Und sie will vielleicht nicht gleich mit Koalitionsstreit beginnen – das Aus der Ampel glüht noch im Gedächtnis der Genossen nach. Aber es gibt ja andere Gelegenheiten, der neuen Kollegin Ministerin zu sagen, dass sie auf dem falschen Dampfer sitzt und es am Kabinettstisch eine Partei gibt, die das alles mit verabschiedet hat. Viele erwarten von der SPD , dass sie mäßigend eingreift. Es ist vielleicht gut so, dass darüber nichts zu lesen ist.
Katherina Reiche allerdings hat in wenigen Wochen erreicht, was manche befürchtet haben: Das Wirtschaftsministerium ist anscheinend wieder ein Ort, in dem Lobbyisten auf offene Ohren stoßen.