Friedrich Merz hat es wieder einmal allen gezeigt. Wenn er sich so richtig in Rage gebracht hat, kann ihn niemand aufhalten, dann will er mit dem Kopf durch die Wand. Nicht links, nicht rechts will er gucken, sondern nur geradeaus. Hallihallo! Dann fliegen die Fetzen, da bleibt kein Auge trocken. Dann ist Merz in seinem Element. Schließlich will er Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden und da darf er sich doch nicht von Kompromissen mit anderen demokratischen Parteien ablenken lassen. Warum auch? Die in weiten Teilen rechtsextremistische und demokratiefeindliche AfD steht doch jubelnd bereit und wartet nur darauf, die Kompromisslosigkeit der Merz-Union im Deutschen Bundestag zu unterstützen und für eine parlamentarische Mehrheit zu sorgen. Das hat selbst überzeugte Unions-Anhänger überrascht und fassungslos gemacht. Ihre Partei, die nicht müde wird, von einer Brandmauer zur AfD zu berichten, überwindet diese Mauer und macht gemeinsame Sache mit den Demokratieverächtern, mit den Faschisten in den Reihen der AfD, mit den Verfassungsfeinden, für die der Artikel Eins unseres Grundgesetzes, in dem die Würde des Menschen unveränderbar festgeschrieben ist, nicht zählt und die aus der Europäischen Union austreten, den Euro abschaffen und die NATO verlassen wollen. Selbst hartgesottene CDU-Funktionäre tun sich schwer, dafür Erklärungen zu finden.
Dennoch dürfte der Merz-Alleingang für diejenigen, die ihn näher kennen, keine Überraschung sein. Er ist schließlich so gestrickt. Parlamentarische Regeln haben ihn noch nie interessiert, geschweige denn beeindruckt. Als der Deutsche Bundestag festgelegt hat, dass Abgeordnete ihre Nebenverdienste offenlegen müssen, hat er dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt – und verloren. Danach hat er sich vom Acker gemacht, ist aus dem Bundestag ausgeschieden und hat in der Wirtschaft angeheuert. Dort hat er gut verdient – viel Geld. Das ist sein gutes Recht. Dabei hat er das gemacht, was er in seinem Buch festgehalten hat: „Mehr Kapitalismus wagen“.
Falls jemand in der CDU dieses Buch gelesen haben sollte, dürfte sie oder ihn keineswegs überraschen, was Merz politisch will. Für die sogenannten normalen Leute ist in seiner Vorstellung nur wenig Platz. Die Pflegeversicherung hat er schon bei ihrer Einführung unter der Regie seines Parteikollegen Norbert Blüm wegen der Umlagefinanzierung für falsch gehalten, weil dadurch die „Lohnzusatzkosten“ höher wurden. Das Bürgergeld hält er nicht nur wegen des Namens für falsch, er will die Leistungen radikal beschneiden. Merz will schlicht und einfach besonders in der Sozialpolitik „mehr Kapitalismus wagen“. Das ist sein „Glaubensbekenntnis“, wie Franz Müntefering hier im Blog der Republik kurz und prägnant festgestellt hat.
Friedrich Merz ist dabei, die politische Bandbreite der Volkspartei CDU zu verkürzen und ganz im Sinne seines „Glaubensbekenntnisses“ einzuengen. Als ob die sogenannte Migrationsfrage die bestimmende Größe für die politische Ausrichtung in Deutschland und Europa sein könnte und als ob die wirtschaftliche und soziale Zukunft unserer Gesellschaft auf die Vorstellung von Merz, dass Kapitalismus die Grundlage für alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens ist, reduziert werden darf. Da wäre dann in der CDU für die sie seit ihrer Gründung entscheidend mitprägenden Ideen der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik kein Platz mehr. Merz treibt die CDU in eine fundamentale Zerreißprobe, darüber kann auch der wahltaktisch bedingte Zusammenhalt unter den Funktionären und Wahlkämpfern nicht hinwegtäuschen. In Teilen der Mitgliedschaft und vor allem unter vielen bisherigen CDU-Wählerinnen und -Wählern grummelt und brodelt es heute schon. Die vielen Protestdemonstrationen mit vielen zehntausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern tragen dazu bei, dass der von Merz zweimal nacheinander begonnene Tabubruch, mit der AfD gemeinsame Sache im Parlament zu machen, sich tief ins kollektive Bewusstsein der demokratischen Mitte eingräbt. Auch das wirkt nach.
Besonders in den christlich und liberal geprägten CDU-Kreisen wächst die Befürchtung, dass ihrer Partei eine ähnliche Entwicklung drohen könnte, wie sie Christian Lindner in und mit der FDP eingeleitet hat. Dieser hat die einstmals liberal und sozial beeinflusste Politik der FDP kompromisslos auf eine konservativ-ordoliberale Wirtschaftspolitik eingeengt und damit radikal geschrumpft. Deshalb kommt die FDP nicht auf die Beine. Für nicht wenige in der CDU ist die Lindner-FDP ein abschreckendes Beispiel dafür, wie eine Partei ihre eigene Ausstrahlungskraft so eingrenzen und damit zerstören kann. Sie sind jetzt aufgeschreckt und die sachlich fundierte und schonungslos vorgetragene Kritik der beiden großen christlichen Kirchen am radikal kompromisslosen Migrationskurs der CDU bedrückt sie zusätzlich. Sie ahnen, dass der Merz-Kurs jedenfalls alles andere als zukunftsfähig in einer demokratischen, solidarischen, humanen, sozialen und rechtsstaatlichen Gesellschaft ist, ganz unabhängig vom Wahlausgang.
Angela Merkels öffentliche Einlassung gegen den kompromisslosen Merz-Kurs ist also nicht nur eine direkte Einmischung in die Tagespolitik, sondern ganz offensichtlich von der Sorge getrieben, dass die CDU ihre Fähigkeit als Volkspartei verliert. Hinter ihrer Kritik nur Rachegedanken gegen Friedrich Merz zu vermuten, wird der Sache nicht gerecht. So leicht sollten es die CDU-Spitzen sich nicht machen. Es reift eher die Vermutung, dass Angela Merkel trotz all ihrer Distanz zur heutigen CDU-Spitze viel tiefer in dem breitflächigen Beziehungsgeflecht der Volkspartei CDU verortet ist, als Merz es je war und sein wird. Wie immer die Bundestagswahl auch ausgehen wird, deutet sich bereits heute an, dass Friedrich Merz für die Bedeutung der CDU als Volkspartei nur eine unrühmliche Rolle zukommen wird.
Bildquelle: Pixabay