Konstantin von Notz, Jurist und über die Parteigrenzen hinweg respektierter Bundestagsabgeordneter, war stinksauer – und zwar auf Friedrich Merz. Denn der Neukanzler hatte in einem Interview zum Thema AfD-Parteienverbot erklärt, dies „rieche ihm zu sehr nach politischer Konkurrentenbeseitigung“.
Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums der Geheimdienste, nutzte die Bühne des Bundestages, um seinen Zorn loszuwerden:
„Und dann kam die gestrige Äußerung des Bundeskanzlers: Es röche nach Konkurrentenbeseitigung. Ich halte das, ehrlich gesagt, für eine schwere Entgleisung, meine Damen und Herren. Das Parteienverbot in unserer Verfassung ist eine Konsequenz aus den entsetzlichen Erfahrungen mit der NSDAP, die die Shoah organisierte und dieses Land in den absoluten Untergang geführt hat – die aber selbst in demokratischen Wahlen an die Macht gekommen ist. Und deshalb sind wir, meine Fraktion, entschlossen dafür, dass jetzt alle Informationen und Argumente zusammengetragen werden, damit man einen Antrag in Karlsruhe stellen kann. Das können Sie, Herr Dobrindt, anders sehen. Aber beim Artikel 21 Absatz 2 von einem Instrument der Konkurrentenbeseitigung zu sprechen, ist vollkommen indiskutabel.“
Jedem, der im Geschichts- und Politikunterricht aufgepasst hat, wird geläufig sein, dass ein Parteienverbot eine äußerst seltene und schwierige Angelegenheit ist. Die Hürden sind – nicht zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht selbst – sehr hochgelegt worden. Den Eindruck zu erwecken, das sei alles ganz easy, aber politisch nicht opportun, geht schlicht an der Sachlage vorbei – und fatalerweise bestärkt es die AfD-Argumentation.
Die Frage ist, warum Merz sowie einige andere CDU-Granden so abwehrend argumentieren, wenn es um ein Verbot einer rechtsextremistischen Partei geht. Das Ziel der AfD ist klar formuliert: die Zerstörung der CDU/CSU. Das wäre für sich genommen noch nicht verfassungsfeindlich – aber nebenbei sollen missliebige Punkte Grundgesetz wie im Strafgesetzbuch geschliffen werden. Denn, wie der Verfassungsschutz nun mehrfach festgestellt hat, sind Grundgesetz und Strafrecht für die AfD nicht der Rahmen ihrer Forderungen und Vorschläge.
In Thüringen macht die Höcke-Truppe gerade vor, wie man einen Staat zu erpressen versucht. Sie weigern sich, Richter und Staatsanwälte zu wählen, wenn sie nicht in Ausschüssen und im Landtag Posten erlangen. In Sonneberg, dem ersten Landkreis, in dem ein AfD-Politiker als Landrat auch Chef der Kreispolizeibehörde ist, mehren sich die rechtsextremen Straftaten. Antisemitische, rassistische, homo- und transphobe Äußerungen der Rechtsextremen füllen die Protokolle. An- und Übergriffe auf Politiker*innen links der Mitte mehren sich. Für all das hat der Kanzler und CDU-Chef – so scheint es – nur ein müdes Lächeln übrig.
Er findet die Blaubraunen „unappetitlich“.
Selbst das hat ihn nicht davon abgehalten, noch kurz vor der Wahl mit ihnen zu paktieren, als er ohne Not Gesetzentwürfe in den Bundestag einbrachte, die ohne die Rechtsextremen keine Mehrheit gefunden hätten. Und so fügt sich ein Bild zusammen, das in Berlin von manchen rechten Blättern immer wieder beschworen wird. Leute wie Ulf Poschardt oder Anna Schneider scheinen ja geradezu beseelt, eine Mehrheit rechts der SPD zu suchen. Und da bleibt ja nur die Option AfD – nachdem sich die FDP ins politische Aus geschossen hat.
Letztlich wird es aus dieser Perspektive nur darum gehen, die Häutungen in der AfD voranzutreiben, sodass diese dann irgendwann mal kompatibel wird. Aus CDU-Sicht sind ja Teile der Propaganda bereits übernommen. Es fehlt doch eigentlich nur noch die konsequente Abgrenzung von den Neonazis, den Identitären und den Reichsbürgern. Weniger Straftäter bei Abgeordneten und Mitarbeitern, weniger rhetorische Ausfälle gegenüber Minderheiten, ein bisschen EU- und Euro-Freundlichkeit – und fertig ist die perfekte konservative Koalition.
Und dann darf man wieder alles sagen – gecancelt werden dann nur noch die Linken – und das rechtsnationale Weltbild ist wieder in Ordnung. Gottschalk frohlockt, Nuhr wird langweilig, Steinhöfel, Reichelt, Tichy und andere rechte Influencer machen mit J. D. Vance eine Kommune auf – und Welt, Burda, BILD und Co. weinen der linksgrünen Bubble Krokodilstränen hinterher.
Spass beiseite. Dass diese Fantasien nicht ins Kraut schießen, liegt in der Verantwortung von CDUlern wie Daniel Günther und vor allem Hendrik Wüst, die diesen Weg nicht mitzugehen scheinen. In einem Gespräch des Ludwig-Erhard-Forums sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident sehr klar und deutlich, dass er sehr wohl den Gang nach Karlsruhe befürworte – wenn denn gesichert ist, dass die AfD verfassungsfeindliche Bestrebungen hat.
Auch vor diesem Hintergrund ist die Absage von Merz an ein solches Verbotsverfahren ein Zeichen dafür, dass die beiden wohl kaum mehr eint, als aus NRW zu kommen.