Die aktuellen geopolitischen Verwerfungen sind so groß wie selten zuvor. Die Zahl der politisch unberechenbaren Staatslenker wächst und schürt das Unbehagen.
Die Art und Weise der Kommunikation auf den höchsten politischen Ebenen wirken geradezu befremdlich. Viele Aktionen und Reaktionen sin schier unkalkulierbar.
Das transatlantische Bündnis wird vom US-Präsidenten Donald Trump infrage gestellt. Die EU wurde von ihm als Feind bezeichnet. Mit der Zollpolitik geht der US-Präsident gegen die europäischen Ausfuhren vor.
Vor einem globalen Handelskrieg?
Es droht zu einer Eskalation zu kommen, die nicht nur die Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU betrifft, sondern auch zu starken Retorsionen der Weltwirtschaft und des Welthandels führen könnte – insbesondere weil die amerikanischen Maßnahmen vor allem auf die VR China zielen. Zugleich wirft der US-Präsident den Mitgliedern der Euro-Zone Währungsmanipulationen vor, nämlich eine gezielte Abwertungspolitik, um mit einem niedrigen Euro-Kurs in Relation zum US-Dollar die Exporte aus den europäischen Ländern zu verbilligen und wettbewerbsfähiger zu machen. Umgekehrt würden die US-Exporte in Richtung europäische Märkte teurer und weniger wettbewerbsfähig.
Die Attacken des US-Präsidenten richten sich schließlich auch gegen die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB): Mit der Nullzinspolitik würde die EZB den Euro-Kurs dezenter manipulieren und so den Wechselkurs zum US-Dollar absenken.
Schließlich attackiert der amerikanische Präsident – wie auf dem jüngsten NATO-Gipfel – einige EU Staaten, allen voran Deutschland, dass sie sich nicht ausreichend in der Sicherheitspolitik engagierten und mit ihren Ausgaben für die Verteidigung weit hinter dem blieben, was einst in Wales zugesagt worden sei.
Bruch der transatlantischen Freundschaft
Das jüngste Treffen von Trump mit dem Präsidenten Putin in Helsinki fand ohne vorherige Konsultationen mit den EU-Partnern statt. Auch nach dem Treffen Trump-Putin wurden die Europäer nicht über die Themen, Ergebnisse des Gesprächs usw. vom Weißen Haus informiert. Ähnlich war es nach dem Treffen von Trump mit dem Führer von Nordkorea, über das der US-Präsident nur mit dürren Worten per Twitter informierte. Bei all diesen Tweets präsentiert sich der Herrscher im Weißen Haus als großer und erfolgreicher Dealmaker. Oder er nutzt dieses Medium, um heftige Attacken in die Welt hinaus zu posaunen – wie etwa gegen den Iran. In seiner Kurznachricht an Präsident Hassan Ruhani warnte Trump vor jeder Bedrohung der USA und kündigte Konsequenzen von der Art an, „wie sie wenige zuvor in der Geschichte erleiden mussten“. Im Mai dieses Jahres hatte der US-Präsident das Atomabkommen mit dem Iran bereits als den „schlechtesten Deal aller Zeiten“ gekündigt.
Fazit: Das einst enge und freundschaftliche Verhältnis zwischen den USA und der EU liegt in Scherben. „America first“ bedeutet offenbar, dass die US-Regierung derzeit keine Freunde in Europa kennt, sondern nur noch den absoluten Interessen des Präsidenten folgt. Der Widerstand ist zwar zu vernehmen, doch relativ schwach: vor allem die Republikaner, die in beiden Häusern über die Mehrheit verfügen, setzen auf Donald Trump mit Blick auf die im Herbst anstehenden Wahlen.
Die EU – der schlafende Riese
Seit ihrer Gründung im Jahre 1958 war die Europäische Gemeinschaft nicht so stark gefordert wie derzeit – und zwar auf nahezu allen Feldern der Politik.
Kein europäischer Staat wird mit einer rein nationalen Strategie die schwierigen Probleme lösen können: Das gilt für die Außenhandelspolitik, für die Bewältigung der Migrationsprobleme, für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, für den Umweltschutz, die Digitalisierung, für die Außenpolitik und vieles mehr.
Die EU muss deshalb die Beziehungen ihrer Mitgliedsstaaten vertiefen und nach dem Ausscheiden Großbritanniens einen Pakt größter Solidarität schließen.
Die Gemeinschaft der 27 ist immer noch mit rund 470 Millionen Einwohnern wirtschaftlich stark genug, um manche Probleme zu lösen. Die EU ist immer noch die größte Wertegemeinschaft der westlichen Welt. Die EU muss indessen deutlich machen und sich bewusst werden, was auch außenpolitisch Europas größtes Interesse sein muss. Eines dieser Ziele sollte eine Stabilisierungspolitik in Nordafrika und im Nahen Osten sowie eine kohärente Afrika-Strategie sein. Denn von dort kommen inzwischen die meisten Migranten nach Europa. Dort sind die Nester der gefährlichen Terroristen. Niemand kann im übrigen einen Krieg zwischen Israel und den Verbündeten Syrien und Iran ausschließen; auf den Golan-Höhen herrscht derzeit bereits eine gefährliche Spannungslage.
Auf der Suche nach neuen Partnern
Die EU bemüht sich seit einiger Zeit schon um politische und wirtschaftliche Verbesserungen mit anderen Mächten. Das gilt insbesondere für die Beziehungen zur Volksrepublik China . Die jüngsten Konsultationen zwischen der EU und China verliefen außerordentlich positiv, zumal die Chinesen gemeinsam mit den Europäern den internationalen Freihandel verteidigen wollen. Richtig ist, dass die EU auf Reziprozität pocht, wenn es um Investitionen, Firmenbeteiligungen, öffentliche Ausschreibungen usw. geht. Die ersten Erfolge dieser EU-Strategie zeichnen sich ab: Deutsche Firmen – BMW und die BASF – können demnächst die Mehrheit an Fabriken in der VR China übernehmen. Chinesische Firmen investieren stark in Ländern der EU – insbesondere in Deutschland wie zum Beispiel in eine große Fabrik für Elektro-Batterien für Automobile in der Nähe von Erfurt. Wichtig ist, dass die EU möglichst bald das Investitionsschutzabkommen mit der VR China unterzeichnen kann. Das jüngst vereinbarte Handelsabkommen der EU mit Japan – wie zuvor schon mit Kanada – ist ein nicht zu unterschätzender Erfolg.
Die EU muss zudem ihr Verhältnis zu Russland neu justieren. Dabei dürften nach wie vor die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und der Konflikt in der Ost-Ukraine die schwierigsten Probleme darstellen. Auf der anderen Seite streben einige europäische Staaten strategische Kooperationen mit Russland an und wollen die Zusammenarbeit noch ausbauen: Deutschland will gemeinsam mit Russland das Gasgeschäft intensivieren und dazu das Milliardenprojekt Nord Stream II realisieren; die Pipeline führt von Russland direkt nach Mecklenburg-Vorpommern.
Hohe Priorität für eine EU-Sicherheitspolitik
Einige EU-Mitgliedsländer machen mehr oder weniger offensiv Front gegen die geltenden Sanktionen, die gegen Russland verhängt worden sind. Hier muss die EU eine gemeinsame politische Lösung für die Zukunft finden. Mit Blick auf China und Russland muss indessen deutlich bleiben, dass die EU für Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte steht, also Werte vertritt, die in Moskau und Peking nicht obenan rangieren.
Zudem spielt der Sicherheitsaspekt für Europa im Verhältnis zu Russland eine eher wieder größere Rolle. Gewiss, die Russen wollen wohl auch keinen Krieg. Doch gerade die baltischen Staaten und Polen fühlen sich bedroht. Die EU muss sich sicherheitspolitisch rüsten und ihre Position wesentlich verstärken. Denn sie kann nicht mehr fest darauf vertrauen, dass die USA als die befreundete Schutzmacht Europas zur Verfügung steht. Der Aufbau einer Europäischen Verteidigungs-gemeinschaft wurde bereits begonnen; so wird es einen Verteidigungsfonds für gemeinsame europäische Waffensysteme geben, um die bisherige Zahl von 170 Systemen in der EU auf etwa 50 zu reduzieren und so zu größerer Effizienz zu kommen. Auch ist ein gemeinsames Kampfflugzeug in Planung – etwa nach dem Muster von Airbus.
Die Bundeskanzlerin hat wiederholt darauf hingewiesen, dass „wir uns nicht mehr auf die USA verlassen können“. Europa muss deshalb seine Rolle in der globalen Ordnung bald finden. Dies bedeutet, dass die EU im 21. Jahrhundert eine wesentlich stärkere politische und militärische Rolle spielen muss. Das heißt: Das ist nicht gegen die NATO gerichtet. Aber notfalls muss die EU auch ohne NATO – und damit auch ohne die USA – operieren können.
So gesehen befindet sich die EU in einem Transformationsprozess auf vielen Feldern – politisch, wirtschaftlich usw. Die Verschiebung des Ordnungsrahmens in der Welt stellt die EU vor neue große Herausforderungen, aber eben auch vor neue große Chancen.
Die junge Generation: Pro EU
In der Tat haben sich die Chancen für die EU erhöht, die zum Teil sklerotischen Entwicklungen zu überwinden. Vor allem bei jungen Europäern (16 bis 26 Jahre alt) setzt man wieder stärker auf die EU: 71 % würden bei einem Referendum in ihrem Heimatland gegen einen Austritt aus der EU stimmen, so lautet das Ergebnis der Jugendstudie 2018 der TUI-Stiftung. Die Terrorismusbekämpfung wird als wichtigste Aufgabe der EU angesehen. Allerdings vertraut nur jeder 3. junge Europäer den EU-Institutionen wie dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission; in Deutschland sind es auch nur 37 %. Die Zustimmung zur EU als Ganzes ist im letzten Jahr von 61 auf 71 % gestiegen. Für einen Austritt aus der EU votieren nur noch 15 % (2017: 21 %). Die meisten EU-Befürworter leben in Spanien: 85 % sind es dort, in Deutschland 80 %, in Italien 71 % und in Frankreich 69 %.
Zu den wichtigsten Aufgaben der EU zählen die Jugendlichen das Wirtschafts-wachstum und den Abbau von sozialer Ungleichheit, aber auch der Kampf gegen den Terrorismus sowie den Klima- und Umweltschutz. Zwar bewerten 58 % der jungen Europäer die Demokratie als grundsätzlich beste Staatsform, doch wird von vielen Bedarf für Änderungen gesehen.
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