Jetzt ist in Sachen Brexit wieder alles möglich. Die britische Premierministerin hat die entscheidende Abstimmung im Unterhaus in letzter Minute abgesagt. Das von Theresa May mit der Europäischen Union ausgehandelte Austrittsabkommen wäre im Parlament glatt durchgefallen, und zwar so krachend, dass auch eine Wiedervorlage im Januar keine Option mehr gewesen wäre. Ein Festhalten an dem Abstimmungstermin hätte Mays Scheitern besiegelt.
Die Opposition hat der konservativen Regierungschefin Feigheit vorgeworfen. Tatsächlich hat Theresa May nur Einsicht in die Realitäten gezeigt. Ihre Niederlage drohte zu einer gründlichen Blamage zu werden. Mindestens hundert Abgeordnete aus dem Regierungslager wollten dem Vernehmen nach mit Nein stimmen: die Torys, die den Brexit nicht wollen, die Torys, die ihn rigoroser wollen, und die Unionisten der DUP, die May seit den vorgezogenen Wahlen 2017 als Mehrheitsbeschaffer dienen.
May ist es nicht gelungen, ihre Gegner umzustimmen. Das Lager der Neinsager ist im Gegenteil noch gewachsen, seit die Premierministerin mit dem über 500 Seiten schweren Abkommen aus Brüssel zurückgekehrt ist. Nun will sie dort nachverhandeln, doch die EU-Kommission zeigt ihr die kalte Schulter. Das „beste Abkommen“, wie May es ihren Landsleuten selbst angepriesen hat, wird nicht wieder aufgeschnürt. Soll heißen: Der Brexit, der am 29. März 2019 vollzogen wird, folgt mit diesem Vertrag oder keinem. Oder gar nicht?
Just an dem Tag, da May die Brexit-Entscheidung von der Tagesordnung des Parlaments nahm, verkündete der Europäische Gerichtshof, dass ein Exit vom Brexit weitaus unkomplizierter wäre, als angenommen. Es genüge, so entschieden es die Richter, eine einfache Erklärung der Briten, und der Brexit wäre erledigt. Eine Zustimmung der EU-Mitgliedsländer sei dazu nicht nötig.
Das ist eine durchaus überraschende Entscheidung, weil sie die Befürchtung nährt, dass Mitgliedsländer die Austrittserklärung in Zukunft leichtfertig und als Druckmittel nutzen könnten. Für den Moment aber fügt sie den vielen Varianten zum Fortgang des britischen Dramas eine weitere hinzu. Eine einfache Rücknahme der Austrittserklärung ist zunächst jedoch die unwahrscheinlichste.
Ein Sturz der konservativen Regierungschefin ist noch immer Gegenstand vieler Spekulationen. Mays Rücktritt wird nicht mehr ausgeschlossen. Neuwahlen, wie sie die sozialdemokratische Labour-Party unter Jeremy Corbyn anstrebt, sind ebenso denkbar wie ein zweites Brexit-Referendum. Das hat May allen neuen Umfragen und wachsenden Protesten gegen den EU-Austritt Großbritanniens zum Trotz bisher kategorisch abgelehnt. Jetzt jedoch hat sie kaum noch Handlungsspielraum. Es bleibt spannend.
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