Gibt es eigentlich eine besondere Zeit der Abschiede? Ist es nicht so, dass, wenn man älter wird, mehr Termine hat, die mit Abschied zu tun haben, mit dem Tod, mit Trauer? Aber andererseits muss jeder mal Abschied nehmen, gleich, ob er jung oder alt ist, wie lange sein Leben dauert. Täglich kommt ein neuer Mensch irgendwo auf die Welt, Millionen werden es sein, täglich verlassen Millionen diese Erde. Jeder kennt das, Abschied, Tod gehört zu jedem Leben und doch empfinden wir es als Trauer, wenn die Mutter stirbt oder der Vater, wenn die Schwester stirbt, die Oma, ein guter Freund. Und wie oft trauern wir, wenn wir vom Tod eines Menschen erfahren, den wir näher kennen, und sagen dann: Warum er, warum so früh? Und wir lesen dann in Nachrufen oder Todesanzeigen, dass wir diesen oder jenen Zeitgenossen nie vergessen werden.
„Zeit der Abschiede“ nennt Klaus Brinkbäumer(58), ehemaliger Chefredakteur des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, sein neues Buch, das die Unterzeile hat: „Sieben Jahre des Loslassens und Wiederfindens“. Es ist ein bewegendes, berührendes Buch, das ich als Leser quasi durchfliege, weil es so spannend ist, persönlich, weil man selbst sich wiederfindet. Sein eigenes Leben läuft wie ein Film an einem vorbei, wenn man Brinkbäumer liest. Wobei, das sei gesagt, so einfach ist das Buch auch nicht zu lesen, weil er immer wieder Menschen, Kollegen, Künstler, Literaten zitiert, die nicht jedem geläufig sind. Aber das muss man ertragen, der Autor hat eben in Teilen der Welt gelebt, in Manhattan in bester Lage über der Weltstadt zum Beispiel, die eben nicht jeder kennt.
Weltläufig, aber nicht arrogant
Das ist weltläufig, ja, aber nicht arrogant, Brinkbäumer hat halt viel erlebt und viele Menschen kennengelernt, was ihn geformt hat. Dabei kommt er aus Hiltrup, einem Stadtteil von Münster, ein Platz, der in seinem Buch ziemlich viel Raum einnimmt, er hat dort wie andere Kinder auch Fußball gespielt, ist Fan von Preußen Münster, einem Klub, der zu den Gründungsmitgliedern der Fußball-Bundesliga gehört und der heute in der 2. Bundesliga spielt. Als Schalke-Fan weiß man das, kennt sich aus mit dem Auf und Ab im Fußballsport, Brinkbäumer bleibt auch in New York Fan der Preußen wie andere immer Schalker bleiben oder Borussen.
Das Buch beginnt mit dem Tod der Mutter und dem Unverständnis des Sohnes darüber, dass der Vater ihn nicht rechtzeitig über den nahenden Tod der Mutter informierte, weil Klaus Abschied nehmen, die Hand der Sterbenden halten wollte. Geht es nicht jedem Kind so, weil es die Mutter geliebt hat, die ihm geholfen, ihn immer unterstützt hat, egal, was es anstellte. Der Verlust der Mutter trifft jedes Kind. Klaus hat das Glück, in einem geborgenen Elternhaus aufzuwachsen, inmitten gebildeter Eltern, der Vater Gymnasiallehrer, belesen, gebildet, ein beliebter Erzieher, wie man im Buch lesen kann. Auch Sohn Klaus liebt den Vater, er spricht von einem warmen Gefühl, wenn er an ihn denkt.
Man denkt unmittelbar an die eigene Kindheit, die viel bescheidener war, das Geld war knapp, man musste bei uns zu Hause schauen, dass man über die Runden kam. Wir waren sieben Personen, die Eltern, drei Mädchen, zwei Jungs, lebten in einer Vier-Zimmer-Wohnung mit Ofenheizung. Gehungert haben wir nie, aber die Zeiten im Ruhrgebiet und anderswo waren nach dem Krieg halt so, wie sie waren und vielen erging es nicht anders. Man war deshalb nicht unglücklich. Mein Vater war ein Elektriker, beschäftigt bei der VEW, meine Mutter arbeitete im Lohnbüro der Zeche Emscher-Lippe, sie konnte gut rechnen und machte meinem Vater die Abrechnung. Er durfte nach einem Berufsunfall nicht mehr auf die Masten klettern, damit das Münsterland verstromt wurde, sondern wurde in den Innendienst versetzt, um die Zähler abzulesen. Eine Arbeit, die nicht immer angenehm war, weil manche Kunden das Geld für den Strom nicht parat hatten und sich weigerten, dem VEW-Mann den Weg zum Zähler im Keller des Hauses freizumachen.
Ein privilegiertes Leben
Brinkbäumers Lebensstil war gewiss privilegiert, er war immer abgesichert, seine Eltern begleiteten sein Leben sehr lang, erst als er in den eigenen 50ern ist, verliert er sie im hohen Alter. Als Journalist legt der Mann eine steile Karriere hin, pendelt zwischen New York- dort ist er Korrespondent des Spiegel- und Hamburg, nach der Spiegel-Zeit arbeitet er als Programmdirektor des MDR, er gewinnt Preise, darunter den Egon-Erwin-Kisch-Preis sowie den Henry-Nannen-Preis, 2016 wird er Chefredakteur des Jahres. Ein außergewöhnlicher Journalist, der seit seinem Studium an der University of California in Santa Barbara den USA eng verbunden ist.
Abschied, Trauer, Neubeginn, jeder von uns hat das schon mal erlebt. Und in dieser Reihenfolge muss das Leben eben nicht traurig sein, kann man den Abschiedsschmerz verdauen, weil es ja weitergeht, etwas Neues kommt. Es ist berührend, wie der Autor bewegt das eigene Baby auf dem Arm trägt, sein Aufwachsen erlebt und beschreibt, die Liebe des Vaters zum Kind. Was gibt es Schöneres! Dabei ist das Leben voller Geschichten, mal schöner, mal trauriger. Immer gibt es irgendwo und irgendwann Brüche, wir alle kennen das, haben das erlebt, kennen Krankheiten, die man überlebt, wissen von Freunden, die früh gestorben sind. Nichts bleibt, wie es ist, jeder Menschen kann darüber berichten, von den eigenen Fehlern, die man doch macht, um daraus zu lernen. Aber es kann genauso anders kommen, ein Absturz, eine Leere, ein Scheitern, ein Wiederaufstehen. Ja, man braucht Glück im Leben, das nicht immer die Geschichte eines unendlichen Aufstiegs ist, sein kann.
Das alles beschreibt Klaus Brinkbäumer in einem atemberaubenden Stil, der den Leser gefangen hält, weil er sich erkennt in den Erzählungen des Autors und man sich fragt: Wie war das eigentlich bei mir, mit dem frühen Tod des Vaters und dem zum Glück längeren Leben der Mutter? Wie haben sie das alles hingekriegt, das Studium zweier Söhne? Mein älterer Bruder wurde Lehrer, (war passionierter Läufer, als 17jähriger der schnellste seines Jahrgangs in Deutschland über 1000 Meter), ich wurde nach dem Geschichts-Studium Journalist. Natürlich war ich traurig, als er starb vor einem Jahr mit 90. Aber das ist normal. Geredet wurde über ihn, weil er im Leben einiges erreicht hat. Man frage die fünf Kinder.
Trump kann den Western zerstören
Brinkbäumer lässt die Erschütterungen der Welt nicht aus, das wäre auch nicht ehrlich, er streift die Veränderung Amerikas, Trumps autoritäres Regieren, das den Westen zerstören kann, mit Trump kann die Demokratie unter den Hammer geraten, ausgerechnet in Amerika. Und was wird auf uns noch zukommen, was wird aus der Ukraine, macht Putin so weiter, werden wir nach all den Jahrzehnten des Friedens und des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg wieder Gefahr laufen, in einen Krieg zu geraten? Abschied nehmen vom Frieden?
Das Buch hat mich persönlich berührt, weil es tiefgründig ist, wissend. Es ist ein lesenswertes Werk, das einen nicht traurig stimmt, aber nachdenklich. Abschied gehört zum Leben wie die Geburt und der Tod, Abschied geht jeden an, Sie, wir, alle.













