Ein letztes Mal wird sich Theresa May den Fragen der Abgeordneten im britischen Unterhaus stellen. Für gewöhnlich geht es in der Befragung recht turbulent zu. Doch an diesem Mittwoch sind an sich keine Fragen mehr offen. Die Regierungschefin ist Geschichte. Nach drei Jahren im Amt tritt sie noch einmal zu einem Statement vor die schwarze Tür ihres Amtssitzes in Number 10 Downingstreet, danach geht sie zur Queen, um ihren Rücktritt als Premierministerin einzureichen. „Ich gehe voller Dankbarkeit dafür, dass ich die Chance hatte, dem Land zu dienen, das ich liebe“, hatte sie bereits bei der Ankündigung ihres Abgangs gesagt.
Viel mehr kann da nicht kommen, viel mehr wird auch kaum bleiben. Eine Amtszeit allein im Zeichen des 2016 per Referendum beschlossenen Austritts aus der Europäischen Union. Theresa May, die sich drei Jahre lang mühte, den Brexit zu liefern, ist gescheitert. An ihrem Hochmut, an ihrer Halsstarrigkeit, vor allem an den Widersachern in der eigenen Partei. Doch wer das klägliche Versagen tragisch nennt, übersieht ihr Wirken in sechs Jahren als Innenministerin. Mit ihrer einwanderungsfeindlichen Politik hat auch sie den Boden für die rechtspopulistische und nationalistische Brexit-Kampagne genährt.
Die Geister, die sie rief, lasten bis heute schwer auf dem Land. Der mit der Europäischen Union ausgehandelte Austrittsvertrag fiel im Parlament dreimal durch. Durch die Bevölkerung geht ein Riss. Umfragen legen nahe, dass eine Mehrheit heute für den Verbleib in der EU stimmen würde, doch eine zweite Volksabstimmung war bislang keine Option. Die Premierministerin setzte stoisch auf das Votum, das auf Lügen und europafeindlicher Propaganda basierte. Sie machte sich das Ergebnis einer niederträchtigen Kampagne auch dann noch zur Pflicht, als die dramatischen Risiken offenbar wurden. Nicht ihrem Land hat sie gedient, sondern den Macht- und Profitinteressen jener Kreise, die sich nun die Hände reiben.
Denn was nach May kommt, verschlimmert die Sache. Sonntagnacht endet die Urwahl in der konservativen Partei, die über Mays Nachfolge entscheidet. Nach vier Wochen innerparteilicher Kampagne zweifelt wohl niemand daran, dass eine haushohe Mehrheit der rund 160.000 Mitglieder für Boris Johnson gestimmt haben wird – jeder Vernunft zum Trotz. Außenminister Jeremy Hunt galt schon nach der Vorauswahl der Kandidaten in der Tory-Fraktion als chancenlos. Er stellte auch keine inhaltliche Alternative dar. Beide versprachen den Brexit um jeden Preis bis zum 31. Oktober, zur Not ohne Austrittsvertrag mit Brüssel.
In Stilfragen allerdings hebt Hunt sich von Johnson ab. Und wenn der Seriösere, Verlässlichere, Bedächtigere von beiden an der Basis der konservativen Partei keine Chance hat, sagt das viel über die Stimmungslage aus. Nach den schweren Wahlschlappen und dem Erfolg der Brexit-Partei von Nigel Farage setzen die Parteimitglieder offenbar auf einen Populisten, der vielfach mit dem US-Präsidenten Donald Trump verglichen wird, der es mit Fakten und der Wahrheit nicht so genau nimmt, der provoziert und pöbelt und das genaue Gegenteil eines verantwortungsbewussten Politikers verkörpert.
Großbritannien werde es, schrieb ein britischer Kommentator dieser Tage, nun wohl eher mit einem Chaplin als mit einem Churchill zu tun bekommen. Der Vergleich hinkt gewaltig und tut überdies Charlie Chaplin unrecht. Doch die Befürchtungen, die sich an einen Premier Boris Johnson knüpfen, sind erheblich. Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke haben ihre Rücktritte angekündigt für den Fall, dass Johnson Dienstag als Sieger verkündet wird. Das Unterhaus hat Vorkehrungen getroffen, damit er nicht etwa die Parlamentspause nutzt, um den ungeregelten Brexit hinterrücks ohne Votum der Abgeordneten umzusetzen.
Schon vor seinem Amtsantritt sitzt das Misstrauen gegenüber dem unberechenbaren Johnson abgrundtief. Die Briten erwarten schlimmste Entwicklungen: eine schwere Rezession, steigende Arbeitslosigkeit, Unruhen in Nordirland, die Unabhängigkeitserklärung Schottlands, letztlich den Zerfall des Vereinigten Königreichs. Umfragen zufolge, waren sich auch die 160.000 Tory-Mitglieder bei ihrer Abstimmung dieser Risiken bewusst, und dennoch ist eine Mehrheit von ihnen bereit, für den Brexit selbst diesen Preis zu zahlen.
Damit rutscht das Verfahren zu einem Wechsel im Amt des Regierungschefs in finstere Fragwürdigkeit ab, zumal die Konservativen im Parlament keine eigene Mehrheit haben. Um der Demokratie willen bleibt die Hoffnung auf rasche Neuwahlen. Allerdings ist die britische Parteienlandschaft nach dem Brexit-Dauerdrama dermaßen ramponiert, dass eine Rückkehr zur Vernunft noch keineswegs ausgemacht wäre. Der Chef der sozialdemokratischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, hat überraschend angekündigt, ein zweites Referendum und darin dann den Verbleib in der EU zu unterstützen. Er hat sich allerdings in inzwischen bekannter Manier einige Hintertürchen offen gehalten und macht auch im Zusammenhang mit den Antisemitismusvorwürfen gegen seine Partei keine gute Figur. Die europafreundlichen Kräfte der Liberalen, Grünen und ehemaligen Labour- und Tory-Politiker sind ungeeint, die radikale Brexit-Partei hat starken Zulauf. Es führt kein leichter Weg dahin, die Spaltung zu überwinden und das Land zu einen. Die zerstörerische Kraft des Brexit-Beschlusses wirkt, auch wenn er – was zu hoffen bleibt – niemals vollzogen werden sollte.
Bildquelle: Pixabay, Bild von Andrew Martin, Pixabay License
'May tritt ab – mit Johnson wird es noch schlimmer' hat keine Kommentare
Als erste/r kommentieren